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Oktober hat Lamborghini zum Design-Monat erklärt – und Sant'Agata Bolognese liefert eine theatrale Antwort. Zur Feier des 20-jährigen Bestehens des Centro Stile präsentierte die Marke neben der auf 1.065 PS ausgelegten Sonderedition Fenomeno eine einmalige Studie: die Manifesto Design Sculpture. Sie ist weniger ein Fahrzeug als eine stilistische Verdichtung von Vergangenheit, Gegenwart und möglicher Zukunft.
Warum das Centro Stile für Lamborghini so wichtig ist
Das Centro Stile vollendete 2005 sein erstes komplettes Auto und war damit für einen Supercar-Hersteller bahnbrechend: eine interne Kreativabteilung, die für jedes neue Modell, jede Variante, jedes Konzept und jeden One-off verantwortlich ist. In den letzten zwei Jahrzehnten hat dieses Studio die markante, keilförmige Design-DNA von Lamborghini geschärft und darüber hinaus Trends im Ultra-Luxus-Performance-Segment gesetzt.
Während früher viele Hersteller auf externe Designstudios oder Karosseriebauer zurückgriffen, etablierte Lamborghini mit dem Centro Stile eine zentralisierte, markenimmanente Quelle für Formensprache und Markenidentität. Das Ergebnis ist eine stringente Handschrift: scharfe Kanten, kräftige Volumen, eine fast aggressive Skulpturalität und wiedererkennbare Lichtsignaturen.
Manifesto Design Sculpture: Mehr Skizze als Straßenauto
Die Manifesto Design Sculpture wirkt wie ein dreidimensionales Moodboard. In Fotos und Veröffentlichungen erkennt man eine Mischung aus CAD-Elementen, Ton bzw. Clay-Modellierung und sorgfältig aufgetragener Lackierung – ergänzt um montierte Räder, um die Studie fotografisch wie ein vollständiges Objekt zu inszenieren. Es handelt sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht um einen fahrfähigen Prototyp, sondern um ein Studio-Modell: ein Werkzeug, um visuelle Ideen zu testen, zu kommunizieren und weiterzuentwickeln.
Solche Modelle haben in der Automobilindustrie eine lange Tradition. Sie erlauben Designern, Proportionen, Flächenverläufe und Lichtreflexionen in realer Größe zu beurteilen, bevor die Formen in Engineering, Aerodynamik und Produktion überführt werden. Die Manifesto-Studie zeigt genau diesen Prozess: Hier werden radikale Formen zugänglich gemacht – ohne die Einschränkungen, die ein homologiertes Fahrzeug mit sich bringt.
Wesentliche Merkmale der Skulptur
- Double-Bubble-Glaskanzel, die an ein Jetfighter-Cockpit erinnert und organisch in die Heckpartie übergeht
- Klassische Lamborghini-Keil-Silhouette, neu interpretiert mit extrem modellierten Flächen
- »Fanged«-Diffusor mit sichtbar ausgestellten, breiten Hinterreifen und markanter Y-förmiger Lichtsignatur hinten
Die Schauwerte sind bewusst hoch: die Glaskanzel wirkt wie ein Statement gegen konventionelle Coupé-Dächer, die offenen Radhäuser fordern statische Vorstellungen heraus, und die betonten Kanten betreiben visuellen Hochleistungs-Sport. Gleichzeitig fungiert die Skulptur als Vorbote – welche dieser Codes in welcher, abgemilderten Form den Weg in Serienmodelle findet, bleibt spannend zu beobachten.
Mitja Borkert: Die Handschrift der Gegenwart
Mitja Borkert leitet das Centro Stile seit 2016 und prägte seither einige der markantesten Lamborghinis der jüngeren Zeit: Aventador S und SVJ, Huracán Performante sowie den Urus, den ersten echten SUV der Marke. Borkerts Arbeit verbindet historische Referenzen mit modernen, oftmals aerodynamisch durchdachten Flächen.
Auf Social-Media-Kanälen hat Borkert die Manifesto-Skulptur selbst geteilt: man erkennt darin eine Konzentration der Designelemente, die seine bisherigen Modelle bereits tragen – nur zuspitzt und mit theatralischem Effekt. Y-förmige Lichtgraphiken, eine aggressive Frontpartie mit ausgeprägter »Shark-nose«-Anmutung und stark modellierte Flächen sind wiederkehrende Motive.
