Uratmosphäre lieferte früher schwefelhaltige Bausteine

Laborexperimente zeigen: Die Uratmosphäre konnte durch Photochemie schwefelhaltige Biomoleküle wie Cystein aus einfachen Gasen herstellen. Das erweitert die Szenarien für den Ursprung des Lebens und beeinflusst Exoplaneten-Biosignaturen.

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Uratmosphäre lieferte früher schwefelhaltige Bausteine

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Neue Laborversuche deuten darauf hin, dass die Uratmosphäre der Erde schwefelhaltige Biomoleküle — darunter Aminosäuren wie Cystein — aus einfachen Gasen und Licht hätte herstellen können. Dieses Ergebnis verändert die Perspektive darauf, wie und wo die Rohstoffe für das Leben zuerst entstanden sein könnten.

A sky that cooked up complex sulfur compounds

Forscher der University of Colorado Boulder und Kollaborateurinnen und Kollaborateure berichten in den Proceedings of the National Academy of Sciences, dass eine simulierte präbiotische Atmosphäre eine überraschend breite Palette schwefelbasierter Moleküle produzierte. Durch Beleuchtung einer Mischung aus Methan, Kohlendioxid, Schwefelwasserstoff und Stickstoff — Gase, die plausibel auf der frühen Erde reichlich vorhanden waren — erzeugte das Team Verbindungen, die bislang oft als Produkte lebender Chemie angesehen wurden.

Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gingen bisher davon aus, dass organische Schwefelverbindungen, etwa bestimmte Aminosäuren, biologische Synthesewege benötigen, um in relevanten Mengen zu entstehen. Frühere Laborstudien lieferten solche Moleküle meist nur unter sehr spezifischen, lokalisierten Bedingungen, zum Beispiel an hydrothermalen Quellen oder in vulkanisch geprägten Umgebungen. Die Experimente der CU Boulder werfen dieses engere Bild um: Gewöhnliche atmosphärische Chemie, angetrieben durch Licht, könnte global als Fabrik für biologisch relevante Schwefelarten fungiert haben.

Diese Interpretation erweitert das Spektrum plausibler Pfade der präbiotischen Chemie. Wenn schwefelhaltige Aminosäuren wie Cystein und andere Schwefel-Biomoleküle atmosphärisch gebildet wurden, hätten sie weiträumig verteilt und in Ozeanen, Seen und auf Land niedergeregnet werden können — als bereits vorgefertigte Bausteine für frühe chemische Evolution.

What the experiment showed and how it was done

Im Labor setzten die Forschenden eine kontrollierte Gasgemischprobe ultraviolettähnlichem Licht aus, um Sonnenlicht auf der frühen Atmosphäre zu simulieren. Schwefel ist in Experimenten notorisch schwer zu untersuchen: Er haftet an Oberflächen und kommt typischerweise in sehr geringen Konzentrationen im Vergleich zu Stickstoff und Kohlendioxid vor. Um diese Schwierigkeiten zu überwinden, nutzte das Team ein hochempfindliches Massenspektrometer, das in der Lage ist, Spurprodukte zu detektieren.

Als gemessene Reaktionsprodukte identifizierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter anderem die Aminosäure Cystein sowie weitere schwefelhaltige Biomoleküle wie Taurin und Coenzym M — Verbindungen, die in modernen Stoffwechselwegen eine Rolle spielen. Das Vorkommen dieser Moleküle in der simulierten Atmosphäre legt nahe, dass sie möglicherweise schon vor dem Auftreten von Leben entstanden und dann zur Erdoberfläche gelangt sein könnten.

Methodisch beinhaltete die Studie mehrere Kontrollexperimente und Wiederholungen, um Artefakte durch Oberflächenadsorption oder Kontamination auszuschließen. Die Beleuchtungsquelle wurde so gewählt, dass sie spektral relevante UV-Bereiche abdeckte, welche in der frühen Sonne stärker vertreten gewesen sein könnten. Zusätzlich verglich das Team unterschiedliche Gaszusammensetzungen und Druckbedingungen, um die Robustheit der Produktbildung gegenüber Variationen in der Uratmosphäre zu prüfen.

