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Astronominnen und Astronomen haben das bis heute empfindlichste, großflächige niederfrequente Radiobild unserer Galaxie erstellt und damit die Ebene der Milchstraße in bislang ungewohnter „Radiofarbe“ sichtbar gemacht. Die Karte kombiniert Jahre an Messdaten, um aufzuzeigen, wo Magnetfelder, heißes Gas und die Überreste längst vergangener Sternexplosionen am Himmel leuchten — und sie eröffnet neue Möglichkeiten, die Entwicklung unserer Galaxie besser zu verstehen.
Wie ein riesiges Radiomosaik entstand
Die Erstellung eines einzigen, kohärenten Porträts der Milchstraße bei niedrigen Radiowellenlängen erforderte zwei sich ergänzende Durchmusterungen, die mit dem Murchison Widefield Array (MWA) in Westaustralien durchgeführt wurden. Zwischen 2013 und 2015 durchmaß die ursprüngliche GLEAM-Kampagne den südlichen Himmel über ein breites Set niederer Frequenzen und lieferte damit die erste umfassende „Radiofarben“-Ansicht. Nach einem Upgrade 2018 brachte das erweiterte GLEAM-X-Programm deutlich höhere Auflösung und Sensitivität, wodurch feine Strukturen sichtbar wurden, die im ersten Survey verborgen blieben.
GLEAM (GaLactic and Extragalactic All-sky MWA) und GLEAM-X ergänzen sich dabei in einer klassischen Kombination aus Breitabdeckung und Detailtiefe: GLEAM liefert die großräumige Übersicht, GLEAM-X die feineren Strukturen. Um die Stärken beider Projekte zu vereinen, nutzten die Forschenden eine neue Verarbeitungsmethode namens image domain gridding. Diese Technik richtet Tausende Einzelbeobachtungen zueinander aus und fügt sie zu einem einzigen, gigantischen Mosaik zusammen.

Die Ebene der Milchstraße im Radiolicht
Da das Array zu unterschiedlichen Zeiten beobachtete, mussten die Teams korrigieren, wie sich ionosphärische Effekte — kleine Verschiebungen von Signalwegen durch die obersten Schichten der Erdatmosphäre — auf die gemessenen Positionen auswirkten. Ohne diese Korrekturen würden Quellen zwischen den Nächten leicht verschoben erscheinen, was ein konsistentes Mosaik unmöglich machen würde. Die Korrekturroutinen beinhalten Modellierung der Ionosphäre, Positionsanpassungen der Quellen und iterative Kalibrierverfahren, um systematische Fehler zu minimieren.
Diese aufwändigen Korrekturen und die eigentliche Mosaikerstellung erforderten enorme Rechenressourcen. Das Team setzte über eine Million CPU-Bearbeitungsstunden auf den Systemen des Pawsey Supercomputing Centre ein, um ein zusammenhängendes Bild zu erzeugen, das etwa 95 % der für die Südhalbkugel sichtbaren Milchstraßenebene abdeckt und Frequenzen von 72 bis 231 MHz umfasst. Die Kombination aus langzeitlichen Beobachtungen, sorgfältiger Kalibrierung und neuen Algorithmus-Ansätzen machte es möglich, sehr diffuse Emissionen mit bisher unerreichter Empfindlichkeit und Dynamik darzustellen.
Was die Farben bedeuten — die Galaxie im Radiolicht lesen
In der Karte werden Frequenzen als Farben codiert: Die niedrigsten Frequenzen erscheinen orange, mittlere Bänder grün und die höchsten der niedrigen Frequenzen erscheinen blau. Diese „Radiofarbe“ erleichtert es, verschiedene physikalische Prozesse auf einen Blick zu unterscheiden. Breite, orange leuchtende Strukturen folgen oft der Synchrotron-Emission — das ist Strahlung, die entsteht, wenn geladene Teilchen in Magnetfeldern spiralförmig beschleunigt werden — und kennzeichnet häufig alte, ausklingende Supernova-Überreste.
Blaue Bereiche heben dagegen höherfrequente Emission hervor, die typischerweise von heißem, ionisiertem Gas ausgeht und so aktive Sternentstehungsgebiete sowie junge Sternhaufen markiert. Grüne Töne liegen häufig zwischen diesen Extremen und können auf Mischungen aus thermischer und nicht-thermischer Strahlung oder auf Regionen mit Übergangsphänomenen hindeuten.
