GENIUS Act: Droht eine Flucht der Einlagen zu Stablecoins?

Der GENIUS Act schafft regulatorische Klarheit für Stablecoins — aber Lücken könnten Einzelkundeneinlagen in renditestarke Stablecoins treiben. Banken, Big Tech und Regulatoren stehen vor kniffligen Entscheidungen.

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GENIUS Act: Droht eine Flucht der Einlagen zu Stablecoins?

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Der GENIUS Act, ein kürzlich verabschiedetes Gesetz mit Fokus auf Stablecoins, könnte Sparer und Zahlungsverkehr grundlegend verändern. Während das Gesetz selbst bestimmte Direktzahlungen von Renditen an Token-Inhaber untersagt, öffnen unklare Formulierungen Spielräume — und das könnte Banken, Regulatoren und Verbraucher vor neue Herausforderungen stellen.

Was der GENIUS Act regelt — und wo die Lücken liegen

Der Kern des Gesetzes zielt darauf ab, stabile Kryptowährungen (Stablecoins) zu standardisieren und die Transparenz zu erhöhen. Explizit verboten ist, dass Emittenten von Stablecoins direkt Zinsen oder Renditen an Token-Inhaber auszahlen. Das klingt, als wolle der Gesetzgeber genau die Praxis verhindern, die Spareinlagen aus dem Bankensystem abziehen könnte.

Die rechtliche Feinzeichnung: Partnerschaften und indirekte Angebote

Wichtig ist jedoch eine Einschränkung: Das Gesetz verbietet nicht klar, dass Handelsplattformen, Börsen oder angeschlossene Dienstleister Renditeprodukte anbieten, die an Stablecoins gekoppelt sind. Diese potenzielle Hintertür erlaubt es Drittparteien, über sogenannte yield-like Produkte Erträge zu verteilen, ohne dass der Emittent selbst als Zahler auftritt. Bankenverbände haben daher bereits gefordert, diese Lücke zu schließen — aus Sorge um die Stabilität des traditionellen Einlagensystems.

Wer spricht darüber? Stimmen aus der Branche

Tushar Jain, Mitgründer von Multicoin Capital, warnt vor einer möglichen Abwanderung von Einzelkundeneinlagen in renditeträchtigere Stablecoin-Angebote. Seine Argumentation basiert auf einem simplen Anreizmechanismus: Wenn Verbraucher gleichen oder besseren Schutz in Kombination mit deutlich höheren Renditen erhalten, entscheiden sie sich rational für den besseren Ertrag.

Warum das für Privatsparer relevant ist

Stellen Sie sich vor, Ihr Tagesgeldkonto bietet 0,4% Zinsen — und Sie könnten über eine Krypto-Plattform kurzfristig 3–4% erzielen. Das ist kein theoretisches Szenario: Durchschnittliche US-Sparkonten liegen bei rund 0,40%, in Europa sind es nahe 0,25%. Dagegen zeigen manche zentralisierten Plattformen und DeFi-Protokolle aktuell deutlich höhere Erträge für beliebte Stablecoins wie USDT oder USDC.

Konkrete Renditen und Beispiele

Plattformen wie Aave, ein bekanntes dezentralisiertes Kreditprotokoll, zeigen beispielsweise USDT-Renditen im Bereich von etwa 4,02% und USDC-Renditen nahe 3,69% (Zahlen können je nach Zeitpunkt und Quelle schwanken). Solche Unterschiede schaffen einen starken Anreiz, Gelder aus klassischen Sparprodukten in Stablecoins zu transferieren — zumal Zahlungen in Stablecoins schnell, rund um die Uhr und mit sofortiger Abwicklung möglich sind.

DeFi vs. zentrale Anbieter: Unterschiede im Risiko

Dezentrale Finanzprotokolle (DeFi) und zentralisierte Krypto-Plattformen unterscheiden sich nicht nur in der technischen Architektur, sondern auch in Risiko-Profilen. DeFi bietet Transparenz auf Smart-Contract-Ebene, birgt jedoch Smart-Contract- und Liquiditätsrisiken. Zentralisierte Anbieter sind oft verwahrt, unterliegen aber Counterparty-Risiken und regulatorischen Unsicherheiten. Verbraucher müssen diese Unterschiede verstehen, bevor sie Gelder verschieben.

