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Eine neue Meta-Analyse deutet darauf hin, dass die Übertragung gesunder Darmmikroben auf Menschen mit Depression die Symptome lindern kann – besonders dann, wenn das mikrobiologische Material direkt in den Dickdarm verabreicht wird. Der Effekt scheint bei Patientinnen und Patienten mit gleichzeitigem Reizdarmsyndrom (IBS) am stärksten zu sein, kann aber nach etwa sechs Monaten nachlassen.
Was die Übersichtsarbeit untersuchte und warum sie wichtig ist
Ein Forschungsteam unter Leitung von Xiaotao Zhang an der Nanjing-Universität wertete Daten aus 12 randomisierten, kontrollierten Studien aus, die zwischen 2019 und 2024 durchgeführt wurden. Insgesamt nahmen 681 Teilnehmende aus China, den USA, Australien, Kanada und Finnland an diesen Studien teil. Die Analyse, veröffentlicht in Frontiers in Psychiatry, untersuchte, ob die Fäkalmikrobiota-Transplantation (FMT) – also die Übertragung einer gesunden Gemeinschaft von Darmmikroben von einer Person auf eine andere – depressive Symptome bei Major Depression reduzieren kann.
Das zentrale Ergebnis: FMT zeigte messbare antidepressive Effekte. Die stärksten und nachhaltigsten Verbesserungen traten auf, wenn das Spendermaterial rektal verabreicht wurde (etwa per Koloskopie, Einlauf oder anderen unteren Darmwegen) und nicht oral eingenommen wurde. Der Nutzen war besonders ausgeprägt bei Menschen mit begleitendem Reizdarmsyndrom (IBS), einer Erkrankung, die seit langem mit Veränderungen der Zusammensetzung des Darmmikrobioms in Verbindung gebracht wird.
Diese Ergebnisse sind bedeutsam, weil sie einen potenziell neuen Therapieansatz für depressive Störungen aufzeigen, der über klassische Psychopharmaka und Psychotherapie hinausgeht. Gleichzeitig liefern die Daten Hinweise auf einen engen Zusammenhang zwischen Darmgesundheit, Mikrobiom-Zusammensetzung und psychischer Gesundheit – ein zentraler Aspekt der Forschung zu Darm-Hirn-Achse und Mikrobiomtherapien.
Wie Stuhltransplantate die Stimmung beeinflussen könnten
Das Darmmikrobiom ist ein komplexes Ökosystem aus Bakterien, Pilzen, Protisten und Viren, das bei der Verdauung hilft, das Immunsystem reguliert und über chemische sowie neuronale Signalwege mit dem Gehirn kommuniziert. Eine wachsende Zahl von Befunden verbindet Darmdysfunktion mit affektiven Störungen: Entzündungsprozesse, veränderte Metaboliten und immunologische Signalübertragung aus dem Darm können Hirnschaltkreise beeinflussen, die für Emotionen und Motivation relevant sind.

FMT zielt darauf ab, ein geschädigtes mikrobielles Ökosystem nach Krankheit, Antibiotikatherapie oder anderen Störungen wieder aufzubauen. Durch die Wiederherstellung einer vielfältigeren und ausgewogeneren Mikrobiomzusammensetzung hoffen Kliniker:innen, gastrointestinale Entzündungen zu reduzieren, metabolische Signale zu normalisieren und damit indirekt positive Rückkopplungen auf neuronale Signalwege im Gehirn zu erzielen. Die Autorinnen und Autoren der Übersichtsarbeit fassen diese Logik zusammen und berichten, dass zumindest bei einer Teilgruppe von Patientinnen und Patienten die Reetablierung einer diversen mikrobiellen Gemeinschaft mit einer Verbesserung depressiver Symptome zusammenfällt.
Mechanistisch werden mehrere Pfade diskutiert, die erklären könnten, wie eine FMT die Stimmung beeinflusst:
- Entzündungsmodulation: Bestimmte Darmbakterien produzieren kurzkettige Fettsäuren wie Butyrat, die antientzündliche Effekte haben und die Blut-Hirn-Schranke sowie die neuronale Homöostase unterstützen können.
- Neurotransmitter-Vorstufen: Darmbakterien sind an der Synthese oder Modulation von Vorstufen für Neurotransmitter wie Serotonin, GABA und Dopamin beteiligt, die Stimmung und Antrieb beeinflussen.
- Metabolit-Signalgebung: Metabolite des Mikrobioms (z. B. Indole, Phenole) können peripher und zentral wirken und neuroinflammatorische Pfade modulieren.
- Vagusnerv-Interaktion: Über nervale Wege, insbesondere den Vagusnerv, kann das Darmmikrobiom direkt neuronale Aktivität und Stressreaktionen beeinflussen.
Diese biologischen Mechanismen sind Gegenstand intensiver Forschung; ihre kausalen Zusammenhänge sind teilweise noch unklar und variieren wahrscheinlich zwischen Individuen je nach Ausgangs-Mikrobiom, Genetik, Ernährung und Komorbiditäten wie IBS.
Begrenzungen, Risiken und offene Fragen
Trotz vielversprechender Signale dämpfen wichtige Einschränkungen die Erwartungen. Die Nachbeobachtungszeiten in den einbezogenen Studien reichten von zwei Wochen bis zu zwölf Monaten, wobei einige Studien nur eine einzige FMT-Gabe untersuchten. Die Effektstärken nahmen etwa nach sechs Monaten ab, was darauf hindeutet, dass die positiven Wirkungen nicht dauerhaft sein müssen. Die Autorinnen und Autoren der Meta-Analyse fordern daher längere, gut kontrollierte randomisierte Studien mit standardisierten Depressionsmessinstrumenten, um die Dauerhaftigkeit und optimale Verabreichungsprotokolle zu klären.
