Durchbruch: Aminosäuren binden sich unter milden Bedingungen selektiv an RNA

Durchbruch: Aminosäuren binden sich unter milden Bedingungen selektiv an RNA

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Eine bahnbrechende Laborstudie des University College London (UCL) rekonstruiert einen plausiblen chemischen Schritt, der vor fast vier Milliarden Jahren die Entstehung des Lebens auf der Erde ausgelöst haben könnte. Ein wegweisendes Experiment zeigt, wie RNA und Aminosäuren sich verbinden könnten, um die ersten Schritte in Richtung Leben in Gang zu setzen. (Künstlerische Darstellung.) Bildnachweis: SciTechDaily.com

Wissenschaftler haben einen spontanen, selektiven Weg nachgewiesen, durch den Aminosäuren — die Bausteine von Proteinen — sich unter milden, wässrigen Bedingungen an RNA anlagern können. Diese Bedingungen ahmen frühe Süßwasser-Umgebungen der Erde nach. Das Ergebnis liefert eine fehlende chemische Verbindung zwischen zwei grundlegenden Komponenten lebender Systeme: Informationspolymeren (RNA) und Funktionsmolekülen (Proteinen).

Wissenschaftlicher Hintergrund: RNA, Aminosäuren und das Ursprungsproblem

Moderne Zellen übersetzen genetische Information in funktionelle Proteine mithilfe einer komplexen molekularen Maschine, dem Ribosom, gesteuert durch Boten-RNA (mRNA). Zu verstehen, wie primitive Systeme zunächst Aminosäuren an Informationspolymere koppeln konnten, ist zentral für die Forschung zum Ursprung des Lebens.

Zwei dominante Rahmen haben das Denken über den Ursprung des Lebens geprägt: die "RNA-Welt"-Hypothese, die annimmt, dass sich selbstreplizierende RNA Proteinen und modernerm Stoffwechsel vorausging, und stoffwechsel-first-Modelle, die energiereiche Verbindungen wie Thioester betonen. Thioester sind schwefelhaltige, energiereiche Moleküle, die in der heutigen Biochemie wichtig sind und von Nobelpreisträger Christian de Duve als mögliche Energieeinheit am Ursprung des Lebens vorgeschlagen wurden.

Die Rekonstruktion des Schrittes, in dem Aminosäuren an RNA gebunden werden — ein notwendiger Vorläufer für Peptidbildung und kodierte Proteinsynthese — blieb Chemikern seit den 1970er-Jahren verwehrt. Frühere Ansätze setzten auf sehr reaktive Aktivierungschemien, die in Wasser schnell hydrolysierten oder unerwünschte Nebenreaktionen zwischen Aminosäuren auslösten, statt einer selektiven Anlagerung an RNA.

Versuchsdetails: ein schonenderer Aktivierungsweg

Das UCL-Team entwickelte eine biologisch inspirierte, mildere Aktivierungsstrategie, die Aminosäuren in eine reaktive Form überführt, ohne in wässriger Lösung schnell zu hydrolysieren. Statt aggressiver chemischer Aktivatoren verwendeten die Forschenden Thioester-aktivierte Aminosäuren, die durch die Reaktion von Aminosäuren mit einem schwefelhaltigen Kleinmolekül namens Pantethein gebildet wurden. Pantethein ist der Kern von Coenzym A, und die Gruppe hatte zuvor gezeigt, dass Pantethein unter plausiblen präbiotischen Bedingungen synthetisiert werden kann, was seine Relevanz für die frühe-Erd-Chemie stärkt.

Laborbedingungen und Analysemethoden

Die Reaktionen wurden in Wasser bei neutralem pH und bei Konzentrationen durchgeführt, die eher durch Verdunstung oder Ansammlung in frühen Süßwasser-Pools und Seen erreicht würden als im offenen Ozean, wo Verdünnung die Chemie wahrscheinlich verhindern würde. Die analytische Detektion beruhte auf hochauflösenden Techniken, die Struktur und Masse auf atomarer Ebene aufklären können: Varianten der Kernspinresonanzspektroskopie (NMR) untersuchten atomare Verknüpfungen und Anordnungen, und Massenspektrometrie bestätigte Molekularmassen und Reaktionsprodukte.

Diese Methoden zeigten, dass thioester-aktivierte Aminosäuren sich spontan und selektiv an das Ribose-Phosphat-Rückgrat kurzer RNA-Sequenzen anlagern können. Wichtig ist, dass die Chemie die Anlagerung an RNA gegenüber unerwünschter Aminosäure-Selbstkondensation begünstigt — ein Problem, das frühere Versuche behinderte.