Technische Details zur Analytik sind für das Verständnis der Befunde zentral: Die hohe Auflösung der Massenspektrometrie ermöglichte nicht nur den Nachweis von Molekularmassen, sondern auch die Trennung isobarer Spezies und die Zuordnung charakteristischer Fragmentierungsprodukte. Solche instrumentellen Fortschritte sind entscheidend, um Spurkonzentrationen schwefelhaltiger Verbindungen zuverlässig zu identifizieren und von Hintergrundsignalen zu unterscheiden.

Nate Reed und Ellie Browne arbeiten im Labor.

Scaling the chemistry to a planetary context

Über den reinen Nachweis einzelner Moleküle hinaus schätzte das Team, wie viel Cystein eine gesamte primordial-atmosphäre theoretisch produzieren könnte. Ihre Rechnungen ergaben, dass genug Cystein entstehen könnte, um grob geschätzt rund eine Oktillion Zellen (1 × 10^27) zu versorgen — eine große Zahl, die jedoch immer noch unter der heute geschätzten Gesamtbiomasse (~1 × 10^30 Zellen) liegt. Anders formuliert: Die Atmosphäre allein hätte ein globales Inventar an schwefelhaltigen Aminosäuren liefern können, das ausreichte, um frühzeitliche Ökosysteme anzufüttern.

Solche Skalierungen basieren auf Modellen zur Atmosphärenchemie, Einschlussraten von Aerosolen, Niederschlagsmechanismen und den angenommenen Lebensdauern der Produktmoleküle in der Umwelt. Die Autoren berücksichtigten, dass viele Reaktionsprodukte in der gasförmigen Phase kurzlebig sind und in flüssige oder feste Aerosole übergehen können, die dann zur Oberfläche transportiert werden. Diese Prozesse — Photochemie, Aerosolbildung und Nassabscheidung — sind zentral für die Frage, wie effizient atmosphärische Synthese die frühen Ozeane und Oberflächen mit präbiotischen Molekülen beliefern konnte.

Wichtig für die Interpretationen ist auch die Bandbreite plausible Amplituden der frühen solaren UV-Strahlung und die Zusammensetzung der Uratmosphäre, einschließlich Methan- und Schwefelanteilen. Unterschiedliche Annahmen führen zu variierenden Produktionsraten, doch selbst konservative Schätzungen zeigen, dass atmosphärische Synthese ein relevanter Beitrag zur globalen Verfügbarkeit schwefelhaltiger Bausteine gewesen sein könnte.

Die Möglichkeit einer diffus verfügbaren Quelle für schwefelhaltige Aminosäuren erweitert die Zahl realistischer Szenarien für den Ursprung des Lebens. Statt ausschließlich auf seltene, chemisch reiche Nischen wie hydrothermale Quellen angewiesen zu sein, könnte die frühe Erde über großräumig verteilte chemische Ressourcen verfügt haben, die überall dort an Land oder in flachen Gewässern genutzt wurden, wo Konzentrationsmechanismen (z. B. Verdunstung, Adsorption an Mineraloberflächen) lokale Reaktionsräume schufen.

Implications for origin-of-life studies and exoplanet biosignatures

Die Ergebnisse haben mindestens zwei unmittelbare Implikationen: Erstens muss die Forschung zum Ursprung des Lebens atmosphärische Produktionswege als potenziell wichtige Quellen komplexer organischer Verbindungen berücksichtigen; zweitens bedeutet der Nachweis bestimmter Schwefelgase auf fremden Welten nicht zwangsläufig Leben. Vorangehende Arbeiten derselben Autorengruppe zeigten beispielsweise, dass Dimethylsulfid — ein Schwefelgas, das auf der modernen Erde oft durch marine Organismen produziert wird — auch abiogen durch einfache atmosphärische Chemie und Licht entstehen kann. Diese Erkenntnis, zusammen mit den neuen Ergebnissen, differenziert die Interpretation von Schwefelarten, die von Missionen wie dem James Webb Space Telescope beobachtet werden könnten.

