Samsung erweitert Wearables: Smartwatch-Herz- und Ohr-EEG

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Samsung erweitert Wearables: Smartwatch-Herz- und Ohr-EEG

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Samsung erweitert seine Ambitionen im Bereich Gesundheit bei Wearables mit zwei Forschungsprojekten, die die Fernüberwachung potenziell grundlegend verändern könnten: ein smartwatch-basiertes Screening für die linksventrikuläre systolische Dysfunktion (LVSD) und ein rund-um-das-Ohr-EEG-Prototyp zur kontinuierlichen Erfassung von Hirnwellen. Beide Initiativen verfolgen das Ziel, klinische Signale aus dem Krankenhaus in den Alltag zu bringen – und damit die Möglichkeiten der Gesundheitsüberwachung breiter zugänglich zu machen.

Eine Smartwatch, die schwerwiegende Herzfunktionen screenen kann

Erstmals für Verbraucher-Wearables gibt Samsung an, dass das Unternehmen eine KI-gestützte Erkennung und Überwachung der linksventrikulären systolischen Dysfunktion (LVSD) auf Smartwatches entwickelt. LVSD ist ein wesentlicher Faktor für Herzinsuffizienz und macht schätzungsweise etwa die Hälfte der Fälle aus. Krankheitsverläufe können schwerwiegend sein: LVSD ist in vielen Fällen mit einem höheren Sterberisiko verbunden als manche Krebsarten. Da viele Betroffene lange asymptomatisch bleiben, ist ein frühzeitiges Screening entscheidend, um Sterblichkeit zu reduzieren und Hospitalisierungen zu vermeiden.

Samsungs Ansatz beruht auf Algorithmen, die in Zusammenarbeit mit Medical AI entwickelt wurden, einem südkoreanischen Medizinprodukteunternehmen, das für seine KI‑gestützten ECG-Analysen bekannt ist. Das Wearable-Modell adaptiert Medical AIs validierten 12‑Kanal‑EKG-Algorithmus, den das Unternehmen bereits in mehr als 100 großen Krankenhäusern in Korea einsetzt und der monatlich für über 120.000 Patienten verwendet wird. Indem diese klinisch getestete Logik für Ein‑Kanal‑EKG‑Signale und für Sensoren in Wearables umgebaut wird, will Samsung eine passive, kontinuierliche Screening‑Funktion anbieten, die potenzielle LVSD‑Fälle frühzeitig erkennt und eine klinische Nachverfolgung empfiehlt.

Die technische Herausforderung liegt dabei in der Transformation eines etablierten 12‑Leitungs‑Signals in ein robustes Modell, das mit deutlich weniger und häufig verrauschteren Daten arbeitet. Um dies zu erreichen, kombiniert die Lösung mehrere Strategien: Vorverarbeitung der Rohsignale zur Rauschunterdrückung, extrahierte Zeit‑ und Frequenzmerkmale, zeitliche Kontextmodelle sowie Ensemble‑Architekturen, die klinische Wahrscheinlichkeiten aus verschiedenen Datenquellen zusammenführen. Solche Methoden senken die False‑Positive‑Rate und erhöhen gleichzeitig die Sensitivität – beides entscheidend für ein Screening, das in populären Geräten laufen soll.

Die Anwendung eines smartwatch‑basierten EKG zur Populationsvorsorge bietet mehrere potenzielle Vorteile. Erstens erlaubt es ein breiteres, dezentrales Screening asymptomatischer Nutzer, das ansonsten nur durch klinische Untersuchungen realisierbar wäre. Zweitens können regelmäßige passive Messungen subtile Veränderungen über Monate bis Jahre erfassen und so frühere therapeutische Eingriffe ermöglichen. Drittens lassen sich durch gezielte Benachrichtigungen und Verweise an Fachärzte teure Notfallbehandlungen vermeiden, was langfristig Kosten senken könnte.

Samsungs Mitteilung enthält bislang keine festen Zeitpläne oder finalen regulatorischen Status für die LVSD‑Funktion. Das Unternehmen betont jedoch, dass die LVSD‑Erkennung das reifere der beiden Projekte ist und voraussichtlich zuerst erscheinen könnte. Wichtige nächste Schritte sind groß angelegte Validierungsstudien, Prospektivdaten zur Vorhersagegüte sowie regulatorische Einreichungen (je nach Markt beispielsweise CE‑Kennzeichnung in Europa oder Zulassungen durch Behörden wie die FDA in den USA).

