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Tecno nutzte seine jüngste Future Lens-Veranstaltung, um zwei ehrgeizige Teleobjektiv-Konzepte vorzustellen: das Freeform Continuum Telephoto und das Dual-Mirror Reflect Telephoto. Beide Ansätze zielen darauf ab, das Smartphone-Zoom und die optische Konstruktion neu zu denken und Hardware-Innovationen mit intelligenter computergestützter Bildverarbeitung (Computational Photography) zu verbinden.
Freeform Continuum Telephoto: eine einzelne Periskop-Lösung mit sanftem Zoom
Stellen Sie sich eine Periskop-Kamera vor, die alles abdeckt — vom Weitwinkel-Bereich bis zu weitreichendem Tele — ohne zwischen mehreren Modulen wechseln zu müssen. Das ist das Versprechen von Tecnos Freeform Continuum Telephoto: ein einzelnes Periskop-Design, das einen durchgehenden optischen Zoom von 1x bis 9x ermöglicht. Anstatt beim Vergrößern zwischen getrennten Weitwinkel- und Tele-Sensoren hin- und herzuspringen, fungiert dieses Modul bei 1x als Hauptkamera und fährt optisch bis 9x heran.
Die Vorteile sind unmittelbar spürbar: kein abruptes Umschalten zwischen Kameras, weniger Farbabweichungen zwischen verschiedenen Sensoren und deutlich bessere Bildqualität bei mittleren Zoomstufen als bei reinem digitalem Zoom. Kurz gesagt: fließendere Übergänge und konsistentere Farbtöne über den gesamten Zoombereich.
Technisch basiert das Freeform-Konzept auf speziell geformten (freeform) optischen Elementen, die das Licht über unregelmäßig gekrümmte Flächen präzise lenken. Solche Freiform-Optiken erlauben eine kompaktere Bauweise bei gleichzeitig hoher Abbildungsleistung und geringeren geometrischen Verzerrungen. In Kombination mit einem Periskop-Aufbau können Hersteller lange Brennweiten realisieren, ohne das Telefon deutlich dicker zu machen.
Hinzu kommt eine enge Verzahnung mit der Bildsignalverarbeitung (ISP) und neuronalen Netzwerken: Um die Übergänge zwischen Brennweiten zu harmonisieren, nutzt Tecno algorithmische Farbkorrektur, Objektivprofil-Kompensation und Multi-Frame-Alignment. Diese Rechenmethoden gleichen verbleibende Nichtlinearitäten aus, verbessern Detailerhalt bei mittleren Zoomstufen und reduzieren Artefakte, die bei reinem Digitalzoom häufig auftreten.
Ein weiterer praktischer Vorteil ist die Verringerung von Parallaxenfehlern und Fokuswechseln beim Zoomen, da ein einziges optisches System die verschiedenen Brennweiten abdeckt. Das kann besonders bei Videoaufnahmen oder beim schnellen Zoomen von Motiven im Bild hilfreich sein, weil die Szene stabiler aussieht und der Nutzer nicht das Gefühl hat, dass die Kamera ‚springt‘.
Allerdings sind die Herausforderungen nicht zu unterschätzen: komplexere Linsenformen erfordern präzise Fertigungs- und Montageprozesse, anspruchsvolle Qualitätskontrollen und eng abgestimmte Kalibrierungen zwischen Optik und Software. Tecno gibt an, dass das Freeform-Konzept technisch aufwändiger ist als die Mirror-Lösung und sich noch in der Entwicklung befindet; eine Kommerzialisierung wird frühestens in etwa 12 Monaten erwartet.

Aus Sicht von Smartphone-Fotografen bedeutet das Freeform Continuum: ein optisches Zoom-Erlebnis, das näher an dem liegt, was traditionelle Kameras mit variabler Brennweite bieten, ohne die Nachteile mehrerer separater Module. Für Anwendungen wie Reisefotografie, Porträtaufnahmen aus mittlerer Entfernung und Videoproduktion verspricht dieses System mehr Konsistenz bei Ton, Dynamikbereich und Detailauflösung.
Dual-Mirror Reflect Telephoto: kompakte Spiegeloptik und charakteristisches Bokeh
Das Dual-Mirror Reflect Telephoto verfolgt einen anderen technischen Ansatz. Durch den Einsatz von zwei Spiegeln zur Faltung des optischen Weges hat Tecno ein Teleobjektiv-Modul entwickelt, das in etwa 50 % kleiner ist als herkömmliche rein linsenbasierte Lösungen mit vergleichbarer Brennweite. Dieses catadioptrische Design (Kombination aus Spiegeln und Linsen) ist aus bestimmten DSLR- und spiegellosen Systemen bekannt: Es ermöglicht lange Brennweiten in einem kompakten, leichten Gehäuse.
