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Forscher vom Francis Crick Institute und Vividion Therapeutics haben einen neuartigen Arzneimittelkandidaten in die erste klinische Prüfung am Menschen gebracht — ein Molekül, das selektiv ein zentrales Signal für Tumorwachstum blockiert, ohne die normalen Funktionen gesunder Zellen unnötig zu stören. Der Ansatz zielt auf die Protein‑Protein‑Interaktion zwischen RAS, einem häufigen onkogenen Treiber, und dem Enzym PI3K ab und eröffnet damit eine neue Strategie zur Behandlung eines breiten Spektrums von RAS‑ und HER2‑getriebenen Tumoren.
A surgical strike on a stubborn cancer signal
Mutationen in der RAS‑Genfamilie führen in etwa einem von fünf Krebsfällen dazu, dass das RAS‑Protein in einen dauerhaft aktivierten Zustand geschaltet wird. Dieses konstante „An‑Signal“ stimuliert unkontrollierte Zellteilung, fördert das Tumorwachstum und treibt die Malignität voran. Die Zielsteuerung von RAS‑gesteuerten Signalwegen war historisch äußerst schwierig: dieselben Signalwege sind auch für normale physiologische Prozesse unverzichtbar, weshalb breit wirkende Hemmstoffe oft schwere Nebenwirkungen verursachen. Ein typisches Beispiel ist die Hemmung der PI3K (Phosphoinositid‑3‑Kinase), die den Insulinstoffwechsel beeinträchtigen und zu erhöhten Blutzuckerwerten führen kann.
Anstatt PI3K global zu blockieren, suchten Wissenschaftler bei Vividion und am Francis Crick Institute nach Molekülen, die gezielt verhindern, dass PI3K mit RAS interagiert, während die anderen physiologischen Funktionen von PI3K erhalten bleiben. Mit Hilfe von chemischen Screening‑Methoden und einem maßgeschneiderten biologischen Assay, der am Crick entwickelt wurde, identifizierte das Team kleine Verbindungen, die in der Nähe der RAS‑Bindungsstelle von PI3K binden und diese spezifische Schnittstelle irreversibel blockieren.
Diese Strategie — eine gezielte Störung der Protein‑Protein‑Interaktion (PPI) — nutzt strukturelle und chemische Feinheiten, um die Onkogen‑abhängige Signalweiterleitung auszuschalten, ohne die katalytische Aktivität von PI3K an sich zu hemmen. Dadurch soll die Balance zwischen Wirksamkeit gegen Tumorzellen und Erhalt normaler Stoffwechselfunktionen verbessert werden, ein zentraler Vorteil gegenüber pan‑PI3K‑Inhibitoren.

From molecules to mice: proof in preclinical studies
Nachdem ein vielversprechender Kandidat identifiziert worden war, testeten die Forscher das Molekül in präklinischen Mausmodellen mit RAS‑mutierten Lungenkarzinomen. In diesen Versuchen zeigten behandelte Tiere ein signifikantes Stillstehen des Tumorwachstums, ohne messbare Störungen des Blutzuckerspiegels — ein wichtiges Sicherheitszeichen, das darauf hindeutet, dass die Insulin‑regulierte PI3K‑Aktivität verschont bleibt.
Die präklinischen Studien umfassten eine Vielzahl von Experimenten: pharmakokinetische Analysen, dosisabhängige Wirkungsprüfungen, Histologie‑Auswertungen und Biomarker‑Messungen in Tumor‑ und Normalgewebe. Die Substanz zeigte eine brauchbare Bioverfügbarkeit in relevanten Dosen und ein Verträglichkeitsprofil, das eine Übersetzung in erste Humanstudien rechtfertigte. Darüber hinaus wurde in den Lungenmodellen die Hemmung der PI3K‑Rekrutierung an die Zellmembran nachgewiesen, was mechanistisch mit dem Verlust der RAS‑vermittelten Signalkaskade übereinstimmte.
In ergänzenden Experimenten wurde der Kandidat in Kombination mit anderen Hemmstoffen getestet, die auf unterschiedliche Knoten im RAS‑Signalweg abzielen, etwa MEK‑ oder ERK‑Inhibitoren sowie spezifische KRASG12C‑Inhibitoren in entsprechenden Modellen. Kombinationstherapien führten zu tieferer und langlebigerer Tumorsuppresssion als einzelne Wirkstoffe, was eine klinisch sinnvolle Strategie nahelegt: die Kombination des RAS–PI3K‑Blockers mit komplementären Wirkmechanismen, um Resistenzmechanismen zu umgehen und Ansprechraten zu verlängern.
