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Bentley verschiebt sein BEV‑allein‑Ziel — und das hat seinen Grund
Bentley hat still und leise seinen Plan, eine komplett vollelektrische Marke zu werden, nach hinten verschoben: Das Ziel wurde von 2030 auf 2035 verlegt, und Hybride rücken in den Mittelpunkt der Produktstrategie. Die in Crewe ansässige Marke begründet die Änderung mit langsamer und uneinheitlicher Nachfrage nach sehr teuren batterieelektrischen Fahrzeugen (BEVs), insbesondere im Ultra‑Luxussegment. Ein vollständiges BEV‑Rollout bis 2030 sei wirtschaftlich nicht mehr tragbar.
Die Ankündigung erfolgte als Teil eines umfassenderen Updates zum neuen technischen Entwicklungszentrum von Bentley, doch zwischen den Zeilen war eine klare strategische Neuausrichtung zu erkennen: Bentley wird mindestens einmal jährlich ein neues Hybrid‑ oder Elektrofahrzeug bis 2035 vorstellen, und das erste serienmäßige Elektrofahrzeug soll ab 2027 in Crewe produziert werden.

Was Bentley als „luxuriöses urbanes EV" bezeichnet
Das noch unbenannte Elektrofahrzeug, das zunächst für 2026 erwartet wurde, ist jetzt für 2027 geplant. Bentley beschreibt es als ein „luxuriöses urbanes EV“ — eine Bezeichnung, die darauf hindeutet, dass der Fokus mehr auf Straßengefühl, Komfort und städtischer Alltagstauglichkeit liegt als auf der Inszenierung von Geländetauglichkeit. Interne Quellen sagen, dass der Neuling optisch etwas kürzer und schmaler als der Bentayga ausfallen dürfte, dabei aber weiterhin Präsenz und luxuriöse Designmerkmale teilt.
Als technische Basis dient die Premium Platform Electric (PPE), dieselbe Architektur, die gemeinsam mit Porsche und Audi entwickelt wurde und auch Porsche Macan Electric, Audi Q6 e‑tron sowie den Cayenne Electric tragen wird. Diese gemeinsame technische Plattform ermöglicht es, hochleistungsfähige Dual‑Motor‑Antriebe zu integrieren, die in ihren stärksten Ausbaustufen nahezu 1.000 PS erreichen können — ein wichtiger Faktor, wenn Ultra‑Luxus‑SUVs bereits deutlich über zwei Tonnen wiegen und dennoch sportliche Leistung bieten sollen.
Die Wahl der PPE‑Plattform bringt technische Vorteile: skalierbare Batterie‑Module, standardisierte Leistungselektronik und bewährte Thermomanagementlösungen reduzieren Entwicklungszeiten und Kosten pro Fahrzeug. Gleichzeitig eröffnet die Plattform Möglichkeiten für unterschiedliche Fahrwerksabstimmungen, aktive Aerodynamik und softwaregetriebene Fahrmodi, die Bentley‑typischen Komfort mit Elektroperformance verbinden können.
Warum Gewicht und Effizienz eine große Rolle spielen
Hohe Leergewichte sind ein wiederkehrendes Thema in der Debatte um Luxus‑EVs. Viele vollelektrische SUVs überschreiten selbst in relativ leichten Konfigurationen 2,5 Tonnen; Plug‑in‑Hybride fügen Batterien und elektrische Komponenten oft zusätzlich zu bereits großen Verbrennungsmotoren hinzu. Diese Gewichtsdynamik hat weitreichende Folgen — für Reichweite, Fahrdynamik, Bremswege und Reifenverschleiß, aber auch für die CO2‑Bilanz im regulatorischen Kontext. Zur Einordnung:

- Sogar der Ferrari Purosangue übertrifft die 2,0‑Tonnen‑Marke.
- Der BMW XM Label kann bis zu 2,7 Tonnen wiegen — damit ist er schwerer als manche Full‑Size‑Pickup‑Trucks.
Diese Zahlen verdeutlichen die ingenieurstechnischen und regulatorischen Herausforderungen, wenn Luxus‑EVs Sicherheits‑, Performance‑ und Emissionsziele erreichen sollen, ohne die Fahrdynamik und das Markenerlebnis zu verwässern. Gewichtseinfluss ist komplex: Jede zusätzliche Batterie‑Kilowattstunde erhöht die Reichweite, belastet aber gleichzeitig Fahrwerk und Energieeffizienz. Entwickler stehen vor Zielkonflikten zwischen Reichweite, Performance, Komfort und Nachhaltigkeitszielen.