Ohrzentriertes EEG‑Prototyp und realweltliche Hirnüberwachung

Parallel dazu arbeitet Samsung mit der Abteilung für Biomedizinische Technik der Hanyang University zusammen an einem rund‑um‑das‑Ohr EEG‑Prototyp, der für langfristige Messungen außerhalb des Labors optimiert ist. Klassische EEG‑Systeme sind oft klobig, erfordern Kappen und leitfähige Gele und sind deshalb auf Labor‑ oder Klinik‑Umgebungen beschränkt. Der Ohr‑EEG‑Ansatz setzt auf ein ergonomisches Design, das Elektroden um die Ohrmuschel platziert und so hochwertige Signale ohne Kabelsalat und aufwändige Montage liefert.

Designentscheidungen bei einem solchen System zielen auf zwei essentielle Punkte: Signalqualität und Tragekomfort. Nur wenn das Gerät über Stunden und Tage angenehm sitzt, sind kontinuierliche Messungen im Alltag realistisch. Gleichzeitig müssen die Elektroden genügend Kontakt und Stabilität bieten, um typische Artefakte durch Bewegung oder Muskelaktivitäten zu minimieren. Samsung und Hanyang konzentrieren sich deshalb auf flexible Materialien, adaptive Signalverarbeitung und robuste KI‑Modelle, die Artefakte erkennen und herausfiltern können.

Frühe Tests des Prototyps zeigen vielversprechende Anwendungen im Real‑World‑Einsatz. So erkannte das Gerät in Trials Vigilanzabnahmen und Schläfrigkeit in Echtzeit – ein Merkmal, das sich unmittelbar für die Fahrsicherheit oder die Überwachung ermüdungsanfälliger Tätigkeiten eignet. Solche Warnsysteme könnten Fahrer oder Maschinenführer rechtzeitig alarmieren und so Unfälle verhindern. In einem anderen Experiment analysierte eine KI die Gehirnwellen der Probanden und sagte individuelle Video‑Vorlieben mit einer Genauigkeit von 92,86 % voraus — ein Hinweis auf mögliche Anwendungen in Neuromarketing, adaptiver Unterhaltung und personalisierter Inhaltsauslieferung.

Diese Ergebnisse müssen allerdings differenziert betrachtet werden: Hohe Vorhersagewerte in kontrollierten Studien sind ermutigend, aber die Übertragbarkeit in heterogenen Alltagsumgebungen erfordert zusätzliche Langzeitdaten und externe Validierungen. Faktoren wie Umgebungsgeräusche, unterschiedliche Nutzerprofile, Brillen oder Schmuck und variierende Tragegewohnheiten beeinflussen die Datenqualität. Deshalb ist die Kombination aus Hardware‑Robustheit, Algorithmus‑Resilienz und nutzerzentriertem Design entscheidend für die praktische Einsetzbarkeit.

Wie bei der LVSD‑Initiative handelt es sich beim Ohr‑EEG um einen Forschungsprototyp ohne konkretes Datum für eine Markteinführung. Beide Projekte illustrieren jedoch Samsungs übergeordneten Plan, medizinisch verwertbare Sensorik und Künstliche Intelligenz in alltägliche Wearables zu integrieren – mit einem klaren Fokus auf Ergonomie, Nutzerfreundlichkeit und realweltlicher Nutzbarkeit.

Technische, regulatorische und ethische Aspekte

Die Überführung von Forschungsprototypen in zugelassene medizinische Produkte ist komplex und umfasst mehrere Dimensionen: technische Validierung, klinische Studien, regulatorische Einreichungen sowie Datenschutz- und Ethik‑Prüfungen. Für eine LVSD‑Screening‑Funktion auf Smartwatches sind robuste Leistungskennzahlen notwendig: Sensitivität, Spezifität, positive prädiktive Werte und die Rate falsch positiver und falsch negativer Befunde müssen in diversen Populationen nachgewiesen werden. Klinische Studien sollten prospektiv sein und verschiedene Altersgruppen, Vorerkrankungen und ethnische Gruppen abdecken, um Bias zu vermeiden.

Regulatorisch könnte Samsungs Weg je nach Markt variieren. In der EU verlangt das Medizinprodukte‑Regulativ (MDR) evidenzbasierte Nachweise für die Sicherheits‑ und Leistungsansprüche. In den USA wäre eine Klassifizierung durch die FDA nötig, eventuell mit einer 510(k)‑Einreichung oder mit einer De‑novo‑Zulassung, je nach Risikoklasse. Diese Prozesse benötigen dokumentierte Tests, Risikomanagement und eine Qualitätssicherung in der Produktentwicklung.

Datenschutz und Datensicherheit sind zentrale Herausforderungen. Gesundheitsdaten sind besonders sensibel, weshalb Verschlüsselung, lokale Verarbeitung (On‑Device‑Inference), transparente Einwilligungsprozesse und klare Regeln zur Datenweitergabe entscheidend sind. Modelle zur lokalen Analyse reduzieren die Notwendigkeit, Rohdaten in die Cloud zu senden, was das Risiko von Datenlecks senken kann. Gleichzeitig sollten Nutzer die Kontrolle über ihre Daten behalten und Zugang zu Erklärungen über Algorithmus‑Entscheidungen erhalten, um Vertrauen zu stärken.

