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Eine neue epidemiologische Studie legt nahe, dass Berühmtheit selbst — nicht nur Lebensstil oder Arbeitsbelastung — das Leben bekannter Sängerinnen und Sänger verkürzen kann. Forschende verglichen weithin bekannte Vokalistinnen und Vokalisten mit weniger prominenten Musikerinnen und Musikern und fanden ein konsistentes Muster: stark bekannte Sängerinnen und Sänger hatten im Durchschnitt eine kürzere Lebenserwartung als ihre weniger bekannten Kolleginnen und Kollegen.
Was die Studie analysierte und herausfand
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchten 324 sehr bekannte Sängerinnen und Sänger und brachten sie mit weniger bekannten Musikerinnen und Musikern in Übereinstimmung, die im Hinblick auf Alter, Geschlecht, Nationalität und Musikgenre vergleichbar waren. Der Fokus lag auf Künstlerinnen und Künstlern, die zwischen 1950 und 1990 aktiv waren. Die Analyse, veröffentlicht im Journal of Epidemiology & Community Health, ergab, dass hoch bekannte Sängerinnen und Sänger typischerweise früher verstarben als ihre weniger bekannten Gegenparts — im Mittel etwa 4,6 Jahre früher.
Wesentliche Statistiken auf einen Blick
- Durchschnittliche Lebensdauer bei berühmten Sängerinnen und Sängern: etwa 75 Jahre.
- Durchschnittliche Lebensdauer bei weniger bekannten Musikerinnen und Musikern: etwa 79 Jahre.
- Insgesamt wiesen berühmte Sängerinnen und Sänger ein um 33 % erhöhtes Risiko für einen vorzeitigen Tod gegenüber den gematchten, weniger bekannten Musikerinnen und Musikern auf.
- Die Zugehörigkeit zu einer Band senkte das Sterblichkeitsrisiko um etwa 26 % im Vergleich zu Solokünstlerinnen und -künstlern.
Warum Solostars möglicherweise stärker gefährdet sind
Die Studie betont, dass allein auftretende Künstlerinnen und Künstler spezifischen Belastungen ausgesetzt sind. Erhöhte Medienpräsenz, ständige öffentliche Beobachtung, verstärkter psychischer Stress und das relative Fehlen gruppenbasierter emotionaler Unterstützung gehören zu den vorgeschlagenen Mechanismen. Solokünstlerinnen und -künstler tragen häufig die volle Last öffentlicher Erwartungen und die gesamte Markenidentität, was stressbedingte gesundheitliche Effekte verstärken kann. Diese Faktoren betreffen sowohl die mentale Gesundheit als auch physiologische Prozesse, etwa die belastungsbedingte Ausschüttung von Stresshormonen, die langfristig Herz-Kreislauf-, Stoffwechsel- und Immunsystem beeinträchtigen können.

Der Erstautor Michael Dufner, Professor für Persönlichkeits- und Diagnostische Psychologie an der Universität Witten/Herdecke, bezeichnete die Ergebnisse als besorgniserregend: „Unsere Daten deuten darauf hin, dass Berühmtheit mit einer kürzeren Lebensspanne verbunden ist — im Mittel etwa 4,6 Jahre. Dieses Muster verdient dringende Aufmerksamkeit von Forschenden und Fachkräften im Bereich der öffentlichen Gesundheit.“
Potenzielle Mechanismen und offene Fragestellungen
Die Studie erhebt nicht den Anspruch, eine einzige Ursache nachzuweisen. Stattdessen identifizieren die Forschenden mehrere plausible Einflussfaktoren, die vertiefte Forschung erfordern. Diese Faktoren betreffen biologische, psychologische und soziale Ebenen und können in Kombination wirken:
- Chronischer Mediendruck und der Verlust von Privatsphäre, die Angstzustände fördern und zu einer erhöhten Exposition gegenüber Stresshormonen wie Cortisol führen können.
- Die Normalisierung von Substanzgebrauch und starkem Alkoholkonsum in bestimmten Musik-Szenen, was gesundheitlichen Verschleiß und organische Schäden beschleunigen kann.