Ein sichtbares Merkmal solcher spiegelgestützten Optiken ist das donutförmige Bokeh — manchmal als ‚Iris-Blur‘ bezeichnet — das stark von dem abweicht, was klassische sphärische Linsen erzeugen. Manche Fotografen empfinden dieses Bokeh als störend, andere schätzen es gerade wegen seiner einzigartigen Charakteristik. Für kreative Bildgestaltungen kann dieses Merkmal ein Differenzierungsmerkmal sein und Fotografen bewusst für einen bestimmten Look entscheiden lassen.
Der Preis für die kompakte Bauweise ist ein Lichtverlust: Das Spiegelsystem verliert gegenüber reinen Linsenlösungen etwa eine Blendenstufe (ca. 1 EV). Das bedeutet, dass bei gleicher Blende weniger Licht den Sensor erreicht, was höhere ISO-Werte oder längere Belichtungszeiten erforderlich machen kann. Tecno weist darauf hin, dass die Spiegeloberflächen und -beschichtungen optimiert wurden, um Reflexionsverluste möglichst gering zu halten, und dass moderne Sensoren sowie algorithmische Rauschunterdrückung einen Teil dieses Nachteils ausgleichen können.
Ein Vorteil des Dual-Mirror-Designs ist seine unmittelbare Produktionsreife: Tecno bezeichnet diese Technologie als fertig für die Fertigung und kündigt an, dass erste Implementierungen bereits im kommenden Jahr in Smartphones erscheinen könnten, sofern positives Feedback aus Nutzertests und Fokusgruppen vorliegt.

Technisch erfordert die Spiegeloptik präzise Justage von Spiegeln und Linsenelementen sowie spezielle Fertigungsprozesse für die Beschichtungen (z. B. Dichroitische oder Hochreflexionsbeschichtungen), um Farbabweichungen zu minimieren. Autofokus-Systeme müssen auf die andere Lichtführung abgestimmt werden, und Bildstabilisierung (OIS/Hybrid) muss mit der kompakteren Mechanik harmonieren.
In der Praxis kann das Dual-Mirror-Teleobjektiv besonders für Anwender attraktiv sein, die ein schlankes Telefondesign mit echter Telefunktion wünschen, ohne ein dickes Periskop-Modul zu akzeptieren. Einsatzszenarien sind ferne Motive bei Tageslicht, Reisebilder und Situationen, in denen das Gewicht und die Bauhöhe des Geräts entscheidend sind.
Timing, Partner und praktische Kompromisse
- Dual-Mirror Reflect: kurzfristiger, potenziell im nächsten Jahr in Smartphones, wenn die Rückmeldungen positiv sind.
- Freeform Continuum: anspruchsvoller, voraussichtlich mindestens 12 Monate bis zur Marktreife.
- Fertigungspartner: Samsung und Largan wurden bereits ausgewählt, um diese Module in Serie zu produzieren.
Beide Ansätze repräsentieren unterschiedliche Ingenieursentscheidungen: Die Spiegelroute minimiert Volumen und Gewicht, während das Freeform-Periskop optische Kontinuität und Farbkonsistenz priorisiert. Jeder Weg bringt Kompromisse mit sich — von der Bokeh-Charakteristik über Lichtverlust bis hin zu Fertigungskomplexität — die Tecno derzeit mit Nutzern testet. Solche Benutzerstudien sind wichtig, um zu verstehen, welche visuellen Eigenschaften Endanwender bevorzugen und welche technischen Trade-offs akzeptabel sind.
Aus strategischer Sicht positioniert sich Tecno damit in einem wettbewerbsintensiven Marktsegment: Hersteller suchen nach Wegen, echtes optisches Zoom in schlanken Smartphone-Gehäusen unterzubringen, und experimentieren gleichzeitig mit neuen optischen Konzepten und Softwareintegration. Die Auswahl von Samsung und Largan als Produktionspartner signalisiert, dass Tecno sowohl auf etablierte optische Fertigungskompetenz als auch auf große Volumenkapazität setzt.
Die Entscheidung für eine Technologie hängt auch von Preispunkt, Zielgruppe und Lieferkettenfähigkeit ab: Mirror-basierte Module könnten schneller und kosteneffizienter in Massenproduktion gehen, während Freeform-Optiken möglicherweise höhere Stückkosten und initialen Ausschuss erfordern, dafür aber ein differenzierteres, höherwertiges Bildergebnis liefern.
TIM: vom reinen Lichtfang zum Verständnis von Szenen
Tecno koppelt diese optischen Neuerungen mit seinem Software-Stack, der Tecno Image Matrix (TIM). TIM wird als durchgängiger, vierschichtiger Technologie-Stack beschrieben, der Algorithmen für Aufnahme, Verarbeitung und Szenenverständnis vereint. Diese Kombination aus Hardware und Software ist ein zentrales Element moderner Smartphone-Fotografie, weil sie physikalische Limitationen der Optik durch intelligente Verarbeitung teilweise kompensieren kann.