Ethik und Einsatzszenarien verlangen zudem klare Leitplanken: Wer darf Benachrichtigungen erhalten? Welche Schwellenwerte gelten für Alarmierungen? Wie wird mit falsch-positiven Meldungen umgegangen, die unnötige Ängste auslösen könnten? Transparente Benutzerführung und Optionen für medizinische Nachverfolgung sind hier unerlässlich.

Potentielle Anwendungen und gesellschaftliche Auswirkungen

Wenn solche Technologien reif werden, eröffnen sich viele Anwendungsfelder:

  • Bevölkerungsweites Screening: Smartwatches mit LVSD‑Erkennung könnten in großem Maßstab asymptomatische Risikopatienten identifizieren und so präventive Versorgung fördern.
  • Kontinuierliche Risikoüberwachung: Chronisch Erkrankte könnten von regelmäßigen Heimmessungen profitieren, die Trendabweichungen früh anzeigen und eine zeitnahe Intervention ermöglichen.
  • Fahrsicherheits‑Systeme: Das Ohr‑EEG könnte Müdigkeit bei Lkw‑Fahrern oder Berufspiloten erkennen und in Safety‑Workflows eingebunden werden.
  • Personalisiertes Nutzererlebnis: EEG‑basierte Signale könnten adaptive Inhalte steuern — von Lernplattformen über Spiele bis zu Streamingdiensten — und so die Relevanz von Inhalten erhöhen.
  • Telemedizin und Studien: Solche Wearables erleichtern dezentrale klinische Studien und Telemonitoring, was gerade in ländlichen Regionen oder bei mobilitätseingeschränkten Patienten Vorteile bringt.

Gesellschaftlich können diese Entwicklungen die Gesundheitsvorsorge demokratisieren, indem sie frühzeitige Diagnosen außerhalb traditioneller Versorgungspfade ermöglichen. Gleichzeitig besteht die Gefahr von Ungleichheiten, wenn etwa teure Geräte oder Abonnements Zugangsbeschränkungen schaffen. Daher sind bezahlbare Modelle und eine breite Zugänglichkeit für den gesellschaftlichen Nutzen essenziell.

Limitierungen und offene Fragen

Trotz der positiven Ergebnisse sind mehrere Limitationen zu beachten. Erstens ist die Generalisierbarkeit: Studien mit hochselektierten Probandengruppen liefern häufig bessere Resultate als reale, heterogene Populationen. Zweitens sind Artefakte und Signalverluste im Alltag eine echte Herausforderung – besonders bei EKG‑Messungen am Handgelenk oder bei ohren‑nahen EEG‑Sensoren, die durch Kopfbewegungen, Schwitzen oder externe Störeinflüsse beeinträchtigt werden können.

Drittens bleibt die Frage der klinischen Integration: Wie werden Warnungen aus Wearables in bestehende Versorgungspfade eingebettet? Wer trägt die Verantwortung für nachfolgende Diagnostik? Lösungsansätze könnten automatisierte Überweisungs‑Workflows, integrierte Telekonsultationen und klare Leitlinien für Follow‑up‑Maßnahmen sein.

Schließlich sind ökonomische Aspekte entscheidend: Kosteneffizienz‑Analysen müssen zeigen, dass großflächige Screenings durch Wearables nicht nur technisch möglich, sondern auch gesundheitlich und wirtschaftlich vorteilhaft sind. Nur so können Versicherer, Gesundheitssysteme und Regulierer eine breite Einführung unterstützen.

Fazit

Samsungs parallele Arbeit an einer LVSD‑Screeningfunktion für Smartwatches und an einem rund‑um‑das‑Ohr EEG‑Prototyp markiert einen bedeutsamen Schritt, um klinische Überwachungsmethoden in den Alltag zu verlagern. Die LVSD‑Lösung baut auf validierter Krankenhaus‑KI auf und könnte zu einem wichtigen Screening‑Werkzeug für asymptomatische Patienten werden, während das Ohr‑EEG neue Möglichkeiten für kontinuierliche Hirnüberwachung außerhalb klinischer Umgebungen eröffnet. Beide Projekte zeigen das Potenzial, Gesundheitsvorsorge, Sicherheit und personalisierte Medienerlebnisse zu verändern.

Dennoch hängt eine breite Adoption von mehreren Faktoren ab: sorgfältige klinische Validierung, klare regulatorische Zulassungen, robuste Datenschutz‑ und Sicherheitskonzepte sowie eine ethisch verantwortliche Implementierung. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, könnten solche Wearables die Art und Weise, wie wir Gesundheit überwachen und mit Technologie interagieren, nachhaltig beeinflussen.

Quelle: gsmarena

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