In der Planetologie und Exoplanetenforschung spricht man häufig von Biosignaturen: Molekülen oder Signaturen, die auf biotische Aktivität hindeuten könnten. Diese Studie betont, dass einige potenzielle Biosignaturen Schwefel enthaltender Art auch durch Photochemie in einer geeigneten Atmosphäre erklärt werden können. Daher sind kombinierte Indikatoren, Kontextdaten zur Planetenatmosphäre (z. B. Redoxzustand, Gasverhältnisse) und quantitative Modellierung notwendig, um falsche Positive zu vermeiden.

Ferner zeigen die Experimente, dass die Schnittstelle von Atmosphärenmodellierung, Laborsimulationen und empfindlicher Spektroskopie entscheidend ist, um Biogenität von photochemischen Quellen zu unterscheiden. Beobachtungen, die nur einzelne Moleküle erfassen, sind weniger aussagekräftig als spektrale Muster und Veränderungsraten, die in Kombination mit Klima- und Photochemie-Modellen bewertet werden können. Für Suchstrategien nach Leben auf Exoplaneten bedeutet dies: Man braucht robuste Kriterien, die sowohl abiogene als auch biotische Produktionspfade abwägen.

Die Erkenntnis beeinflusst auch die Priorisierung von Zielplaneten für Folgebeobachtungen. Planeten mit atmosphärischen Bedingungen, die photochemische Synthese begünstigen (z. B. reichlich Methan plus Schwefelquellen und starke UV-Flüsse), sollten hinsichtlich möglicher abiogener Schwefelprodukte sorgfältig analysiert werden, bevor man sie als potenziell bewohnt einstuft.

Expert Insight

Dr. Mira Patel, eine Astrobiologin (nicht an der Studie beteiligt), sagt: 'Diese Arbeit erinnert uns daran, dass planetare Atmosphären reaktive chemische Systeme sind. Wenn man einfache Gase Licht aussetzt, können überraschend komplexe Produkte entstehen. Das ist wichtig sowohl für unser Verständnis, wie Leben auf der Erde begann, als auch für die Suche nach chemischen Indikatoren für Leben auf anderen Planeten.'

Die CU Boulder-Studie unterstreicht zudem die Bedeutung präziser Instrumentierung in der präbiotischen Chemie. Der Nachweis von Spur-Schwefelarten erforderte eine gesteigerte analytische Empfindlichkeit, und die entwickelten Techniken könnten auf andere Simulationen übertragen werden, die untersuchen, wie stickstoff-, phosphor- oder schwefelreiche Moleküle in planetaren Umgebungen entstehen.

Präzisere Messungen und reproduzierbare Laborstudien sind notwendig, um die Produktvielfalt, Reaktionspfade und Isotopenkennzeichen dieser atmosphärisch erzeugten Moleküle weiter zu kartieren. Isotopensignaturen könnten in Zukunft helfen, zwischen biogenen und abiotischen Quellen zu unterscheiden, wenn ausreichend spektrale oder massenspektrometrische Auflösung verfügbar ist.

Wenn Forschende die Laborbedingungen weiter ausbauen — etwa durch Variation des solaren Inputs, unterschiedliche atmosphärische Zusammensetzungen, Druck- und Temperaturprofile sowie durch Einbeziehung von Oberflächeninteraktionen mit Mineralien — werden wir ein klareres Bild der Robustheit atmosphärischer Wege zur Erzeugung lebenswichtiger Bausteine erhalten. Erste Hinweise deuten darauf hin, dass die Atmosphäre ein effizienter Lieferant von Aminosäuren und Cofaktoren gewesen sein könnte; damit würde der Ursprung des Lebens weniger von seltenen geologischen Orten abhängen und mehr von weit verbreiteter planetarer Chemie.

Zusammenfassend erweitern die Ergebnisse unser Verständnis der präbiotischen Chemie, indem sie atmosphärische Photochemie als plausiblen und produktiven Pfad für die Bildung schwefelhaltiger Biomoleküle etablieren. Das beeinflusst sowohl Modelle zum Ursprung des Lebens als auch Strategien zur Suche nach Leben auf Exoplaneten, indem es die Notwendigkeit einer integrierten, multi-disziplinären Auswertung von Beobachtungsdaten und Laborexperimenten betont.

Quelle: scitechdaily

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