Darmbakterien produzieren Serotonin: Folgen für IBS

Forscher in Göteborg identifizierten Darmbakterien, die Serotonin produzieren. Die Entdeckung verbindet Mikrobiom, Serotonin und Reizdarmsyndrom (IBS) und eröffnet neue therapeutische Ansätze wie Probiotika und gezielte Biotherapeutika.

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Darmbakterien produzieren Serotonin: Folgen für IBS

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Forscher der Universität Göteborg haben Darmbakterien identifiziert, die Serotonin produzieren können — eine Entdeckung, die unser Verständnis der Darm-Hirn-Achse verändert und neue Möglichkeiten zur Behandlung des Reizdarmsyndroms (IBS) aufzeigt. Wissenschaftler entdeckten eine überraschende Verbindung zwischen spezifischen Darmbakterien und der körpereigenen Produktion von Serotonin, einem Molekül, das für die Regulierung der Darmfunktion entscheidend ist.

Mikroben, Serotonin und der Darm: Was die Studie fand

Serotonin wird häufig als Neurotransmitter des Gehirns diskutiert, doch mehr als 90 % des körpereigenen Serotonins entstehen tatsächlich im Verdauungstrakt. Dort steuert es über das enterische Nervensystem — das sogenannte "zweite Gehirn" — Muskelkontraktionen, Sekretion und Empfindung. Frühere Arbeiten legten nahe, dass das Mikrobiom die Serotoninspiegel des Wirts beeinflusst, doch eine direkte mikrobielle Produktion von aktivem Serotonin bei Säugetieren war bisher nicht eindeutig nachgewiesen.

In Experimenten, die in Cell Reports veröffentlicht wurden, isolierten die Forschenden zwei Bakterienarten, die zusammen bioaktives Serotonin synthetisieren: Limosilactobacillus mucosae und Ligilactobacillus ruminis. Als diese Stämme in keimfreie Mäuse mit niedrigen Serotoninwerten eingeführt wurden, stieg das Serotonin im Darm an, die Dichte der Nervenzellen im Kolon verbesserte sich und die Darmtransitzeit normalisierte sich. Diese funktionellen Veränderungen verknüpfen die mikrobielle Aktivität mit messbaren physiologischen Effekten, nicht nur mit biochemischen Markern.

Warum das für IBS und Patientenversorgung wichtig ist

Das Reizdarmsyndrom (IBS) ist eine heterogene Störung, die durch Bauchschmerzen und veränderte Stuhlgewohnheiten (Verstopfung, Durchfall oder beides) gekennzeichnet ist und häufiger Frauen betrifft als Männer. Die Ursachen für IBS sind multifaktoriell — Ernährung, Motilität, Immunantwort und das Mikrobiom spielen eine Rolle — doch die Serotoninsignalisierung ist zentral, weil sie direkt Motilität und Darmempfindlichkeit reguliert.

Das Team aus Göteborg fand, dass Stuhlproben von Menschen mit IBS geringere Mengen an L. mucosae enthielten als Proben gesunder Kontrollen. L. mucosae besitzt zudem die enzymatischen Voraussetzungen zur Serotoninsynthese, was die interessante Möglichkeit eröffnet, dass eine verringerte Häufigkeit dieser Art zu einer Serotoninunterversorgung bei einigen Patientinnen und Patienten beitragen könnte. Solche Beobachtungen verknüpfen Mikrobiom-Veränderungen mit pathophysiologischen Mechanismen bei IBS.

"Es ist unglaublich faszinierend, wie die Darmbakterien bioaktive Signalmoleküle produzieren können, die die Gesundheit beeinflussen", sagte Fredrik Bäckhed, Professor für molekulare Medizin an der Sahlgrenska Academy, und fasste damit die größere Bedeutung zusammen. Magnus Simrén, Professor für medizinische Gastroenterologie an derselben Einrichtung, ergänzte, dass die Entdeckung neue therapeutische Wege für funktionelle gastrointestinale Störungen wie das Reizdarmsyndrom eröffne.

Vom Labor zur Klinik: mögliche Therapien und nächste Schritte

Die unmittelbare wissenschaftliche Konsequenz ist klar: Bestimmte Darmbakterien können ein für den Wirt wichtiges Signalmolekül synthetisieren. Übersetzt in potenzielle Therapien eröffnen sich zwei vielversprechende Wege. Erstens die gezielte Wiederherstellung mikrobieller Funktionen — etwa durch spezifische Probiotika oder definierte bakterielle Konsortien, die Serotonin-produzierende Stämme wieder einbringen. Zweitens die Nutzung der von diesen Bakterien bereitgestellten Enzyme oder Metaboliten zur Entwicklung von kleinen Molekülen oder biotherapeutischen Ansätzen, die die Serotoninsignalgebung lokal im Darm modulieren.

Vor einer klinischen Anwendung sind jedoch mehrere Schritte notwendig. Forschende müssen Sicherheit und Wirksamkeit beim Menschen bestätigen, die Patientengruppen identifizieren, die am meisten profitieren könnten, sowie optimale Dosierung und Verabreichungswege festlegen. Ebenfalls wichtig ist das Verständnis, wie Ernährung, Antibiotika und andere Mikroben die Präsenz und Aktivität von L. mucosae und L. ruminis in verschiedenen Populationen beeinflussen. Solche Fragen betreffen sowohl die praktische Umsetzbarkeit von Probiotika als auch regulatorische Aspekte für Live-Biotherapeutika.

Wissenschaftlicher Kontext und offene Fragen

Diese Studie fügt der wachsenden Literatur zur chemischen Kommunikation zwischen Mikroben und Wirt wichtige Daten hinzu. Sie unterstreicht eine aktivere Rolle von Mikroben — nicht nur als Modulatoren von Wirtswegen über indirekte Mechanismen, sondern als direkte Produzenten bioaktiver Moleküle, die an der Physiologie des Wirts teilnehmen. Zentrale offene Fragen sind, wie verbreitet serotoninproduzierende Bakterien in verschiedenen menschlichen Populationen sind, wie stabil ihre Kolonisation ist und ob eine gezielte Manipulation dieser Arten neben intestinalen auch extraintestinale Effekte wie Stimmung oder Schmerzempfindung über die Darm-Hirn-Achse beeinflusst.

Für Menschen mit IBS sind diese Ergebnisse Anlass zu vorsichtigem Optimismus: Das Wiederherstellen spezifischer mikrobieller Funktionen statt einer breitflächigen Veränderung des Mikrobioms könnte zu gezielteren und besser verträglichen Therapien führen. Man kann sich eine zukünftige Therapie vorstellen — eine Pille oder ein lebendes Biotherapeutikum — das fehlende mikrobielle Serotoninproduktion ergänzt und Symptome lindert, ohne systemische Nebenwirkungen zu verursachen.

Quelle: scitechdaily

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