- Arbeitsbedingte Belastungen: unregelmäßige Arbeitszeiten, lange Tourneen, häufige Jetlags und gestörter Schlaf, die Herz-Kreislauf- und Immunsystem schwächen.
- Vorbestehende Persönlichkeitsmerkmale oder belastende Kindheitserfahrungen, die einerseits die Wahrscheinlichkeit erhöhen können, Berühmtheit anzustreben, und andererseits mit schlechteren langfristigen Gesundheitsverläufen verbunden sind.
Zusätzlich zu diesen Punkten stehen methodische Fragen im Raum: Mögliche Confounder, die in beobachtenden Studien nie vollständig ausgeschlossen werden können; Selektionsbias in der Auswahl von Prominenten; sowie Unterschiede in der Erfassung von Todesursachen und Lebensstilen über verschiedene Länder und Jahrzehnte hinweg. Die Forschenden verwendeten Matching-Verfahren, um einige dieser Verzerrungen zu minimieren, doch bleibt die Abstimmung auf beobachtete Variablen begrenzt. Unbeobachtete Faktoren — etwa genetische Prädispositionen oder differierende soziale Netzwerke — könnten weiterhin eine Rolle spielen.
Methodische Hinweise und statistische Einordnung
Obgleich die Originalpublikation selbst detaillierte statistische Verfahren beschreibt, ist es hilfreich, einige generelle methodologische Hinweise zu geben, die das Verständnis der Ergebnisse verbessern. In epidemiologischen Untersuchungen dieser Art werden häufig Überlebensanalysen eingesetzt, um Unterschiede in der Lebenserwartung zu quantifizieren. Solche Analysen ermöglichen die Abschätzung von Hazard Ratios oder relativen Risiken und können durch Kovariatenanpassung versuchen, Störfaktoren zu kontrollieren. Die genannte Differenz von rund 4,6 Jahren ist ein zusammenfassender Befund der betrachteten Stichprobe; die Aussagekraft hängt von Stichprobengröße, Modellwahl und der Robustheit gegenüber Sensitivitätsanalysen ab.
Für die Interpretation ist außerdem wichtig zu beachten, dass ein erhöhtes relatives Risiko (hier +33 %) nicht zwangsläufig bedeutet, dass alle Individuen in der exponierten Gruppe gleichermaßen betroffen sind. Heterogenität innerhalb der Gruppe berühmter Künstlerinnen und Künstler ist wahrscheinlich — etwa durch Genreunterschiede, soziale Ressourcen, Zugang zu medizinischer Versorgung und Lebensstilvariablen.
Auswirkungen auf öffentliche Gesundheit und Unterstützung für Künstler
Diese Befunde berühren breitere Debatten in den Bereichen psychische Gesundheit, Kulturpolitik und arbeitsmedizinische Epidemiologie. Wenn Berühmtheit das Sterberisiko erhöhen kann, wären zielgerichtete Maßnahmen denkbar, die einige negative Effekte abmildern. Mögliche Interventionen umfassen:
- Ausgebaute psychologische Unterstützungsangebote für tourende Künstlerinnen und Künstler, inklusive leichter zugänglicher Therapie- und Krisendienste.
- Maßnahmen zur Begrenzung aufdringlicher Pressepraktiken und zum Schutz der Privatsphäre, etwa durch rechtliche Regelungen oder Branchenstandards.
- Stärkere soziale Unterstützungsnetzwerke für Solokünstlerinnen und -künstler, etwa Mentorenprogramme, kollektive Agenturen oder peer-to-peer-Angebote.
- Präventionsprogramme zur Reduktion riskanten Substanzkonsums in der Musikszene sowie gezielte Gesundheitschecks für vielreisende Künstlerinnen und Künstler.
Für politische Entscheidungsträgerinnen und -träger sowie Verbände der Kreativwirtschaft liefert die Studie Argumente dafür, Künstlergesundheit stärker in Förder- und Schutzprogramme zu integrieren. Maßnahmen könnten sowohl auf individueller Ebene (psychosoziale Versorgung, Gesundheitsförderung) als auch auf struktureller Ebene (Arbeitsbedingungen, Tourplanung, Medienselbstregulierung) ansetzen.