Wie die Studie die Design-DNA erklärt
Die Manifesto-Skulptur liest sich fast wie ein Statement: Lamborghini bleibt dem keilförmigen, extrem konturierten Design treu, erweitert es aber um neue Beziehungen zwischen Glas, Licht und Volumen. Besonders auffällig ist die Art, wie die Glaskanzel in die Karosserie einsinkt – ein mögliches Indiz dafür, wie künftige Modelle mit größeren Glasflächen spielen könnten, ohne die markentypische Aggressivität zu verlieren.
Technik trifft Ästhetik: Was tatsächlich umgesetzt werden kann
Zwischen Studio-Modell und Serienauto liegen viele Hürden. Aerodynamik, passive Sicherheit, Aufprallschutz, Fußgängerschutz und Homologationsauflagen setzen klare Grenzen. Ein vollständig rahmenloses Windschutzscheiben-Design oder extrem exponierte Reifen sind in der Serienfertigung oft nur schwer realisierbar, zumindest nicht in der puren Form, wie sie ein Atelier-Modell erlaubt.
Trotzdem hat Centro Stile immer wieder bewiesen, dass typische Signale – etwa die Y-Lichtsignatur oder die markante Keil-Silhouette – in abstrahierter, technisch umsetzbarer Form in Serienwagen übergehen. Technische Maßnahmen wie aktive Aerodynamik-Elemente, integrierte Crashstrukturen und verstärkte Plattform-Architektur ermöglichen es, visuelle Dramatik und technische Sicherheit zu kombinieren.
Konkrete Herausforderungen bei Umsetzung
- Glaskanzel: Temperaturwechsel, Belastung durch Verwindung, UV- und Steinschlag-Resistenz erfordern Verbund- oder Laminar-Glas sowie spezifische Befestigungspunkte.
- Offene Radhäuser: Schmutzschutz, Geräuschakustik und Spritzverhalten müssen aerodynamisch und hygienisch gelöst werden.
- Fanged-Diffusor: Um die gewünschten Downforce-Werte zu erreichen, bedarf es präziser CFD-Analysen und oft aktiver Klappen.
Diese Herausforderungen erklären, warum Studio-Designs häufig zurückhaltend adaptiert werden: Designteams und Ingenieure verhandeln kompromissorientiert zwischen Ästhetik und Zulassungsvorgaben.
Was das Manifesto für künftige Lamborghinis bedeutet
Die Studie ist ein Hinweis darauf, welche visuellen Codes Lamborghini in den kommenden Jahren weiterführen könnte. Das Centro Stile nutzt solche Skulpturen, um interne Diskurse anzustoßen: Welche Proportionen funktionieren? Welche Lichtführungen bleiben markant, ohne die Alltagstauglichkeit zu opfern? Wo lassen sich neue Materialien und Fertigungsprozesse einsetzen, um radikale Formen in begrenzter, aber wirkungsvoller Weise zu realisieren?
Es ist plausibel, dass Elemente wie die keilförmige Silhouette, die Y-Lichtsignatur und Panorama-Glaselemente in abgeschwächter Form Eingang in Nachfolger von Huracán, Aventador-Interpretationen oder in exklusive Sondermodelle finden – denkbar sind auch maßgeschneiderte Einzelstücke für Sammlerprogramme.
Personalisierung, One-offs und der Markt für Sondereditionen
Lamborghini hat eine lange Tradition bei limitierten Modellen und Einzelanfertigungen, sei es über Ad-Personam-Programme oder vollständig maßgeschneiderte One-offs. Die Manifesto-Skulptur erfüllt hier gleich zwei Funktionen: Sie liefert Inspiration für Sonderaufträge und demonstriert möglichen Kunden, wie weit die Marke visuell gehen kann. Sammler und Investoren beobachten solche Studien genau – sie signalisieren zukünftige Designtrends und schaffen Begehrlichkeit.
Design im Kontext: Wie Lamborghini Trends setzt
Lamborghini ist nicht nur Hersteller, sondern auch Trendsetter. Das Centro Stile hat wiederholt gezeigt, dass mutige Formensprachen in den Supercar-Segmenten Nachahmer finden: aggressivere Sicken, ausgeprägtere Hinterteile und dramatische Lichtgrafiken tauchen zunehmend bei anderen Herstellern im Premium-Segment auf. Das liegt an der klaren, kohärenten Markenführung: eine starke Formensprache ist leicht erkennbar und übertragbar.