Es bestehen außerdem Sicherheitsbedenken. Die Übertragung von Mikroben birgt Risiken, wenn das Spendermaterial Krankheitserreger oder Organismen enthält, die sich im neuen Wirt unerwartet verhalten. Mikroben, die im Dickdarm nützlich sind, können Schaden anrichten, wenn sie den Dünndarm besiedeln oder in einem immunsupprimierten Wirt Pathogenität entwickeln. Aus diesen Gründen muss FMT unter medizinischer Aufsicht mit strenger Spenderauswahl und mikrobiologischer Diagnostik erfolgen – nicht als Do-it-yourself-Maßnahme.
Weitere offene Fragen betreffen praktische Aspekte und Patientenselektion:
- Wer profitiert wirklich? Welche klinischen Merkmale (z. B. Schweregrad der Depression, gleichzeitige IBS-Symptomatik, vorherige Antibiotikatherapien) prognostizieren einen Behandlungserfolg?
- Welche Verabreichungsform ist optimal? Direkte rektale Applikation zeigte in der Analyse stärkere Effekte als orale Präparate, doch orale Kapseln sind einfacher zu verabreichen und könnten bei Langzeittherapie einen Vorteil bieten.
- Wie oft sind Wiederholungsbehandlungen nötig, um Effekte langfristig zu erhalten? Einige Studien deuten auf abklingende Effekte nach sechs Monaten hin.
- Welche Rolle spielen Ernährung, Probiotika oder begleitende Psychotherapien als synergistische Maßnahmen?
Schließlich ist die Heterogenität der Studienmethoden – unterschiedliche Spenderprofile, Aufbereitungsverfahren, Dosierungen und Outcome-Messungen – ein Hindernis für klare Schlussfolgerungen. Standardisierte Protokolle und transparente Datenteilung würden die Vergleichbarkeit verbessern und die Evidenzbasis stärken.
Klinische Implikationen und zukünftige Richtungen
Über Depression und Reizdarmsyndrom hinaus hat FMT in anderen Bereichen bereits klinisches Potenzial gezeigt, etwa bei rezidivierenden Clostridioides-difficile-Infektionen, und wird in Studien für metabolische Erkrankungen wie Adipositas und Typ-2-Diabetes untersucht. Einige Forschungsteams schlagen sogar vor, Stuhlproben junger, gesunder Personen zu konservieren (Stuhlbank), um sie später therapeutisch nutzen zu können. Solche Ideen werfen jedoch ethische, regulatorische und logistische Fragen auf.
Vor dem Hintergrund, dass weltweit schätzungsweise etwa 330 Millionen Menschen von Depression betroffen sind und ein erheblicher Anteil nicht auf vorhandene Behandlungen anspricht, eröffnen mikrobiomorientierte Therapien einen neuartigen Forschungs- und Behandlungsweg, der zusätzliche Optionen bieten könnte. Wichtig ist jedoch, die FMT als Ergänzung und nicht als Ersatz für etablierte Therapiestandards zu betrachten, bis robuste Langzeitdaten vorliegen.
Wie Zhang und Kolleginnen und Kollegen anmerken: ‚Fecal microbiota transplantation exerts a sustained and progressively enhanced antidepressant effect,‘ – frei übersetzt: ‚Die Fäkalmikrobiota-Transplantation übt einen anhaltenden und zunehmend verstärkten antidepressiven Effekt aus.‘ Dennoch benötigt das Feld größere und längere randomisierte Studien, um klar zu bestimmen, wer am meisten profitiert und wie erzielte Verbesserungen langfristig aufrechterhalten werden können.
Für die klinische Praxis bedeutet dies aktuell: FMT bleibt ein experimentelles Add-on zur etablierten Depressionsbehandlung. Patientinnen und Patienten, die mikrobiombasierte Therapien in Erwägung ziehen, sollten qualifizierte Fachärztinnen und -ärzte konsultieren und an regulierten klinischen Programmen teilnehmen statt auf eigenständige, unkontrollierte Verfahren zurückzugreifen.
Praktische Empfehlungen und Forschungsempfehlungen lauten:
- Strenge Spender- und Produktauswahl: Standardisierte Screening-Protokolle, inklusive mikrobiologischer, virologischer und parasitologischer Tests.
- Transparente Studienprotokolle: Einheitliche Outcome-Maße (z. B. HAM-D, MADRS), längere Follow-up-Intervalle und Bericht über Nebeneffekte.
- Personalisierte Ansätze: Berücksichtigung von Ausgangs-Mikrobiom, Ernährung, Komorbiditäten und genetischen Faktoren zur besseren Vorhersage des Therapieansprechens.
- Kombinationstherapien: Untersuchung, ob FMT in Kombination mit Psychotherapie, Pharmakotherapie oder Ernährungsinterventionen synergistische Effekte erzielt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die aktuelle Evidenz einen vielversprechenden, aber noch vorläufigen Eindruck vermittelt: FMT könnte bei ausgewählten Patientengruppen mit Depression und begleitender Darmproblematik eine zusätzliche Behandlungsoption darstellen, erfordert jedoch weitere Forschung zur Optimierung von Sicherheit, Wirksamkeit und Langzeitnutzen.
Quelle: sciencealert
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