Weil das Mosaik einen weiten Frequenzbereich abdeckt, können Astronominnen und Astronomen thermische Emission (vom heißen Gas) und nicht-thermische Emission (von kosmischen Strahlen und Magnetfeldern) zuverlässiger trennen als mit einer Karte bei nur einer Frequenz. Diese Trennung ist entscheidend für die Erstellung physikalischer Modelle des interstellaren Mediums, zur Messung der Magnetfeldstruktur und zur Entdeckung schwacher, alter Supernova-Überreste, die in früheren Surveys unsichtbar blieben.
Zusätzlich erlaubt die Farbzuordnung die Identifikation von Regionen mit unterschiedlichen Spektralindizes — ein Schlüsselparameter in der Radioastronomie, der beschreibt, wie die Intensität mit der Frequenz variiert. Durch spektrale Analyse über die 72–231 MHz kann man Rückschlüsse auf die Energiedistribution der emittierenden Elektronen und auf Alterungsprozesse von Supernova-Relikten ziehen, was wichtige Hinweise auf die kosmische Strahlungsphysik und Magnetfelddynamik liefert.
Wissenschaftlicher Nutzen: Was die neue Karte ermöglicht
Das Mosaik ist bereits jetzt eine ergiebige Fundgrube für die Galaktische Forschung. Forschende können damit unter anderem:
- Schwache und sehr alte Supernova-Überreste identifizieren, die die Historie von Sternsterben in der Milchstraße offenbaren.
- Die Verteilung und Energie kosmischer Strahlung verfolgen, während sich diese durch die galaktische Scheibe bewegt.
- Magnetfeldmuster über große Bereiche der Ebene kartieren und so unser Verständnis von magnetisiertem Turbulenzverhalten verbessern.
- Die Wechselwirkung zwischen Staub, Gas und energiereichen Teilchen in Sternentstehungsgebieten untersuchen.
Diese Liste ist weder vollständig noch abschließend: Das Mosaik bietet die Beobachtungsgrundlage für viele Anschlussstudien — von gezielten tiefen Beobachtungen ungewöhnlicher Strukturen bis hin zu statistischen Populationsstudien über die gesamte Ebene. Durch die Kombination mit Daten anderer Wellenlängenbereiche (Infrarot, Optisch, Röntgen) können Forscherinnen und Forscher multiwavelength-Analysen durchführen, die physikalische Prozesse umfassender charakterisieren, etwa die Lebenszyklen massereicher Sterne oder die Energiebilanz des interstellaren Mediums.
Für die Suche nach seltenen Objekten wie sehr alten, schwachen Supernova-Relikten oder ungewöhnlichen Filamentstrukturen der Magnetfelder ist die Kombination aus großer Fläche und hoher Sensitivität besonders wertvoll: Solche Objekte entziehen sich häufig Einzelbeobachtungen mit geringem Flächenumfang oder Surveys mit niedriger Empfindlichkeit.
Von MWA zu SKA‑Low: Was als Nächstes kommt
Obwohl das neue GLEAM+GLEAM-X-Mosaik derzeit die empfindlichste Karte in diesem niedrigen Frequenzbereich darstellt, steht ein noch viel größerer Fortschritt bevor. Der niederfrequente Teil des Square Kilometre Array, SKA‑Low, wird, wenn er voll in Betrieb ist, um mehrere Größenordnungen empfindlicher sein und deutlich höhere räumliche Auflösung liefern als das MWA. SKA‑Low wird damit in der Lage sein, noch feinere, schwächere und räumlich komplexere Strukturen in der Milchstraße sichtbar zu machen.
Bis zum Start von SKA‑Low dient dieses MWA-Mosaik als Vorgeschmack auf die diffuse, komplexe Emission, die kommende Instrumente detaillierter untersuchen werden. Gleichzeitig bildet das Projekt eine wichtige technologische und methodische Brücke: Die entwickelten Algorithmen zur Ionosphärenkorrektur, zur Kalibrierung und zum großflächigen Mosaicking sind direkt übertragbar auf die Datenverarbeitung im SKA-Zeitalter und helfen, die Herausforderungen zu antizipieren, die eine noch höhere Datenrate und größere Datenmengen mit sich bringen werden.