Hinzu kommt die Einflussgröße Ladeinfrastruktur: Selbst ein technisch ausgereiftes Luxus‑BEV kann in Regionen mit schlechter Ladeinfrastruktur bei Kunden auf Vorbehalte stoßen. Ladegeschwindigkeit, Verfügbarkeit von Hochleistungs‑Ladesäulen und Ladekomfort in Hotels oder Stadtnähe sind für Käufer von Premiumfahrzeugen mit hohen Erwartungen an Alltagstauglichkeit und Service relevant.
Hybridisierung als Brückenstrategie
Bentley macht deutlich, dass Hybride die Existenzberechtigung von Verbrenner‑Luxusautos über die Übergangsphase zur vollständigen Elektrifizierung hinweg sichern sollen. Der Hersteller hat bereits Plug‑in‑Hybrid‑V8s im Continental GT und Flying Spur getestet; der Bentayga gilt als logischer Kandidat für ähnliche Twin‑Turbo‑V8‑PHEV‑Konfigurationen.
Bentley bietet außerdem einen 3,0‑Liter‑V6 (EA839) Plug‑in‑Hybrid in bestimmten Ausstattungen an; die Modellpalette könnte aber um leistungsstärkere V8‑Hybridvarianten erweitert werden. Als technische Benchmarks dienen beispielsweise die Leistungsdaten des Porsche Cayenne Turbo E‑Hybrid (rund 729 PS) oder die Werte der Lamborghini Urus SE, die in Bereichen um 789 PS liegen — Zahlen, die zeigen, wie Hybridisierung sowohl Performance als auch Effizienz steigern kann. Solche Systeme kombinieren Hochleistungs‑Verbrenner mit starker Elektrounterstützung, was in der Summe sowohl dynamische Fahrleistungen als auch Verbrauchsvorteile im urbanen Betrieb ermöglicht.
Operativ bietet Hybridisierung weitere Vorteile: Sie reduziert unmittelbare Investitionen in großflächige BEV‑Produktion, ermöglicht eine sanfte Umstellung der Zulieferkette hin zu elektrifizierten Komponenten und senkt kurzfristig das Risiko von Wertverlusten, da Käufer weiterhin Verbrennungstechnik mit gewohnter Reichweite erhalten. Aus Sicht der Umweltbilanz können gut konzipierte Hybride in Regionen mit begrenzter Ladeinfrastruktur kurzfristig besseren realen CO2‑Vorteil bringen als schwergewichtige BEVs mit hoher Batteriegröße.
Die Marktrealität bei Luxusautomobilen
Bentleys Rückzug vom 2030‑BEV‑Alleinziel ist zugleich ein Eingeständnis jener Marktrealitäten, denen Luxushersteller gegenüberstehen: Die Elektrifizierung ist kein universelles Rezept, wenn Preisempfindlichkeit, Ladeinfrastruktur und Käuferpräferenzen regional stark variieren. Hohe Anschaffungspreise für Luxus‑BEVs, Unsicherheit bei Restwerten und uneinheitliche Kundennachfrage machen einen schrittweisen Ansatz — zuerst Hybride, später gezielte BEV‑Einführungen — zur pragmatischen Option.

Wichtige Eckpunkte der Neuausrichtung:
- Das erste serienmäßige Bentley‑BEV ist jetzt für die Produktion in Crewe ab 2027 geplant.
- Das Unternehmensziel verschiebt sich von 2030 auf 2035 für eine rein elektrische Modellpalette.
- Bis 2035 soll jährlich mindestens ein neues Hybrid‑ oder Elektrofahrzeug eingeführt werden.
Für Enthusiasten ergibt sich daraus ein gemischtes Bild: Fans des Verbrenners sehen eine verlängerte Rolle für leistungsfähige Verbrennungsmotoren, die durch moderne Hybridtechnik aufgewertet werden. Anhänger rein elektrischer Antriebe werden genau beobachten, ob Bentleys kommendes luxuriöses Stadtelektroauto die gewünschte Kombination aus Laufruhe, Reichweite und Gewichtseffizienz liefern kann, ohne die für die Marke typischen Komfortmerkmale zu opfern. Die Strategie betont einen größeren Branchentrend — Elektrifizierungsfahrpläne werden von Marktnachfrage, regionalen Rahmenbedingungen und technischen Kompromissen bestimmt, nicht allein von Vorstandsbeschlüssen.