Wie Xiaohan Huang, Direktor des Image R&D Center von Tecno, es formulierte: ‚Wir bewegen uns weg vom bloßen Einfangen von Licht hin zum intelligenten Verständnis von Szenen. Unsere Systeme analysieren jetzt Aufnahmeabsicht, Motivmerkmale und sogar emotionale Tonalität, um Bilder zu liefern, die sowohl technisch präzise als auch emotional stimmig sind.‘
In der Praxis bedeutet TIM mehrere Dinge:
- Sensor- und Multi-Frame-Fusion: Zusammensetzen von Daten aus mehreren Belichtungen, um Dynamikumfang und Detailreichtum zu erhöhen.
- Optik-Profile und Linsen-Korrektur: automatische Anpassung an die spezifischen Verzerrungen, Farbverschiebungen oder Vignettierung eines Objektivs (z. B. Dual-Mirror vs. Freeform).
- Neurales Szenenverständnis: Klassifikation von Szenentypen, Erkennung von Subjekten und Anwendungsintention (z. B. Porträt vs. Landschaft), um Entscheidungen zur Belichtung, Farbgebung und Schärfentiefe zu treffen.
- Ästhetische Abstimmung: Anwendung von tonalen Anpassungen und lokalen Kontrastkorrekturen, die den emotionalen Eindruck eines Fotos verstärken, ohne technische Mängel zu kaschieren.
Diese Softwareebenen sind insbesondere für Systeme mit variablem optischem Aufbau wichtig: Sie sorgen dafür, dass die Ausgabe über unterschiedliche Brennweiten hinweg konsistent wirkt — ein wichtiges Qualitätsmerkmal für Nutzer, die nahtlose Zoom-Erlebnisse erwarten. TIM adressiert auch praktische Probleme wie Weißabgleich-Differenzen zwischen verschiedenen Modulen, Schärfeniveau-Unterschiede und Kontrastunterschiede, die sonst beim Wechseln zwischen Sensoren auffallen würden.

Für Smartphone-Fotografen bedeutet die Kombination aus Freeform- oder Dual-Mirror-Optik mit TIM: weniger Kompromisse zwischen optischer Qualität und kompakter Bauweise. Technologien wie Sensorkalibrierung, Echtzeit-ISP-Optimierung und KI-gestützte Rauschunterdrückung arbeiten zusammen, um gleichmäßige Bildqualität, schnellere Fokussierung und konsistente Farben zu liefern — auch wenn die physikalischen Bedingungen (Lichtstärke, Bewegung, Distanz zum Motiv) variieren.
Zusätzlich eröffnet TIM neue Möglichkeiten für kreative Werkzeuge: adaptive Bokeh-Modelle, die das charakteristische Donut-Bokeh einer Spiegeloptik berücksichtigen; hybride Bildmodi, die optisches Zoom mit digitaler Super-Resolution kombinieren; und kontextabhängige Videostabilisierungsmodi, die bei Drehbewegungen zwischen 1x und 9x flüssigere Ergebnisse liefern.
Auf Seiten der Einschränkungen muss man realistisch bleiben: höhere Rechenlast durch komplexe Algorithmen wirkt sich auf Energieverbrauch und Wärmeentwicklung aus. Tecno arbeitet an Hardware-beschleunigten Pipelines und effizienteren neuronalen Modellen, um eine gute Balance zwischen Bildqualität, Reaktionszeit und Akkunutzung zu finden.
Ob Sie nahtloses optisches Zoom, kompakte Tele-Hardware oder ein kreatives Bokeh bevorzugen — Tecnos zwei Ansätze zeigen die Bereitschaft, Optik und Software gemeinsam zu erforschen und traditionelle Annahmen darüber infrage zu stellen, was eine Smartphone-Kamera leisten kann. Die Kombination aus innovativer Optik, leistungsfähiger Fertigung (Samsung, Largan) und intelligenter Bildverarbeitung (TIM) positioniert Tecno als aktiven Teilnehmer im Rennen um besseres Smartphone-Zoom und optische Vielfalt.
In der kommenden Produktgeneration könnten wir sehen, wie diese Technologien in verschiedenen Marktsegmenten eingesetzt werden: Dual-Mirror-Module in dünneren Mittelklasse- bis High-End-Modellen, Freeform-Periskope in Premium-Geräten, die kompromisslose Bildqualität bei variablen Brennweiten bieten wollen. Letztlich werden die Benutzerpräferenzen und die Fertigungskosten entscheiden, welcher Ansatz sich durchsetzt oder ob beide parallel existieren werden.
Für Entwickler, Fotografen und technisch interessierte Nutzer bieten beide Konzepte interessante Perspektiven: sie erweitern die Möglichkeiten für optisches Zoom, liefern neue ästhetische Optionen bei der Bildgestaltung und treiben die Synergie zwischen Optik-Engineering und computational photography voran. Das Ergebnis könnte eine neue Generation von Smartphones sein, die bei Teleaufnahmen näher an die Leistung klassischer Kameras heranrückt — ohne die Kompaktheit und Alltagstauglichkeit moderner Mobilgeräte zu opfern.
Quelle: gsmarena
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