Bankensektor alarmiert: Systemische Risiken und Politikreaktionen

US-Bankenverbände schlagen Alarm. Ihre Sorge: Eine großflächige Verlagerung von Einlagen könnte das Geschäftsmodell der Banken bedrohen, weil Einlagen die wichtigste Refinanzierungsquelle für Kreditvergabe darstellen. Weniger Einlagen bedeuten weniger Kredite zu vergeben oder höhere Refinanzierungskosten — und das kann die Zinsen für Unternehmen und Haushalte erhöhen.

Schätzungen zur Größenordnung

Das US-Finanzministerium schätzte im April, dass ein massenhaftes Umsteigen auf Stablecoins bis zu 6,6 Billionen US-Dollar aus dem Bankensystem drücken könnte. Solche Zahlen verdeutlichen, warum Regulatoren und Politik an möglichen Nebenwirkungen interessiert sind: Es geht nicht nur um Innovation, sondern um das Funktionieren des gesamten Kredit- und Zahlungsmarktes.

Was die Forschung sagt

Analysen von Think-Tanks wie dem Bank Policy Institute weisen darauf hin, dass in Stressphasen eine Schnellabhebung von Einlagen in renditeträchtige Stablecoin-Angebote Kreditvergabe einschränken, Finanzierungskosten erhöhen und die Realwirtschaft belasten könnte. Es besteht damit ein klarer Trade-off zwischen Verbraucherwahl/Innovation und makrofinanzieller Stabilität.

Wie Banken reagieren könnten — und welche Rolle Big Tech spielt

Banken haben zwei Hauptoptionen: Sie erhöhen die Einlagenzinsen, um konkurrenzfähig zu bleiben, oder sie entwickeln eigene, regulierte Stablecoin- und Kryptoprodukte. Beides wäre teuer — erhöhte Zinszahlungen drücken die Nettozinsmarge, eigene Crypto-Angebote erfordern Technologie und Compliance-Investitionen.

Big Tech als Spielveränderer?

Tech-Giganten mit großen Nutzerbasen wie Apple, Google, Meta oder Zahlungsdienstleister könnten als Distributoren fungieren. Berichte deuten darauf hin, dass einige dieser Firmen Stablecoin- oder Krypto-Initiativen geprüft haben, um Gebühren zu senken oder grenzüberschreitende Zahlungen zu verbessern. Würden sie in den Markt eintreten, erhöht das die Reichweite und Vertrauenswürdigkeit von Stablecoin-Angeboten erheblich.

Warum Big Tech einen Vorteil hätte

  • Massive Nutzerbasen und vertraute Zahlungs-UX;
  • Skaleneffekte, die niedrige Gebühren erlauben;
  • Möglichkeit, Ökosysteme (Wearables, Apps, Marktplätze) zu integrieren;
  • Kapitalstärke für regulatorische Investitionen und Liquiditätspools.

Marktgröße, Konzentration und Wachstumsprognosen

Der Stablecoin-Markt ist bereits heute massiv. Nach CoinGecko-Daten liegt die Marktkapitalisierung bei etwa 308,3 Milliarden US-Dollar, dominiert von Tether (USDT) mit rund 177 Milliarden und Circle’s USDC mit etwa 75,2 Milliarden. Das ist zentralisiert, aber liquide — ein Zustand, der für Zahlungsanwendungen attraktiv ist.

Wachstumspotenzial

Das US-Finanzministerium prognostizierte, dass der Markt bis 2028 auf bis zu 2 Billionen US-Dollar wachsen könnte — das wäre ein Plus von rund 566% gegenüber heutigen Werten, wenn die aktuelle Expansion anhält. Solche Wachstumsraten würden erhebliche Auswirkungen auf bestehende Finanzinfrastrukturen haben.

Renditen, Liquidität und regulatorisches Gleichgewicht

Höhere Renditen auf Stablecoins sind ein Kerntreiber der Attraktivität. Doch Rendite kommt nicht kostenlos: Sie entsteht durch Kreditvergabe, Arbitrage, Liquiditätsprovider und institutionelle Nachfrage. Daraus resultieren Fragen zur Liquiditätssicherheit — etwa wie schnell große Auszahlungen bedient werden können — sowie zur Herkunft der Erträge.