Wichtig ist dabei die Balance zwischen Markenidentität und Zukunftsfähigkeit. Bentley steht vor der Aufgabe, das charakteristische Fahrerlebnis zu bewahren — etwa durch akustische Dämpfung, fein abgestimmte Fahrwerke und maßgeschneiderte Innenraumlösungen — während gleichzeitig neue Antriebsarchitekturen integriert werden. Technische Details wie die Integration von Wärmepumpen, Rekuperationsstrategien, Batteriechemie (NMC vs. LFP), und das thermische Management sind für die Umsetzung solcher Ziele entscheidend. Weiterhin sind Gewichtseinsparungen durch Leichtbaumaßnahmen (Aluminium, high‑strength steels, kohlenstofffaserverstärkte Kunststoffe an strategischen Stellen) und optimierte Batteriepacks wichtige Entwicklungspfade.
Aus Sicht der Wertschöpfungskette führen hybride Strategien außerdem zu veränderter Lieferantenstruktur: Zulieferer für Abgassysteme und klassische Getriebe reduzieren mittelfristig Gewicht im Portfolio, während Hersteller von Leistungselektronik, E‑Motoren und Hochvoltbatteriemodulen an Bedeutung gewinnen. Für Bentley und ähnliche Hersteller bedeutet das auch Investitionen in neue Prüfstände, Softwarekompetenz für Energiemanagement und e‑Antriebsintegration sowie Zusammenarbeit mit Technologiepartnern, um skalierbare Module zu schaffen.
Regulatorisch bleibt die Unsicherheit ein Faktor. Emissionsziele, CO2‑Flottenziele und lokale Förderprogramme beeinflussen die Rentabilität von BEVs versus Hybriden. Einige Märkte bieten erhebliche Anreize für Elektrofahrzeuge, weshalb dort ein früherer Übergang zu BEVs wirtschaftlich sinnvoll sein kann. In anderen Regionen hingegen, wo Ladeinfrastruktur und Energiepreise weniger günstig sind, behalten Hybride einen längeren Relevanzzeitraum.
Was das für Käufer und die Marke bedeutet
Käufer von Luxusfahrzeugen haben oft hohe Ansprüche an Komfort, Leistung und Status. Sie erwarten ein konsistentes Erlebnis — unabhängig vom Antrieb. Bentley muss daher sicherstellen, dass Hybride und BEVs gleichermaßen das Markenversprechen einlösen: exklusive Materialien, personalisierte Ausstattung und ein Fahrerlebnis, das Leistung mit kultivierter Zurückhaltung verbindet. Gleichzeitig darf die Elektrifizierungsstrategie die Margen nicht übermäßig belasten; das wirtschaftliche Gleichgewicht bleibt entscheidend.
Die schrittweise Einführung neuer Hybrid‑ und Elektrovarianten kann zudem Chancen für limitierte Sondermodelle und maßgeschneiderte Editionen eröffnen, die das Markenimage stärken und gleichzeitig technische Innovationen demonstrieren. Beispiele wären aufwändige Performance‑Hybride oder besonders luxuriös ausgestattete BEVs mit verlängerten Garantien und besonderen Servicepaketen.
Langfristig steht Bentley vor der Herausforderung, technologische Glaubwürdigkeit mit ökonomischer Vernunft zu verbinden — und dabei die Kernkunden nicht zu verlieren. Die Entscheidung, Hybride als Brücke zu nutzen, spiegelt diese pragmatische Haltung wider und betont die Bedeutung, Technologieeinführungen an reale Marktbedingungen und technische Machbarkeit zu koppeln.
Unterm Strich zeigt Bentleys Kurswechsel: die Autoindustrie wird nicht einheitlich elektrifiziert, sondern differenziert. Hersteller müssen regional differenzierte Strategien, modulare Plattformen wie PPE und ein feines Gespür für Kundenwünsche kombinieren, um den Übergang zur Elektrifizierung erfolgreich und wirtschaftlich zu gestalten.
Quelle: autoevolution
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