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Die University of Maine (UMaine) kartiert, wie Offshore-Tangkulturen die Wirtschaften der Küstenregionen und die zugehörigen Lieferketten verändern könnten. Durch die Kombination von technologischer Forschung, wirtschaftlicher Analyse und gezielter Arbeitskräfteentwicklung unterstützt die Universität Küstengemeinden und lokale Unternehmen dabei, sich an ökologische Veränderungen anzupassen und entstehende Marktchancen zu nutzen. Dieses Projekt verknüpft wissenschaftliche Evidenz mit praxisorientierter Ausbildung, um die Grundlagen für eine skalierbare, nachhaltige marine Landwirtschaft zu legen und gleichzeitig lokale Wertschöpfungsketten zu stärken.
Ein detailliertes Kostenmodell für Offshore-Tang
Forscherinnen und Forscher der UMaine haben ein Kostenmodell entwickelt, das sie als bislang umfassendste Wirtschaftlichkeitsanalyse der Offshore-Kelp-Kultur in den USA beschreiben. Anstatt pauschaler Schätzungen zerlegt das Modell die wichtigsten Kostenfaktoren entlang des gesamten Produktionszyklus: von der Aufbringung und Installation der Kulturstrukturen über regelmäßige Wartung und Bewirtschaftung bis hin zu Ernte, Verarbeitung und Logistik. Diese detaillierte Aufschlüsselung liefert Entscheidungsträgern, Investoren und Projektentwicklern ein präziseres Bild davon, wo Ausgaben tatsächlich anfallen und wie verschiedene Parameter – etwa Lohnkosten, Schiffszeiten, Materialpreise oder Energieverbrauch – die Gesamtkalkulation beeinflussen.
Das Modell berücksichtigt sowohl CAPEX- als auch OPEX-Komponenten, integriert Sensitivitätsanalysen für Preis- und Mengenentwicklungen und nutzt Szenarien zur Skalierung von Pilotprojekten bis hin zu industriellen Betrieben. Zu den analysierten Variablen gehören unter anderem: Kosten für Setzlingsproduktion und Ankerung, Material- und Konstruktionskosten für Longlines und Verankerungen, geschätzte Arbeitsstunden für Inspektion und Pflege, Treibstoff- und Wartungskosten für Bedienfahrzeuge sowie Ausgaben für Trocknung, Konzentrierung und Weiterverarbeitung des geernteten Biomaterials. Ergänzend werden Marktpreise und mögliche Erlösquellen – von Frischware bis hin zu veredelten Produkten und Kohlenstoffzertifikaten – in die Wirtschaftlichkeitsrechnung eingebunden, um realistische Pfade zur Profitabilität aufzuzeigen.
Wichtig ist, dass das Modell nicht nur statische Zahlen liefert, sondern dynamische Beziehungen zwischen Technologieentscheidungen, Betriebskonzepten und Marktbedingungen darstellt. Dadurch können Stakeholder konkrete Investitionsfragen beantworten: Welche Auswirkung hat die Automatisierung der Ernte auf die Stückkosten? In welchem Umfang reduzieren größere Produktionsflächen die Fixkosten pro Tonne? Wie beeinflussen saisonale Schwankungen die Lagerhaltung und Verarbeitungskosten? Solche Fragen werden durch das UMaine-Modell quantifizierbar, was die Grundlage für gezielte Strategien – etwa technologische Entwicklung, Partnerschaften in der Lieferkette oder Fördermaßnahmen – schafft.
Wohin die Zahlen weisen
Die granularen Ergebnisse heben spezifische Engpässe hervor, die momentan die Wirtschaftlichkeit von Offshore-Tangkulturen hemmen. Typische Probleme sind arbeitsintensive Erntevorgänge, hohe Kosten für Schiffszeiten und nicht optimierte Logistik sowie Investitionsbedarf in robusterer, langlebiger Ausrüstung für raue Offshore-Bedingungen. Indem das Modell diese Schmerzpunkte präzise identifiziert, zeigt es zugleich, wo gezielte Investitionen den größten Hebel haben: etwa in die Entwicklung mechanisierter Erntegeräte, in halb- oder vollautomatisierte Inspektionssysteme mit Drohnen und Sensorik, in modularere Verarbeitungsanlagen nahe dem Hafen oder in optimierte Schiffsflotten für effiziente Rotationsfahrten.
Die Analyse deutet außerdem auf mögliche Skaleneffekte hin: Bei steigender Betriebsgröße fallen bestimmte Fixkosten pro Einheit Biomasse merklich, wodurch Absatzmarkt und Produktionsvolumen in enger Wechselwirkung stehen. Ein weiterer wichtiger Befund betrifft die Logistik — kurze Wege zwischen Erntepunkt, Verarbeitung und Markt können Lagerverluste reduzieren und die Qualität erhöhen, was wiederum höhere Verkaufspreise ermöglicht. Zusätzlich identifiziert das Modell technologische Pfade, bei denen Investitionen in Materialforschung (korrosions- und biofouling-resistente Materialien), in Energieeffizienz und in Softwarelösungen für Betriebsplanung die Kostenstruktur nachhaltig verbessern können.
