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Astrophysiker haben eine außergewöhnlich präzise Temperaturmessung des Universums vorgenommen, wie es vor etwa sieben Milliarden Jahren existierte — und das Ergebnis stimmt sehr gut mit einer zentralen Vorhersage der Urknall-Kosmologie überein. Mithilfe archivierter Beobachtungen des Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) bestimmten Forschende aus Japan die Temperatur des kosmischen Mikrowellenhintergrunds (CMB) für eine mittlere Epoche der kosmischen Geschichte und stellten fest, dass sie damals in etwa doppelt so hoch war wie heute. Diese Messung verknüpft beobachtbare molekulare Signaturen mit fundamentalen Vorhersagen moderner Kosmologie und demonstriert, wie leistungsfähig kombinierte Datenanalyse und molekulare Astrophysik für die Rekonstruktion der thermischen Geschichte des Universums sind.
Ein präzises Thermometer für die kosmische Geschichte
Wissenschaftler der Keio University unter der Leitung des Doktoranden Tatsuya Kotani und des Professors Tomoharu Oka analysierten das schwache Nachleuchten des Urknalls — die kosmische Mikrowellenhintergrundstrahlung — nicht in unmittelbarer Umgebung, sondern so, wie sie vor rund sieben Milliarden Jahren erschienen wäre. Ihr Befund: eine CMB-Temperatur von 5,13 K ± 0,06 K. Zum Vergleich: Die heutige, lokal gemessene Temperatur des CMB liegt bei etwa 2,725 Kelvin, sodass der neue Messwert in dieser mittleren kosmischen Epoche nahezu den doppelten Wert aufweist. Diese Beobachtung liefert damit nicht nur eine Einzelmessung, sondern eine präzise Verifizierung der erwarteten Temperaturentwicklung über kosmologische Zeiten und ist insbesondere deshalb bemerkenswert, weil Unsicherheiten bei Messungen in dieser Rotverschiebungs- und Zeitspanne üblicherweise deutlich größer sind.
Die Bedeutung dieser Messung liegt darin, dass das Standardmodell der Kosmologie vorhersagt, dass die Temperatur des CMB mit der Ausdehnung des Universums abnimmt und proportional zur Größe (1 + z) skaliert, wobei z die Rotverschiebung bezeichnet. Eine direkte Bestätigung der CMB-Temperatur zu mittleren Epochen stellt daher einen kritischen Test dieser Skalierung dar und prüft grundlegende Annahmen über die thermische Entwicklung des Universums, wie sie in ΛCDM (Lambda-Cold-Dark-Matter) formuliert werden. Zusätzlich unterstützt eine solch präzise Messung die Verbindung zwischen frühen CMB-Beobachtungen, wie sie etwa durch die Planck-Sonde geliefert werden, und lokalen Messungen, und füllt damit eine Lücke in der Beobachtungskette über die thermische Geschichte des Kosmos.
Wie die Messung durchgeführt wurde

Temperaturkarte des kosmischen Mikrowellenhintergrunds, gemessen von der Planck-Sonde (ESA und die Planck Collaboration)
Das Team wertete archivierte ALMA-Spektren eines hellen Hintergrundquasars aus. Während das Licht des Quasars den Raum durchquerte, streifte es eine Vordergrundgalaxie, die sich in einem Zeitfenster von ungefähr sieben Milliarden Jahren in der Vergangenheit befand. In jener Galaxie befinden sich Moleküle, die bei Radiowellenlängen absorbieren und emittieren; die Verteilung und der Anregungszustand dieser molekularen Populationen hängt unter anderem vom umgebenden Strahlungsfeld ab. Indem die Forschenden die molekulare Anregung detailliert modellierten — insbesondere Signaturen von Molekülarten, die empfindlich auf das CMB-Bad reagieren — konnten sie auf die Hintergrundtemperatur schließen, die diese Populationen beeinflusst hat. Solche molekularen Thermometer basieren auf gut verstandenen Quantentransitionsraten, Kollisionspartnern und dem Strahlungsfolianten des CMB, wodurch die Methode physikalisch robust ist.
Die Analyse nutzte dabei sehr schmale Absorptionslinien, die im Spektrum des Quasars eingeprägt sind und wie feine Thermometer wirken: unterschiedliche Rotations- und Vibrationsübergänge reagieren unterschiedlich auf die Temperatur des umgebenden Photonen-Bads. In der Praxis bedeutete dies, dass die Forscherinnen und Forscher mehrere Übergänge desselben Moleküls und verwandter Spezies verglichen und mithilfe von nicht-lokalen thermodynamischen Modellen (statistische Besetzungszahlen, RADEX-ähnliche Modelle) die Temperaturkomponente isolierten, die sich eindeutig auf das kosmische Hintergrundfeld zurückführen ließ. Weil die Methode auf wohlbekannter molekularer Physik beruht und ALMA-Daten eine sehr hohe Signalqualität besitzen, ist die angenommene Unsicherheit von ±0,06 K für diesen Rotverschiebungsbereich außergewöhnlich gering und erlaubt eine aussagekräftige Testung kosmologischer Modelle.