Broader potential: activity beyond RAS-mutant cancers
Unerwartet zeigte der Kandidat Aktivität auch in Mausmodellen mit HER2‑Überexpression — einem Onkogen, das vor allem im Brustkrebs eine wichtige Rolle spielt. HER2 kann ebenfalls PI3K rekrutieren; die Störung der PI3K‑Schnittstelle reduzierte in diesen Modellen das Tumorwachstum, selbst wenn RAS nicht die treibende Kraft war. Dieses Ergebnis legt nahe, dass die gleiche chemische Strategie in verschiedenen Tumortypen wirksam sein könnte, sofern das Wachstum durch PI3K‑Rekrutierung über RAS, HER2 oder andere Adapterproteine angetrieben wird.
Die Beobachtung einer HER2‑abhängigen Sensitivität öffnet damit das Potential für eine biomarkergetriebene Patientenstratifizierung: Tumoren mit Nachweis einer PI3K‑Rekrutierung, sei es durch RAS‑Mutationen, HER2‑Amplifikation oder durch andere Signaltransduktions‑Anomalien, könnten Kandidaten für diese zielgerichtete Interventionsstrategie sein. Solche biomarkerbasierten Einschlusskriterien sind in frühen klinischen Studien entscheidend, um Wirksamkeit gezielt zu demonstrieren.
Why this matters: precision without collateral damage
Das Besondere an diesem Ansatz ist der Fokus auf eine Protein‑Protein‑Interaktion statt auf die enzymatische Hemmung der PI3K‑Kinaseaktivität. Durch die selektive Unterbrechung des PI3K–RAS‑Kontakts soll das onkogene Signal abgeschaltet werden, während PI3K für normale zelluläre Aufgaben, wie die Insulinantwort und den Glukosestoffwechsel, weiterhin verfügbar bleibt. Wenn diese Selektivität sich beim Menschen bestätigt, könnten Kliniker eine zielgerichtete Therapie gewinnen, die im Vergleich zu breit wirksamen PI3K‑Inhibitoren eine geringere Toxizität aufweist.
Technisch basiert diese Präzisionsstrategie auf detaillierten Struktur‑ und Bindungsanalysen: Die Entwickler nutzten hochauflösende Strukturdaten und chemische Optimierung, um Moleküle zu erzeugen, die mit hoher Affinität und Selektivität an strukturelle Motive der PI3K‑RAS‑Schnittstelle binden. Solche „Interface‑Inhibitoren“ sind anspruchsvoll in Design und Entwicklung, bieten aber das Potenzial, onkogene Interaktionen zu trennen, ohne die katalytische Domäne eines Enzyms zu deaktivieren.
Aus klinischer Sicht entspricht dies dem Ziel der modernen Onkologie: maximale Tumorwirkung bei minimaler Belastung für den Patienten. Reduzierte systemische Nebenwirkungen — insbesondere metabolische Effekte wie Hyperglykämie — könnten die Lebensqualität verbessern und die Kombinierbarkeit mit anderen Therapien erleichtern, was wiederum die Chance auf dauerhafte Remissionen erhöht.
Next steps: human trials and combination testing
Der Wirkstoffkandidat wurde inzwischen in eine First‑in‑Human‑Studie überführt, die die Sicherheit, Verträglichkeit und frühe Hinweise auf biologische Aktivität bei Patienten mit Tumoren, die RAS‑ oder HER2‑Veränderungen aufweisen, evaluieren soll. Das Studienprotokoll umfasst sowohl Monotherapie‑Arme als auch Kombinationen mit anderen Wirkstoffen, die auf verschiedene Ebenen der RAS‑Signaltransduktion abzielen.
Wichtige Endpunkte der Studie sind die Erfassung von Nebenwirkungen (inklusive laborchemischer Marker des Glukosestoffwechsels), pharmakokinetische Profile, Dosis‑Limitierungsereignisse sowie erste Wirksamkeitskennzahlen wie objektive Ansprechrate, Dauer des Ansprechens und progressionsfreies Überleben. Parallel werden biomarkerbasierte Messungen durchgeführt, um zu prüfen, ob die PI3K‑Rekrutierung in humanen Tumoren tatsächlich unterbunden wird. Solche Translational‑Endpoints sind entscheidend, um Mechanismus‑zu‑Wirkung‑Zusammenhänge zu belegen.
Darüber hinaus sind adaptive Studiendesigns und Kohortenexpansionen vorgesehen, die eine rasche Identifikation von Patientengruppen mit bestechender Wirksamkeit erlauben. Wenn early‑phase Daten positive Signale liefern, sind größere, randomisierte Studien denkbar, in denen die neue Substanz gegenüber Standardtherapien oder in Kombination mit etablierten Targeted‑Therapien geprüft wird.
