KI-Simulationen klären FAPbI3-Struktur für Solarzellen

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KI-Simulationen klären FAPbI3-Struktur für Solarzellen

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Der weltweit steigende Strombedarf verstärkt die Suche nach Solarwerkstoffen der nächsten Generation, die effizient, leicht und kostengünstig sind. Forschende der Chalmers University of Technology in Schweden haben maschinelles Lernen mit großskaligen atomistischen Simulationen kombiniert, um eine zuvor ungeklärte Niedertemperaturstruktur von Formamidinium-Blei-Iodid zu klären – einem führenden Halogenid-Perowskit-Kandidaten für fortschrittliche Solarzellen.

Formamidinium-Blei-Iodid gilt als eines der leistungsfähigsten Materialien innerhalb der Halogenid-Perowskite, da es vielversprechende optoelektronische Eigenschaften für zukünftige Solarzellentechnologien bietet. Die neuen Erkenntnisse aus Chalmers beleuchten jetzt seine Struktur; das ist entscheidend, wenn wir das Material technisch steuern und optimieren wollen. Credit: Chalmers

Wissenschaftlicher Hintergrund

Halogenid-Perowskite sind eine Familie kristalliner Halbleiter, die die photovoltaische Forschung in den letzten zehn Jahren revolutioniert haben. Ihre Vorteile umfassen starke Lichtabsorption, einstellbare Bandlücken und die Aussicht auf kostengünstige Fertigungsverfahren. Formamidinium-Blei-Iodid (häufig als FAPbI3 abgekürzt) sticht durch hervorragende optoelektronische Eigenschaften hervor. Gleichzeitig ist es durch strukturelle Instabilität und Degradationsprozesse unter realen Betriebsbedingungen eingeschränkt. Eine atomare Beschreibung der Phasen, der Bewegung der organischen Kationen und der Wechselwirkungen zwischen Gitter und Ladungsträgern ist unerlässlich, um stabile, hocheffiziente Perowskit-Solarzellen zu entwickeln.

Die Stabilität von FAPbI3 hängt maßgeblich von Phasenübergängen innerhalb des Kristallgitters ab: Bestimmte Gitteranordnungen liefern die günstigen elektronischen Eigenschaften für Solarzellen, während andere kristalline Formen zu schlechteren Leistungswerten und schnellerer Alterung führen können. In der Praxis versuchen Materialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, Kompositionen und Produktionsprozesse so zu gestalten, dass die gewünschte Hochtemperatur-Phase erhalten bleibt oder stabilisiert wird — oft durch Mischung von Kationen, Halogeniden oder Zusatzstoffen. Um solche Strategien gezielt zu entwickeln, benötigt man jedoch verlässliche, atomar aufgelöste Modelle, die auch dynamische Effekte wie das Einfrieren organischer Bestandteile bei Abkühlung vorhersagen.

KI-gestützte Simulationen und zentrale Ergebnisse

Die Forschenden an der Chalmers University haben validierte Rechenmodelle genutzt und diese mit maschinell gelernten Potenzialen ergänzt, um Simulationszeiten und -längenordnungen um mehrere Größenordnungen zu erweitern. Solche hybriden Methoden erlauben es, Systeme mit Millionen von Atomen zu modellieren und Phasenübergänge zu untersuchen, die mit herkömmlichen First-Principles-Rechnungen (z. B. Dichtefunktionaltheorie) praktisch unerreichbar wären. Durch die Kombination von Präzision auf atomarer Ebene mit der Skalierbarkeit datengetriebener Potenziale lassen sich thermische Prozesse, Anordnungen organischer Kationen und lokale Gitterverzerrungen über realistische räumliche und zeitliche Skalen verfolgen.

Mit diesen Werkzeugen konnten die Forschenden detailliert beobachten, wie sich Formamidinium-Moleküle innerhalb des Gitterraums neu orientieren, wie strukturelle Domänen entstehen und wie sich diese Prozesse auf elektronische Eigenschaften auswirken können. Solche Beobachtungen sind nicht nur für die reine Grundlagenforschung relevant, sondern liefern auch konkrete Parameter und Hypothesen, mit denen experimentelle Gruppen gezielt Materialmischungen und Verarbeitungsbedingungen testen können.

Warum maschinelles Lernen wichtig ist

Maschinell gelernte interatomare Potenziale reduzieren die Rechenkosten molekulardynamischer Simulationen drastisch, während sie eine chemische Genauigkeit aufrechterhalten, die für viele Fragestellungen ausreichend ist. Diese Potenziale — häufig realisiert durch neuronale Netzwerke, Gaussian Approximation Potentials (GAP) oder ähnliche Verfahren — werden auf hochgenauen Referenzdaten trainiert und können dann komplexe Energieflächen in viel höheren Dimensionen effizient approximieren. Dadurch ist es möglich, langzeitliche Dynamik, thermisch aktivierte Prozesse und mesoskalige Effekte in großem Maßstab zu simulieren.

Ein praktisches Beispiel: Während eine konventionelle Dichtefunktionaltheorie-Rechnung nur wenige hundert Atome über Pikosekunden simulieren kann, erlauben maschinell gestützte Potenziale Simulationen mit Millionen von Atomen über Nanosekunden oder länger. Das macht sichtbar, wie lokale Fluktuationen und kollektive Phasenübergänge ablaufen — Informationen, die sich direkt in parametrischen Empfehlungen für Materialzusammensetzung, Temperaturbehandlung und Schichtdicke übersetzen lassen. Insgesamt erhöht diese Methodenkombination die Vorhersagekraft für reale, fehleranfällige Herstellungsprozesse.