Die Manifesto-Skulptur verstärkt diese Rolle, weil sie nicht nur zeigt, was Lamborghini könnte, sondern auch, wie Designentscheidungen visuell kommuniziert werden – eine wichtige Fähigkeit in einer Zeit, in der Markenidentität zunehmend über digitale Impressionen definiert wird.
Warum das für Enthusiasten wichtig ist
Für Fans und Sammler liefert die Skulptur einen visuellen Fingerzeig: Welche Stilmittel bleiben, welche werden entwickelt? Autodesign ist ein iterativer Prozess; Studien wie die Manifesto sind Teil dieses kreativen Flusses. Wer genau hinsieht, kann Ableitungen erkennen—etwa die Wahrscheinlichkeit, dass die nächste Generation von Huracán oder ein künftiger Aventador-Erbe bestimmte Glasflächen oder Leuchten-Designs übernimmt.
Materialität, Fertigung und neue Technologien
Ein weiterer Aspekt, den die Manifesto-Studie berührt, ist die Material- und Fertigungsinnovation. Großflächige Glasdome, komplexe 3D-geformte Karosserieflächen und integrale Lichtleisten fordern neue Fertigungstechniken: 3D-gedruckte Formen und Hilfstrukturen, verbesserte Lackierverfahren für hochglänzende und strukturierte Oberflächen sowie multimateriale Sandwich-Bauweisen, die Leichtbau mit Festigkeit verbinden.
Darüber hinaus eröffnet die Integration neuer LED- oder OLED-Technologien kreative Möglichkeiten für Lichtgrafiken, die dynamisch reagieren können – ein Feld, in dem Design und Elektrik/Elektronik eng verzahnt sein müssen.
Nachhaltigkeit und Produktion
Auch Nachhaltigkeit spielt eine Rolle: Designer müssen immer häufiger Materialien und Prozesse berücksichtigen, die ökologisch vertretbarer sind. Das bedeutet nicht zwangsläufig weniger Drama, sondern oft intelligenteren Materialeinsatz: recycelbare Verbundstoffe, lokal gefertigte Komponenten zur Reduktion von Transportemissionen oder modulare Bauweisen, die Reparatur und Lebensdauer verbessern.
Was Experten und Marktbeobachter sagen
Designkritiker sehen in der Manifesto-Skulptur eine bewusste Zuspitzung: ein kurzes, aber lautes Signal, dass Lamborghini seine visuelle Sprache erneuern, zugleich aber bewahren will. Marketing-Analysten bemerken, dass solche Inszenierungen die Markenbekanntheit schärfen – sie liefern Inhalte, die sich digital hervorragend teilen lassen und die Zielgruppen emotional ansprechen.
Für Ingenieure ist die Studie hingegen ein Herausforderungskatalog: Welche Formen sind aerodynamisch sinnvoll? Wie lassen sich Kühlluftkanäle in eine soft wirkende Oberfläche integrieren? Diese Fragestellungen sind Teil der Brückenschlag-Arbeit zwischen Studio und Fertigung.
Takeaways für Sammler, Designer und Autofans
Die Manifesto Design Sculpture ist mehr als ein visuelles Statement: Sie ist ein Einblick in den kreativen Prozess von Lamborghini Centro Stile. Sie zeigt, welche ästhetischen Prioritäten aktuell sind – Glas, Licht, Keilform – und wie radikal diese umgesetzt werden können, wenn technische Zwänge ausgeklammert sind. Sammler und Designinteressierte sollten die Studie als Inspirationsquelle und Hinweis auf mögliche künftige Sondermodelle verstehen.
Ob die markantesten Elemente in unveränderter Form auf die Straße rollen, ist unwahrscheinlich. Doch die gestalterischen Kernelemente werden sich in abgewandelter, technikkompatibler Form wiederfinden: in Nachfolgern des Huracán, in Sondereditionen oder in individuellen One-offs. Und bis dahin liefert die Manifesto-Skulptur reichlich Gesprächsstoff: für Designer, Ingenieure, Investoren und all jene, die an der Schnittstelle von Kunst und Mobilität stehen.
Welche Details schlagen Sie persönlich vor: die canopy-artige Glasabdeckung, der »fanged« Diffusor oder die freistehenden Hinterräder? Lamborghini hat ein dramatisches Design-Statement gesetzt. Nun bleibt abzuwarten, welche Elemente den Weg von der Skulptur auf die Straße finden.



Quelle: autoevolution
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