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Neue topische Therapie stellt Lesesicht schnell wieder her
Stellen Sie sich vor, Sie könnten Ihre Lesebrille weglegen und mit einer einfachen lokalen Behandlung wieder eine scharfe Nahsicht erlangen. Neue klinische Daten, vorgestellt auf dem 43. Kongress der European Society of Cataract and Refractive Surgeons (ESCRS), zeigen, dass eine kombinierte Augentropfenformulierung bereits innerhalb einer Stunde messbare Verbesserungen der Nahsicht bewirken kann und bei vielen Patienten Monate bis Jahre anhaltende Vorteile bietet.
Studienaufbau, Patientengruppe und Methoden
Diese retrospektive Ein-Zentren-Analyse wertete die Ergebnisse von 766 Patienten aus, die im Center for Advanced Research for Presbyopia in Buenos Aires behandelt wurden. Die Teilnehmenden (373 Frauen, 393 Männer; Durchschnittsalter 55 Jahre) erhielten eine von drei Formulierungen, die eine feste Diclofenac‑Dosis (ein nichtsteroidales Antirheumatikum) mit Pilocarpin in Konzentrationen von 1 %, 2 % oder 3 % kombinierten. Pilocarpin ist ein cholinerger Agonist, der die Pupille verengt und den Ziliarmuskel anregt, um die Nahakkommodation zu verbessern; Diclofenac wurde hinzugefügt, um lokale Entzündungen zu reduzieren und pilocarpinbedingte Beschwerden abzumildern.
Die Patienten applizierten die Tropfen zweimal täglich – in der Regel beim Aufwachen und etwa sechs Stunden später – mit einer optionalen dritten Dosis bei Bedarf. Die Untersucher ermittelten die unkorrigierte Nahsehschärfe (UNVA) mit der Jaeger-Tafel vor der Behandlung, eine Stunde nach der ersten Anwendung und bei geplanten Nachkontrollen über einen maximalen Zeitraum von zwei Jahren.
Wesentliche Ergebnisse: schnelle und anhaltende Nahsichtverbesserungen
Über alle Gruppen hinweg zeigten die Patienten schnelle Verbesserungen der UNVA. Eine Stunde nach der Erstapplikation betrug die durchschnittliche Verbesserung 3,45 Jaeger-Linien. Die Reaktion variierte mit der Pilocarpinkonzentration und dem Schweregrad der Presbyopie zu Studienbeginn: 99 % der 1%-Gruppe (148 Patienten) erreichten eine optimale Nahsicht und lasen zwei oder mehr zusätzliche Jaeger-Linien. In der 2%-Kohorte lasen 69 % von 248 Patienten drei oder mehr zusätzliche Linien; in der 3%-Kohorte erreichten 84 % von 370 Patienten drei oder mehr zusätzliche Linien.

Die Nachhaltigkeit war bemerkenswert: Die mittlere Dauer des Nutzens betrug 434 Tage, und etwa 83 % der Patienten behielten nach 12 Monaten eine funktionale Nahsicht. In dieser Serie wurden keine schweren Komplikationen wie anhaltende Erhöhungen des Augeninnendrucks oder Netzhautablösungen berichtet.
Nebenwirkungen und Verträglichkeit
Berichtete Nebenwirkungen waren insgesamt meist leicht und vorübergehend. Die häufigste Beschwerde war eine vorübergehende Verschattung der Sicht (32 %), gefolgt von Reizungen bei der Instillation (3,7 %) und Kopfschmerzen (3,8 %). In dieser Kohorte brach kein Teilnehmer die Therapie aufgrund von Nebenwirkungen ab. Die Autoren wiesen auf bekannte pilocarpinassoziierte Risiken hin – Augenrötung, vermehrtes Tränen, Probleme bei der Anpassung an Dämmerlicht, Schwierigkeiten beim Wechsel des Fokus, Photophobie und in seltenen Fällen Glaskörpertrübungen oder Netzhautereignisse – und warnten vor längerer Anwendung topischer NSAR und einem möglichen Hornhautrisko.
Wirkmechanismus und individualisierte Dosierung
Die Formulierung nutzt zwei komplementäre pharmakologische Wirkungen: Pilocarpin erhöht die Tiefenschärfe durch Miose (Pupillenverengung) und verstärkte Kontraktion des Ziliarmuskels, während Diclofenac entzündliche Reaktionen abschwächt, die bei cholinerger Stimulation auftreten können. Die Untersucher beobachteten, dass Patienten mit leichterer Presbyopie mit der 1%-Pilocarpin-Formulierung optimale Verbesserungen erzielten, während diejenigen mit stärkerem Nahsehverlust typischerweise die 2%- oder 3%-Konzentration für klinisch relevante Gewinne benötigten. Dies deutet auf ein Potenzial zur Dosisanpassung basierend auf den Ausgangs-Jaeger-Werten und dem Schweregrad der Symptome hin.
Einschränkungen und Expertenperspektiven
Als retrospektive Ein-Zentren-Studie sind die Ergebnisse eher hypothesengenerierend als endgültig. Selektionsbias, das Fehlen von Randomisierung oder verblindetem Vergleich sowie variable Nachuntersuchungsintervalle schränken die Generalisierbarkeit ein. ESCRS-nahe Experten hoben das Potenzial einer pharmakologischen, nicht-chirurgischen Option hervor und forderten größere, multizentrische randomisierte kontrollierte Studien, um Sicherheit und Langzeitwirksamkeit zu bestätigen und die Patientenauswahl besser zu definieren.
Experteneinschätzung
Dr. Elena Marques, klinische Augenärztin und Kommunikationsexpertin für Sehwissenschaften, bemerkt: 'Diese Ergebnisse sind ermutigend für Patientinnen und Patienten, die eine nichtinvasive Behandlung der Presbyopie suchen. Der rasche Wirkeintritt ist klinisch bedeutsam, insbesondere für diejenigen, die Lesebrillen als umständlich empfinden. Dennoch sollten Kliniker Nutzen und die bekannten Risiken von Pilocarpin und topischen NSAR abwägen und realistische Erwartungen besprechen – Tropfen können die Abhängigkeit von Brillen verringern, ersetzen aber nicht zwingend die Sehhilfe für jede Person vollständig.'
Nächste Schritte und Forschungsrichtungen
Die Autoren planen prospektive Studien, die Lebensqualitätsmessungen, objektive akkommodative Reaktionen und langfristige okuläre Sicherheit erfassen. Breitere Studien sollten feste Formulierungen gegen Placebo und alternative pharmakologische Strategien vergleichen, die nächtliche Sehfunktion und den Kontrastempfindlichkeit prüfen sowie seltene, aber schwerwiegende Nebenwirkungen über längere Expositionszeiträume überwachen.
Fazit
Eine Kombination aus Pilocarpin und Diclofenac, verabreicht als topische Augentropfen, führte in einer großen retrospektiven Kohorte zu schnellen, dosisabhängigen Verbesserungen der Nahsehschärfe, mit bei vielen Patienten monatelang bis jahrelang anhaltenden Vorteilen und überwiegend milden Nebenwirkungen. Obwohl vielversprechend als nichtinvasive Option zur Verringerung der Abhängigkeit von Lesebrillen, bedürfen diese Ergebnisse der Bestätigung in randomisierten, multizentrischen Studien, bevor sie routinemäßig angewendet werden. Für Kliniker und Patienten erweitern die Befunde das therapeutische Spektrum bei Presbyopie und unterstreichen den Wert individualisierter pharmakologischer Ansätze neben optischen und chirurgischen Optionen.
Quelle: scitechdaily
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