Voices from the lab and clinic
Julian Downward, Leiter des Oncogene Biology Laboratory am Crick, beschrieb das Vorhaben als lang angestrebten präzisionsmedizinischen Ansatz: die Unterbrechung einer krebsfördernden Interaktion, ohne die gesunden Funktionen eines Enzyms zu zerstören. Matt Patricelli, Chief Scientific Officer bei Vividion, hob hervor, wie die chemische Gestaltung Moleküle ermöglichte, die die physische RAS–PI3K‑Bindung blockieren und gleichzeitig PI3K erlauben, mit nicht‑onkogenen Partnern zu interagieren — ein Fortschritt, der klinische Tests erst möglich machte.
Solche Statements unterstreichen die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen akademischer Forschung und Industrie, die für die Translation komplexer PPI‑Inhibitoren in die Klinik zunehmend notwendig ist. Die Kombination von struktureller Biologie, Chemie, präklinischer Onkologie und klinischem Studien‑Design schafft die Grundlage für erfolgreiche Entwicklungsprogramme.
Expert Insight
„Das Ansteuern spezifischer Proteinoberflächen reift als Strategie in der Onkologie“, sagt Dr. Elena Marquez, eine translationale Onkologin (fiktiv), die frühe Phase‑Studien begutachtet. „Wenn diese Inhibitoren ihre Selektivität beim Menschen beibehalten, könnten wir Therapien sicher kombinieren und Tumoren von mehreren Seiten attackieren — was die Wahrscheinlichkeit reduziert, dass Krebszellen einfach einen einzelnen blockierten Weg umgehen.“
Aus Sicht von Klinischen Forschern sind drei Aspekte besonders kritisch: erstens die klinische Selektivität (geringere metabolische Toxizität), zweitens die Validierung von Biomarkern, die vorhersagen, welche Patienten profitieren, und drittens die strategische Kombination mit komplementären Wirkmechanismen, um sekundäre Resistenz zu verhindern.
What to watch for
- Sicherheitszeichen in frühen Patienten, insbesondere metabolische Nebenwirkungen im Zusammenhang mit der Insulinsignalisierung und dem Blutzuckerspiegel. Hier sind kontinuierliche Glukosemonitoring‑Daten und standardisierte metabolische Tests wichtig.
- Biomarker‑Daten, die zeigen, ob das Medikament in humanen Tumoren tatsächlich die Rekrutierung von PI3K durch RAS oder HER2 verhindert; dies könnte durch Phospho‑AKT, Membranlokalisierung von PI3K oder durch proteomische Analysen nachgewiesen werden.
- Ergebnisse aus Kombinationskohorten, die Synergien mit anderen RAS‑Weg‑Inhibitoren prüfen — etwa MEK‑Inhibitoren, Proteasom‑Modulatoren oder spezifischen KRAS‑Inhibitoren in passenden molekularen Kontexten.
- Eine mögliche Erweiterung in zusätzliche Tumorentitäten, falls biomarkergetriebene Ansprechraten beobachtet werden; dazu zählen neben Lungen‑ und Brustkrebs potenziell auch Kolorektal‑ und Pankreastumoren mit relevanten Signalweg‑Anomalien.
Indem sich die Forschung auf eine einzelne molekulare Interaktion konzentriert, zielt dieses Projekt darauf ab, Jahrzehnte biologischer Erkenntnisse in eine Therapie zu überführen, die sowohl wirksam als auch gut verträglich ist. Die ersten klinischen Daten werden entscheidend sein: Sie werden zeigen, ob die präzise Chemie aus dem Labor in einen echten Patientennutzen übersetzt werden kann und ob eine neue Behandlungsoption für Tumoren entsteht, die historisch von RAS‑ oder PI3K‑Signalgebung abhängig sind.
Langfristig könnte dieser Ansatz die Entwicklung einer neuen Klasse von Onkologika anstoßen — Interface‑Inhibitoren, die nicht mehr das gesamte Enzym lahmlegen, sondern gezielt pathologische Protein‑Protein‑Interaktionen trennen. Solche Wirkstoffe würden die Palette zielgerichteter Therapien erweitern und die Grundlage für personalisierte Behandlungsalgorithmen bilden, die Patienten anhand molekularer Signaturen zuordnen.
Für Patientenvertreter und Onkologen ist wichtig zu wissen, dass frühe klinische Studien nicht nur auf die Wirksamkeit, sondern ebenso auf die Verträglichkeit und Biomarker‑Validierung abzielen. Nur durch gründliche mechanistische Untersuchungen zugleich mit klinischen Endpunkten lässt sich ein klarer Beweis für den Nutzen dieser präzisen Strategie erbringen. Sollte sich die Selektivität im klinischen Setting bestätigen, besteht die realistische Aussicht, metabolische Nebenwirkungen zu reduzieren und die kombinatorische Therapie zu erleichtern — ein deutlicher Fortschritt in Richtung verträglicher, effektiver Präzisionsonkologie.
Quelle: scitechdaily
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