Geklärte Strukturfrage

Die Simulationen identifizierten die detaillierte Atomordnung in der zuvor schwer fassbaren Niedertemperaturphase und zeigten, dass organische Kationen während des Abkühlens in eine halb-stabile Konfiguration eingeschlossen werden können. Dieses strukturelle Bild schließt eine langjährige Wissenslücke zur fundamentalen Beschaffenheit von FAPbI3 und liefert konkrete Parameter, die Experimentalgruppen und Geräteentwickler nutzen können, um Materialmischungen und Verarbeitungsstrategien zu optimieren.

Der gefundene Mechanismus erklärt, warum bestimmte Herstellungsrouten und Temperaturprofile zu stabileren Proben führen, während andere zu schnellen Phasenübergängen und damit verbundenen Leistungseinbußen neigen. Indem man versteht, welche lokalen Anordnungen die gewünschte elektronische Leitfähigkeit und Bandstruktur unterstützen, lassen sich gezielte Eingriffe planen: etwa das kontrollierte Dotieren, die Zugabe kleiner Mengen an Cs- oder FA-Hybriden, oder gezielte Nachbehandlungen, um Kationenumorientierungen zu beeinflussen.

„Wir verfügen nun über Simulationstools, die Fragen beantworten können, die vor wenigen Jahren noch außerhalb unserer Reichweite lagen“, sagt Julia Wiktor, Associate Professor und Principal Investigator an der Chalmers University. Sangita Dutta, Forscherin aus dem Projektteam, ergänzt, dass die Aufklärung der Niedertemperaturphase eine kritische Unbekannte im Materialdesign eliminiert und damit Robustheit bei der Entwicklung neuer Perowskit-Formulierungen fördert.

Experimentelle Validierung und Folgen

Zur Bestätigung der Modelle kühlten Kooperationspartner an der University of Birmingham Proben auf etwa −200 °C ab und verglichen Laborwerte mit simulierten Signaturen. Die experimentellen Daten zeigten Übereinstimmung mit vorhergesagten strukturellen Motiven und erhöhten damit das Vertrauen in den kombinierten Rechen–Experiment-Ansatz. Solche Kreuzvalidierungen sind zentral, um sicherzustellen, dass die modellierten Energieprofile und Konformationszustände nicht nur rechnerische Artefakte, sondern reale physikalische Phänomene widerspiegeln.

Die Bestätigung durch Messungen stärkt die Aussagekraft von Simulationsergebnissen und liefert praktikable Experimentdesigns: Zum Beispiel können Messreihen zur Temperaturabhängigkeit, zeitaufgelöste Spektroskopie oder hochauflösende Beugungsmethoden gezielt eingesetzt werden, um konkrete Vorhersagen der Modelle zu testen. In der Praxis bedeutet dies, dass Materialhersteller und Laborgruppen besser informiert sind, welche Probenvorbereitungen und Messprotokolle aussagekräftige Daten liefern.

Die gewonnenen Einsichten beeinflussen, wie Forschende Zusammensetzungen abstimmen (beispielsweise durch Mischung verschiedener Halogenid-Perowskite), um Degradation zu verringern und die Stabilität in photovoltaischen Modulen sowie in optoelektronischen Bauelementen wie Leuchtdioden zu verbessern. Indem die mikroskopischen Verhaltensweisen aufgedeckt werden, ebnet die Studie den Weg für vorhersehbarere Materialentwicklung und für die Skalierung von Perowskit-Technologien hin zu flexiblen Dünnschicht-Solarzellen, die in Elektronik, Fassadelemente oder tragbare Geräte integriert werden könnten.

Darüber hinaus hat die Arbeit Relevanz für Fragen der Langzeitstabilität und Umweltbeständigkeit: Werden bekannte Einfangzustände oder metastabile Konfigurationen identifiziert, lassen sich gezielte Stabilisierungstechniken entwickeln, etwa Oberflächenpassivierung, Schutzschichten oder thermische Behandlungsprofile, die die Bildung schädlicher Phasen verhindern. Das ist entscheidend, um Perowskite aus dem Labor in kommerziell nutzbare Produkte zu überführen.

Schlussfolgerung

Die Forschung an der Chalmers University zeigt, wie maschinelles Lernen und großskalige Simulationen komplexes Phasenverhalten in Halogenid-Perowskiten aufklären können. Mit validierten atomaren Modellen für Formamidinium-Blei-Iodid gewinnen Forschende einen klareren Weg, um Stabilität und Leistung zu kontrollieren — ein entscheidender Fortschritt für Solarzellen der nächsten Generation und verwandte optoelektronische Technologien.

Langfristig ermöglicht dieser Ansatz eine gezieltere Materialentwicklung: von der Auswahl stabilisierender Zusatzstoffe über optimierte Prozessbedingungen bis hin zur Integration in reale Bauelemente. Die Kombination aus Vorhersagemodellen und experimenteller Verifikation kann Entwicklungszyklen drastisch verkürzen und die Transferleistung von Laborverfahren in industriell relevante Produktionsprozesse verbessern. Dadurch rückt die Vision näher, leistungsfähige, flexible und kostengünstige Perowskit-Solarzellen breit einzusetzen und so einen Beitrag zur globalen Energiewende zu leisten.

Quelle: scitechdaily

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