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Julia Roberts crowns NYFF opening as one of her New York highlights
Das New York Film Festival begann mit großem Aufsehen, als Luca Guadagninos After the Hunt in der Alice Tully Hall seine Premiere feierte — und Julia Roberts, eine der dominierenden Hauptdarstellerinnen des Films, nannte diesen Moment „eine der Top-3-Höhepunkte meines New Yorker Lebens“. Diese Aussage fiel in einem Saal voller Cineasten, Kritikerinnen und Branchenvertreter, für die das NYFF inzwischen als Messlatte für anspruchsvolles, diskussionswürdiges Kino gilt. Die Kombination aus Starbesetzung, festivaltypischer Atmosphäre und einem Werk, das sowohl formal als auch thematisch provoziert, machte den Abend zu einem Ereignis, das über eine gewöhnliche Filmpremiere weit hinausging.
Guadagnino, dessen Name mittlerweile eng mit üppigen Bildern und emotional gesteigerter Erzählweise verbunden ist, lobte das Festivalpublikum als „das beste Publikum bei Festivals weltweit.“ Diese Dankbarkeit war mehr als Höflichkeit: Nach der Weltpremiere in Venedig, wo der Film eine sechsminütige Standing Ovation erhielt, war der Empfang in New York — wenn auch mit kürzerem Applaus — warm, nachdenklich und wurde von einer fast 15-minütigen Q&A-Session begleitet, die das Auditorium noch lange nach der Vorführung in rege Diskussionen versetzte. Solche Publikumsreaktionen sind nicht nur Stimmungsbarometer für einen einzelnen Film, sondern oft auch Indikatoren dafür, wie ein Werk in das größere Gespräch über Filmkultur und gesellschaftliche Debatten eingespannt wird.
A cast in conversation
Nach der Vorführung führte Moderator Dennis Lim eine lebhafte Diskussion mit Guadagnino, Roberts, Andrew Garfield, Ayo Edebiri, Michael Stuhlbarg und Drehbuchautorin Nora Garrett. Die Runde bot Einblicke hinter die Kulissen und ermöglichte es dem Publikum, Entstehungsprozesse, konzeptionelle Entscheidungen und die Arbeit mit schwierigen Szenen besser nachzuvollziehen. In einem der persönlichsten Momente gestand Andrew Garfield, dass er beim Dreh einer Szene, in der er gegenüber Julia Roberts ein sexuell aggressives Verhalten zeigen musste, zusammenzuckte — eine Einstellung, die in einer einzigen, langen Einstellung gedreht wurde und ihn sichtlich erleichtert zurückließ, als sie im Kasten war. Solche Geständnisse zeigen nicht nur die Belastbarkeit der Schauspielerinnen und Schauspieler, sondern auch den Willen des Ensembles, sich auf heikle, herausfordernde Stoffe einzulassen. Die Diskussion beleuchtete außerdem, wie Regie, Schauspiel und Drehbuch ineinandergreifen: Nora Garretts Szenario legt die Grundstruktur für intensive Momentaufnahmen, während Guadagnino mit seiner visuellen Handschrift und der Besetzung an der Spitze den Ton setzt.
Sound, scores and festival tech upgrades
Diese NYFF-Vorführung markierte zudem den ersten Einsatz von Dolby Atmos in der Alice Tully Hall für eine Festivalpräsentation — eine Installation mit 120 Lautsprechern, die Guadagnino und seine Sound-Kollaborateure intensiv nutzten. Atmos erlaubt eine räumliche Platzierung von Klängen weit über die traditionelle Stereo- oder Surround-Wiedergabe hinaus; in After the Hunt wird Sound als aktives Gestaltungsmittel eingesetzt, um Spannung und Atmosphäre zu erhöhen. Der Score von Trent Reznor und Atticus Ross, bekannt für seine dichte, oft unheimliche Textur, profitiert enorm von einem so fein abgestimmten Wiedergabesystem, weil Nuancen, tiefe Frequenzen und punktuelle Klangereignisse klarer hervortreten. Die neue Tonanlage verstärkte diese Entscheidungen und machte die akustische Landschaft des Films zu einem zentralen Element der Premiere-Erfahrung. Technisch betrachtet bedeutet dies auch eine akzentuierte Nachbearbeitung: Sounddesign, Mix und Mastering müssen präzise auf einen Atmos-Raum abgestimmt werden, damit Atmos den gewünschten immersiven Effekt entfalten kann.
Amazon MGM Studios plant einen limitierten Kinostart am 10. Oktober, gefolgt von einer breiteren Veröffentlichung in der darauffolgenden Woche — eine klassische Strategie in der Awards-Saison, die darauf abzielt, sowohl Kritikerdynamik als auch Publikumserkenntnis zu maximieren. Ein gestaffelter Release erlaubt es, zunächst Begeisterung und Kritikerlob zu sammeln, bevor ein großer Start erfolgt, der finanzielle Reichweite und Sichtbarkeit erhöht. Für Filme, die auf Festivals diskutierte, polarisierende Themen verhandeln, ist ein solcher Plan häufig sinnvoll: Er bietet Raum für word-of-mouth, ausführliche Berichterstattung und gezielte Marketingkampagnen, die Nuancen des Films herausstellen und Zuschauerinnen ansprechen, die nach anspruchsvollerer Kinokost suchen.