Zudem schafft das MWA-Mosaik einen Referenzdatensatz für Vergleichsstudien mit SKA-Vorläufern und anderen Observatorien. Wissenschaftsteams können auf den Ergebnissen aufbauen, Zielregionen für tiefere SKA-Untersuchungen priorisieren und systematische Effekte besser verstehen.
Experteneinschätzung
„Diese Karte ist ein Meilenstein“, sagt Dr. Elena Torres, Radioastronomin, die nicht zum ursprünglichen Team gehörte. „Die Kombination aus großflächiger Abdeckung und multifrequenter Farbinformation verändert, wie wir Folgebeobachtungen priorisieren. Mit diesem Datensatz können wir subtile Merkmale herausfiltern — die verblassenden Glutnester von Supernovae oder unerwartete Magnetfadenstrukturen — und neue Fragen zum Lebenszyklus der Milchstraße stellen.“
Abgesehen von rein entdeckungsbezogener Forschung trägt das Mosaik auch zur Verfeinerung technischer Methoden bei: Die Arbeit an ionosphärischen Korrekturverfahren, Kalibrierstrategien und Verfahren zum großskaligen Bildkombinieren verbessert die Werkzeuge, die für die Verarbeitung der enormen Datenmengen des SKA notwendig sein werden. Somit haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht nur eine Karte gewonnen, sondern auch die erforderlichen Techniken für die nächste Generation der Radioastronomie geschärft.
Technischer Kontext, Datenzugang und Reproduzierbarkeit
Das Mosaik deckt den Frequenzbereich von 72–231 MHz ab und integriert Daten von 4.096 MWA-Antennen, die über mehrere Quadratkilometer verteilt sind. Die image domain gridding-Technik in Kombination mit sorgfältiger ionosphärischer Ausrichtung ermöglichte das nahtlose Zusammenfügen von Beobachtungen, die sich über mehrere Jahre erstrecken. Weitergehende Informationen zu den eingesetzten Kalibrier- und Verarbeitungsalgorithmen, zu den verwendeten Softwarepaketen und zu den Parametern der Bildrekonstruktion werden in begleitenden technischen Veröffentlichungen und Datenreleases dokumentiert, um Reproduzierbarkeit und Nachnutzbarkeit zu gewährleisten.
Die Endprodukte werden der Wissenschaftsgemeinschaft zur Verfügung gestellt, sodass Astronominnen und Astronomen weltweit die Daten für spezifische Objektstudien, statistische Auswertungen oder Multiband-Korrelationen nutzen können. Offene Datenzugänge und begleitende Metadatensätze sind dabei entscheidend, um maximale wissenschaftliche Ausbeute zu erzielen und um der internationalen Forschungsgemeinschaft vergleichbare Analysegrundlagen bereitzustellen.
Für die Praxis bedeutet das: Teams, die nach Kandidaten für alte Supernova-Überreste, Magnetfilamente oder diffuse Emissionen suchen, können das Mosaik direkt durchsuchen oder eigene Pipeline-Schritte auf Basis der bereitgestellten Zwischenprodukte anwenden. Dies fördert nicht nur die Entdeckung neuer Objekte, sondern auch die Methodikentwicklung im Umgang mit großflächigen Radiokarten und niederfrequenten Messdaten.
Kurz gesagt: Dieses Radiomosaik ist eine kraftvolle neue Möglichkeit, unsere Galaxie zu „sehen“ — nicht im sichtbaren Sternenlicht, sondern im Leuchten von Elektronen, Magnetfeldern und den Relikten stellaren Zerfalls. Es ist eine Einladung, vertraute Sternbilder unter einem völlig anderen Licht zu erkunden und gleichzeitig an der Methodik für die Zukunft der Radioastronomie zu arbeiten.
Wichtige Schlüsselbegriffe in diesem Zusammenhang sind: Radioastronomie, niederfrequente Radiokarte, Synchrotron-Emission, Supernova-Überreste, Ionosphärenkorrektur, Murchison Widefield Array (MWA), GLEAM, GLEAM-X, SKA‑Low, kosmische Strahlung und Magnetfeldkartierung. Durch die Kombination dieser Konzepte mit offenen Daten und weiterentwickelten Analysewerkzeugen entsteht ein vielversprechender Rahmen für zahlreiche zukünftige Studien zur Galaxienentwicklung und zur physikalischen Struktur der Milchstraße.
Quelle: sciencealert
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