Wissenschaftliche Limitationen und Forschungsbedarf
Die Forschenden betonen, dass weitere longitudinale und mechanistische Studien nötig sind, um Kausalität von Korrelation zu unterscheiden. Beobachtungsstudien wie diese können Hinweise liefern und Hypothesen generieren, sagen aber per se nicht aus, welche spezifischen biologischen oder sozialen Mechanismen ursächlich sind. Zukunftsstudien sollten idealerweise prospektive Designs, detaillierte Informationen zu Gesundheitsverhalten, psychischem Befinden und sozialer Unterstützung sowie valide Maße der Berühmtheit und Medienexposition integrieren.
Zudem wäre es wertvoll, qualitative Forschung zu kombinieren, um subjektive Erfahrungen mit Ruhm, Stressbewältigungsstrategien und Zugang zu Ressourcen besser nachvollziehen zu können. Interdisziplinäre Ansätze, die Psychologie, Epidemiologie, Soziologie und Medienforschung verknüpfen, versprechen ein umfassenderes Verständnis der Zusammenhänge zwischen Prominenz und Gesundheit.
Kontextualisierung: Vergleich mit anderen Berufsgruppen
Es ist nützlich, die beobachteten Effekte im Kontext anderer hoch exponierter Berufe zu betrachten. Frühere Untersuchungen zu Schauspielerinnen und Schauspielern, Profisportlerinnen und -sportlern oder sehr öffentlich agierenden Politikerinnen und Politikern deuten ebenso auf erhöhte psychische Belastungen und spezifische gesundheitliche Risiken hin. Der gemeinsame Nenner könnte die Kombination aus hoher öffentlicher Sichtbarkeit, unregelmäßigen Arbeitszeiten, Leistungsdruck und eingeschränkter Privatsphäre sein. Allerdings unterscheiden sich Berufsgruppen in wichtigen Details (z. B. körperliche Belastungen im Leistungssport), weshalb direkte Vergleiche mit Vorsicht zu interpretieren sind.
Praktische Empfehlungen für Künstlerinnen und Künstler sowie deren Umfeld
Auf Basis der aktuellen Ergebnisse lassen sich einige pragmatische Empfehlungen formulieren, die das individuelle Risiko mindern könnten, auch ohne definitive kausale Belege:
- Aufbau stabiler sozialer Netzwerke außerhalb der beruflichen Bubble, um emotionale Unterstützung zu stärken.
- Gezielte Stressmanagement- und Schlafhygiene-Programme, speziell für vielreisende Künstlerinnen und Künstler.
- Früher Zugang zu psychosozialen Beratungsangeboten und niedrigschwelligen Gesundheitsdiensten während Touren.
- Förderung einer Kultur der Verantwortung innerhalb von Labels, Managements und Veranstalterkreisen, die risikofördernden Substanzgebrauch nicht normalisieren.
Solche Maßnahmen sind relativ kostengünstig und könnten kurzfristig zur Entlastung beitragen, während die wissenschaftliche Gemeinschaft weiter an detaillierteren Ursachenanalysen arbeitet.
Schlussbemerkung
Obwohl die Studie allein keine abschließenden Aussagen über Ursachen erlaubt, erweitert sie das Verständnis der potenziellen gesundheitlichen Kosten von Ruhm. Die Befunde liefern eine epidemiologische Perspektive auf die Debatten um Celebrity-Kultur und die oft übersehbaren gesundheitlichen Risiken des Star-Daseins. Forschungsgruppen, Gesundheitsbehörden und Akteurinnen und Akteure der Kultur- und Kreativwirtschaft sollten die Ergebnisse zum Anlass nehmen, Präventions- und Unterstützungsangebote zu prüfen und auszubauen. Gleichzeitig bleibt die Forderung nach weiterführender Forschung zentral: nur durch robuste, methodisch vielfältige Studien lässt sich klären, in welchem Ausmaß Prominenz direkt gesundheitsschädlich ist und welche Interventionen am effektivsten sind.
Quelle: smarti
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