Where it sits in Guadagnino’s filmography and festival culture
Vergleiche mit Guadagninos früheren Filmen sind unvermeidlich und zugleich erhellend: Call Me by Your Name setzte auf eine träumerische, langsame Sehnsucht, Suspiria (2018) verfolgte eine formale Horrorästhetik mit expressiver Bildsprache, und After the Hunt kanalisiert dieses feine Gespür für sinnliche Details in ein schärferes, konfrontativeres Campus-Drama. Der neue Film beschäftigt sich explizit mit Themen wie Cancel Culture, institutioneller Verstrickung und individueller Verantwortlichkeit, und zwar nicht als einfache Lehrstunde, sondern als komplexes moralisches Geflecht, das Fragen aufwirft, ohne sie notwendigerweise zu beantworten. Guadagnino setzt auf Ambivalenz: Er interessiert sich für das Innenleben seiner Figuren, für Machtverhältnisse innerhalb akademischer Räume und für die Art und Weise, wie institutionelle Hierarchien Komplizenschaften fördern können.
In dieser Hinsicht reiht sich After the Hunt in einen wachsenden Trend von vielschichtigen, moralisch ambivalenten Dramen ein, die Verantwortlichkeit in künstlerischen und akademischen Kontexten verhandeln. Doch Guadagninos Ansatz bleibt eigenständig durch seine sensorische Dichte und seine Bereitschaft, Ton und Tonlage zu variieren — mal subtil, mal provokant — um das Publikum in ein Unbehagen zu führen, das zur Reflexion anregt. Stilistische Entscheidungen, etwa die häufige Nutzung langer Einstellungen, der Umgang mit Licht und Farbe oder die gezielte Platzierung von Musikmotiven, sind Mittel, um die Zuschauerinnen zu zwingen, nicht nur zu beobachten, sondern mitzufühlen und zu interpretieren.
Der Abend war auch geprägt von industriepolitischem Kontext: Auf der Bühne wurde auf die personellen Veränderungen in der Festivalleitung hingewiesen — Mariko Stern trat im vergangenen Herbst ihre Position als CEO des Lincoln Center an, während Daniel Battsek kürzlich die Führung für Film bei Lincoln Center übernommen hat. Battsek nutzte seine Eröffnungsworte, um das Festivalprogramm zu würdigen (107 Spielfilme und Kurzfilme aus 41 Ländern) und um Robert Redford sowie David Lynch zu gedenken, deren Beiträge zum unabhängigen Kino im Programm geehrt wurden. Solche Gesten verweisen auf die historische und kulturelle Verantwortung von Festivals: Sie sind nicht nur Plattformen für Premieren, sondern auch Orte der Erinnerung, der Netzwerke und der institutionellen Selbstvergewisserung.
Für Fans und Festivalbesucher machten kleine, erzählerische Details die Premiere besonders erinnerungswürdig: die Anekdote über die Venedig-Ovation, die erwähnte Single-Take-Einstellung, die Garfield beschrieb, und die spürbare Publikumsbeteiligung während der Nachgespräche. Kritiker lobten bereits Roberts’ Leistung als einen der zentralen Anker des Films; ihre Präsenz verleiht dem Film emotionale Glaubwürdigkeit und Tiefe. Die Kombination aus Nora Garretts provokativem Drehbuch und Guadagninos minutiöser Regieführung deutet darauf hin, dass After the Hunt nicht nur Lob, sondern auch Debatten provozieren wird — über Kunst, Macht, Verantwortung und die Bedingungen, unter denen Vorwürfe und Rechenschaft stattfinden.
„Guadagnino geht mit Ton und Klang Risiken ein, die aufmerksame Zuschauer belohnen“, urteilt Filmkritikerin Anna Kovacs. „Der Film bietet weniger eindeutige Antworten und mehr die Aufforderung, sich mit Unbehagen auseinanderzusetzen — das ist sowohl seine Stärke als auch seine Herausforderung.“ Diese Einschätzung bringt auf den Punkt, was viele bereits nach der Vorführung spürten: After the Hunt ist ein Film, der nicht die einfache Moral predigt, sondern die Komplexität von Situationen beleuchtet, in denen persönliche und institutionelle Verantwortungen unklar und miteinander verwoben sind.
Die NYFF-Premiere bekräftigte die Rolle des Festivals als lebendiges Forum des Kinos — einen Ort, an dem große Namen, neue Technologien und schwierige Gespräche aufeinandertreffen und dazu beitragen, dass das Medium Film vital, relevant und im kulturellen Diskurs verankert bleibt. Festivals wie das NYFF fungieren dabei nicht nur als Schauplatz für die Präsentation neuer Werke, sondern auch als kritische Arenen, in denen Form, Inhalt und Publikumserwartungen geprüft werden. Im Idealfall entstehen aus solchen Abenden nachhaltige Diskussionen, die über die Festivalwoche hinausreichen und sowohl die Rezeption eines Films als auch die öffentlichen Debatten um seine Themen prägen.
Quelle: deadline
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