Die relativen Positionen des Hintergrundquasars (helle Flare vor 11 Milliarden Jahren), der Vordergrundgalaxie, die HCN-Absorption erzeugt (vor 7 Milliarden Jahren), und des Beobachters (ALMA; Gegenwart). (Keio University)
Warum das für die Kosmologie wichtig ist
Die Bestätigung der CMB-Temperatur in mittleren Epochen stärkt das Vertrauen in das Urknallmodell und in das Standardmodell der Kosmologie. Frühere Messungen, insbesondere von Satelliten wie Planck und von weiteren CMB-Experimenten, haben die thermische Entwicklung des frühen Universums und die heutige Temperatur bereits sehr gut eingeschränkt; allerdings waren direkte, unabhängige Kontrollen in zeitlich mittleren Bereichen deutlich seltener. Diese neue Messung schließt eine beobachtbare Lücke und demonstriert, dass das Abkühlungsverhalten des kosmischen Mikrowellenhintergrunds über Milliarden von Jahren hinweg der theoretischen Erwartung entspricht. Solche empirischen Verknüpfungen sind zentral, um die interne Konsistenz verschiedener Datensätze (CMB, Supernovae, Baryonische Akustische Oszillationen, Galaxienverteilungen) zu prüfen und systematische Effekte auszuschließen.
Über die reine Validierung des theoretischen Rahmens hinaus leisten präzise Temperaturpunkte einen wichtigen Beitrag zur Begrenzung exotischer physikalischer Szenarien. Jede signifikante Abweichung von der erwarteten Skalierung T(z) = T0(1 + z) könnte auf zusätzliche Energiezufuhr in das Photonengas, auf nichtstandardmäßige Wechselwirkungen im dunklen Sektor oder auf andere Modifikationen des ΛCDM-Modells hinweisen. Konkrete Beispiele wären Modelle mit Photon-Injektion durch decays schwerer Teilchen, nicht-thermische Komponenten oder neue Kopplungen zwischen dunkler Materie und Strahlung. Messungen wie die von Kotani und Oka setzen bereits enge Grenzen für die Stärke solcher Effekte und tragen dazu bei, ein konsistentes Bild der kosmischen Energie- und Temperaturentwicklung zu formen.
Technische und methodische Einordnung
Damit solche Messungen glaubwürdig sind, ist ein tieferes Verständnis der molekularen Physik in extragalaktischen Umgebungen erforderlich. Das schließt Laborwerte für Kollisionsraten mit H2, Elektronen oder Helium als Partner, Strahlungsübergangs-Wahrscheinlichkeiten (Einstein-Koeffizienten) und mögliche lokale Wärmequellen in der Vordergrundgalaxie ein. Zusätzlich müssen systematische Effekte berücksichtigt werden, etwa die Möglichkeit, dass lokale Strahlungsquellen (Sterne, aktive galaktische Kerne) die Anregung der Moleküle dominieren könnten. Die Forscher prüften diese Einflüsse, indem sie mehrere Linien verschiedener Moleküle verglichen, die jeweils unterschiedlich auf lokale versus kosmische Strahlungsfelder reagieren. Die Übereinstimmung der modellierten Besetzungszahlen mit einer zusätzlichen komponentenfreien CMB-Temperaturkomponente stärkte die Interpretationskette, denn nur das Photonengas auf kosmischer Skala erklärt die konsistente Signatur über verschiedene Übergänge hinweg.
Ein weiterer methodischer Vorteil ist ALMAs Fähigkeit, hohe spektrale Auflösung und Sensitivität bei Millimeter- und Submillimeterwellenbereichen zu liefern. Diese Stärke erlaubt nicht nur die Detektion sehr schmaler Absorptionslinien, sondern auch die Trennung komplexer Linienprofile, die durch mehrere Gaskomponenten entlang der Sichtlinie entstehen können. Die Kombination aus hoher Auflösung, tiefen Archivdaten und ausgereiften radiophysikalischen Modellen macht solche temperaturbestimmenden Analysen möglich und erweitert das Spektrum kosmologischer Tests über klassische CMB-Messungen hinaus.
Was als Nächstes folgt?
Zukünftige Arbeit wird die Stichprobe an Temperaturmessungen bei mittleren Rotverschiebungen ausweiten — sowohl mit ALMA als auch mit weiteren Teleskopen und Instrumenten —, indem unterschiedliche molekulare Übergänge und vielfältigere Sichtlinien beobachtet werden. Eine größere Datenbasis über verschiedene Vordergrundgalaxien, unterschiedliche Umgebungen (z. B. unterschiedliche Gasdichten und Metallizitäten) und verschiedene Rotverschiebungen erhöht die statistische Aussagekraft und hilft, lokale systematische Effekte noch besser zu kontrollieren. Solche erweiterten Messreihen werden Tests kosmologischer Modelle schärfen und könnten feine Anomalien aufdecken, falls diese existieren. Darüber hinaus erlaubt die Kombination mit anderen Beobachtungsproben — etwa Präzisionsmessungen des CMB durch zukünftige Satelliten, großskaligen Strukturstudien und Spektren entfernter Galaxien — eine integrierte Rekonstruktion der thermodynamischen Entwicklung des Universums.
Kurzfristig ist das Ergebnis als signifikanter Erfolg zu werten: Es zeigt eine elegante Anwendung molekularer Astrophysik zur Aufzeichnung der thermischen Chronik, die im Nachleuchten des Urknalls gespeichert ist. Mittelfristig lässt sich die Methodik weiter verfeinern, etwa durch verbesserte Kollisionsraten aus Laborstudien, höhere Signal-zu-Rausch-Verhältnisse in Observationsdaten und durch den gezielten Einsatz komplementärer Linien, die verschieden sensitiv gegenüber Dichte, Temperatur und Strahlungsfeld sind. Langfristig könnten solche präziseren Temperaturprofile dazu beitragen, subtile physikalische Effekte zu entdecken oder bestehende Grenzen für abweichende Theorien noch weiter zu verschärfen.
Quelle: sciencealert
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