Regulatorische Dilemmata

Politiker stehen vor einem Balanceakt. Auf der einen Seite steht Innovationsförderung: schnellere Zahlungen, reduzierte Gebühren und mehr Wahlfreiheit für Verbraucher. Auf der anderen Seite steht die Pflicht, finanzielle Stabilität, Verbraucherschutz und die Kreditversorgung der Realwirtschaft zu sichern. Entscheidend wird, ob Gesetzgeber Lücken schließen, die indirekte Renditeangebote erlauben — und wie streng Verwahrung, Reservehaltung und Kapitalanforderungen ausgestaltet werden.

Risikoarten, die zu berücksichtigen sind

  • Liquiditätsrisiko: Können Plattformen bei Massenabhebungen bestehen?
  • Gegenparteirisiko: Wer haftet bei Ausfällen zentralisierter Anbieter?
  • Operationelles Risiko: Smart-Contract-Fehler, Hacks, Fraud;
  • Makroökonomisches Risiko: Reduzierte Einlagen können Kreditvergabe und Investitionen beeinträchtigen.

Praktische Szenarien: Was könnten Verbraucher erwarten?

In den nächsten 12 bis 36 Monaten sind mehrere Szenarien denkbar. Eines ist ein sukzessiver, experimenteller Wechsel: Anbieter testen Yield-Produkte, Banken bieten höhere Zinsen — und Verbraucher splitten Gelder zwischen traditionellen Konten und Stablecoin-Produkten. Ein anderes, extremeres Szenario wäre eine beschleunigte Migration, getrieben von attraktiven, einfach zugänglichen Angeboten großer Tech-Plattformen oder Krypto-Börsen.

Was das für Konsumenten bedeuten kann

Für Verbraucher könnte das mehr Auswahl, höhere kurzfristige Renditen und schnellere Zahlungen bedeuten. Gleichzeitig steigt die Notwendigkeit zur Informiertheit: Welche Absicherungen existieren? Wer garantiert die Rückzahlung? Welche regulatorischen Schutzmechanismen greifen im Fall eines Ausfalls?

Tipps für Sparer

  • Verstehen Sie die Gegenpartei: Ist Ihr Stablecoin durch Reserven gedeckt?
  • Beurteilen Sie Liquiditätsbedingungen: Gibt es Sperrfristen oder Withdrawal-Limits?
  • Streuen Sie Risiken: Halten Sie nicht alle Mittel in einer Anlageklasse;
  • Prüfen Sie Versicherung und Einlagensicherung: Im Krypto-Bereich sind diese oft anders ausgestaltet als bei Banken.

Was Regulatoren jetzt tun könnten

Policy-Maker haben mehrere Hebel: Sie können Vorschriften zur Reservenhaltung, transparente Audits, Beschränkungen für indirekte Renditeangebote oder Anforderungen an Liquiditätspuffer einführen. Eine weitere Option wäre die Integration von Stablecoins in das bestehende Einlagensicherungssystem — was jedoch komplex und politisch heikel wäre.

Internationale Koordination

Da Stablecoins grenzüberschreitend wirken, ist internationale Abstimmung wichtig. Unterschiedliche Regeln in den USA, Europa oder Asien könnten Arbitrage und regulatorische Fluchtbewegungen fördern. Globale Standardsetter wie der Basler Ausschuss oder der Financial Stability Board (FSB) könnten hier eine koordinierende Rolle übernehmen.

Warum dieses Thema über Krypto hinaus relevant ist

Es geht nicht nur um Technologie oder kurzfristige Renditen. Die Debatte berührt fundamentale Fragen darüber, wie Geld funktioniert, wer Zahlungsinfrastrukturen kontrolliert und wie Kreditvergabe in einer digitalen Wirtschaft organisiert wird. Innovative Zahlungsinstrumente können Effizienzgewinne bringen — aber sie verändern auch Machtverhältnisse zwischen Banken, Technologieplattformen und Konsumenten.

Wenn Sie sich fragen, ob Sie umschichten sollten: Die Antwort hängt von Ihrer Risikotoleranz, Ihrem Verständnis der Plattformen und Ihrem Anlagehorizont ab. Stablecoins und die Neuerungen um den GENIUS Act sind ein wichtiges Experiment in der Finanzwelt. Es bleibt spannend zu beobachten, wie Gesetzgeber, Banken und Tech-Firmen dieses Spielfeld neu vermessen.

Quelle: cointelegraph

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