Aus wirtschaftlicher Sicht sind auch regulatorische Rahmenbedingungen und Genehmigungsverfahren Einflussgrößen, die in der Gesamtrechnung berücksichtigt werden müssen. Unklare oder langwierige Zulassungsprozesse erhöhen Vorlaufkosten und Hemmnisse für private Investitionen. Das UMaine-Modell integriert daher auch Zeit- und Kostenanteile, die mit Planung, Umweltverträglichkeitsprüfungen und behördlichen Abläufen verbunden sind, um ein realistisches Bild der Projektentwicklung zu zeichnen.

Warum das für Küstengemeinden wichtig ist
Offshore-Tang bietet eine Reihe ökologischer Leistungen, die über die reine Biomasseproduktion hinausgehen: Er kann Kohlenstoff binden (blue carbon), Lebensraum für Nutz- und Nicht-Nutzarten schaffen, Nährstoffkreisläufe stabilisieren und lokale Ökosysteme resilienter gegenüber Veränderungen machen. Gleichzeitig eröffnet Kelp neue wirtschaftliche Wertschöpfungspfade: von biobasierten Materialien über Tierfutter, Düngemittel bis hin zu Verpackungen, Nahrungsergänzungen und Marktsegmenten wie Blue-Carbon-Zertifikaten. UMaine koppelt das Kostenmodell mit Programmen zur Arbeitskräfteentwicklung, sodass lokale Beschäftigte die notwendigen Fähigkeiten für den wachsenden Bereich der marinen Landwirtschaft erwerben — von der Bedienung spezialisierter Ausrüstung über Marine-Engineering bis hin zu Verarbeitung und Produktentwicklung.
Damian Brady, Professor für Meereswissenschaften an der UMaine, betont, dass eine detaillierte wirtschaftliche Roadmap entscheidend ist, um Innovationen zu beschleunigen. Das Modell fungiert nicht nur als Kostenkompass, sondern zeigt konkret auf, wo strategische Technologieausgaben und Ausbildung das größte Potenzial haben, Tangkulturen in eine tragfähige Industrie für Küstenregionen zu verwandeln. Diese Erkenntnisse sind besonders wertvoll für Kommunen, die abwägen müssen, wie öffentliche Fördermittel, Infrastrukturinvestitionen oder Partnerschaften mit privaten Akteuren am effektivsten eingesetzt werden können.
Für Gemeinden bedeutet dies auch, dass Entscheidungen über Flächennutzung, Hafeninfrastruktur und lokale Ausbildungsinitiativen auf belastbarer Datenbasis getroffen werden können. Ein datengetriebener Ansatz erleichtert die Planung von Pilotprojekten, die Skalierung erfolgreicher Konzepte und die Integration von Kelp-Produkten in bestehende Wertschöpfungsketten. Außerdem stärkt er die Verhandlungsposition von Regionen gegenüber Investoren und staatlichen Förderprogrammen, weil klar gezeigt werden kann, welche Hebel für wirtschaftlichen Erfolg entscheidend sind.
Auf der Ebene von Lieferketten eröffnet Offshore-Tang Wege, regionale Wirtschaftskreisläufe zu schließen: Vor Ort geerntetes und veredeltes Material kann an verarbeitende Betriebe geliefert werden, wodurch Zwischenlagerung und Transportkosten sinken. Kooperationen zwischen Fischerei, Aquakultur, Hafenbetrieben, Verarbeitern und Forschungseinrichtungen können lokale Arbeitsplätze schaffen — sowohl in operativen Bereichen wie Wartung und Ernte als auch in höherwertigen Tätigkeiten wie Produktentwicklung, Qualitätsmanagement und Zertifizierung. Durch die Kombination von Forschungsergebnissen und gezielter Aus- und Weiterbildung kann UMaine dazu beitragen, dass diese Arbeitsplätze nachhaltig, sicher und langfristig wirtschaftlich tragfähig werden.
Schließlich spielt die politische Ebene eine Rolle: Entscheidungsträger auf kommunaler, bundesstaatlicher und nationaler Ebene benötigen belastbare Zahlen, um Förderprogramme, Zulassungsprozesse und Infrastrukturförderung so zu gestalten, dass sie Innovationspfade eröffnen und nicht behindern. Datenbasierte Studien wie das UMaine-Modell bieten hier die nötige Transparenz und Vergleichbarkeit, um prioritäre Maßnahmen zu identifizieren — etwa für Forschung in Automatisierung, Anpassung der Genehmigungsprozesse oder Unterstützung von Pilotanlagen, die lokale Wertschöpfung demonstrieren können.
Quelle: scitechdaily
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