Wesentliche Entdeckungen und Implikationen

Der zentrale Fortschritt ist der experimentelle Nachweis, dass Aminosäuren, wenn sie unter milden, wasserverträglichen Bedingungen zu Thioestern umgewandelt werden, auf RNA geladen werden können. Einmal angehängt, könnten diese RNA-gebundenen Aminosäuren an Peptidbildungsprozessen mit anderen Aminosäuren teilnehmen und so kurze Peptide erzeugen — die molekularen Vorläufer von Proteinen.

Dieses Ergebnis verbindet zwei zuvor konkurrierende oder ergänzende Ursprungs-Hypothesen: die RNA-Welt (betont informationstragende Moleküle) und thioester-zentrierte, stoffwechsel-first-Ideen (betonen energetische Chemie). Indem eine plausible chemische Verbindung zwischen RNA- und Thioesterchemie gezeigt wird, legt die Studie einen Mechanismus nahe, durch den frühe genetische Polymere beginnen konnten, die Peptidassemblierung zu beeinflussen — ein erster Schritt hin zur kodierten Proteinsynthese und zur Entstehung eines genetischen Codes.

Professor Matthew Powner (UCL Department of Chemistry) bewertet das Ergebnis als einen kritischen Schritt, um zu erklären, wie RNA die Kontrolle über die Proteinsynthese erlangen konnte. Die Erstautorin Dr. Jyoti Singh betont, dass die in dieser Studie verwendeten aktivierten Aminosäuren biochemischen Bausteinen ähneln (Thioester, abgeleitet von Pantethein/Coenzym A), die in allen heutigen Lebewesen vorkommen, und damit primitive Stoffwechselprozesse mit der späteren Entwicklung genetischer Codierung und enzymgetriebener Chemie verknüpfen könnten.

Warum diese Chemie für Ursprungs-Szenarien wichtig ist

Peptide sind kurze Ketten von Aminosäuren (typischerweise 2–50 Reste) und dienen in der modernen Biologie als funktionelle Gerüste und Katalysatoren. Einen Weg zu demonstrieren, wie RNA aktivierte Aminosäuren tragen kann, die Peptide bilden, schließt eine lange bestehende Lücke: Wie könnte ein informationstragendes Polymer wie RNA die Bildung von Peptiden gefördert oder vorgegeben haben, bevor Ribosomen und moderne Translationsmaschinerie existierten?

Der Befund hilft zu erklären, wie Spezifität entstehen konnte: Wenn bestimmte RNA-Sequenzen aktivierte Aminosäuren bevorzugt binden oder stabilisieren, könnte diese bevorzugte Bindung ein frühes chemisches Kodierungssystem darstellen. Mit der Zeit könnten Selektion und zunehmende chemische Komplexität Beziehungen zwischen Nukleinsäuresequenzen und Aminosäure-Identitäten verfeinern und festigen — die Grundlage des genetischen Codes.

Begrenzungen und kontextuelle Einschränkungen

Die Forschenden betonen, dass die Arbeit sich auf Chemie in kontrollierten Laborumgebungen konzentriert und nicht behauptet, ein vollständig funktionsfähiges präbiotisches Translationssystem rekonstruiert zu haben. Die Reaktionen erscheinen in konzentrierten Süßwasser-Pools oder -Teichen möglich, in denen Verdunstung und geochemische Prozesse Reaktanten konzentrieren; im weiten, verdünnten Ozean sind sie dagegen weniger wahrscheinlich.

Weitere Hürden bleiben: längere Peptide zu erzielen, reproduzierbare sequenzspezifische RNA–Aminosäure-Paarungen zu produzieren und Zyklen von Replikation und Selektion zu demonstrieren, die zunehmende Komplexität antreiben. Trotz dieser Herausforderungen beseitigt das Experiment eine wesentliche chemische Barriere und bietet einen überprüfbaren Mechanismus für zukünftige Arbeiten.

Expertenkommentar

Dr. Elena Vargas, Astrobiologin und Forscherin zum Ursprung des Lebens (University of California, fiktional für den Kommentar), sagt: „Diese Studie ist bedeutend, weil sie Spekulationen darüber, wie Aminosäuren an Nukleinsäuren gebunden haben könnten, durch einen experimentell verifizierten Weg ersetzt. Die Verwendung von Thioester-Aktivierung in neutralem Wasser ist chemisch sinnvoll und geochemisch plausibel — sie passt zu Umgebungen, die wir bereits für präbiotische Chemie vielversprechend erachten, wie austrocknende Teiche und hydrothermal beeinflusste Seen.“

Sie fügt hinzu: „Der nächste Schritt ist zu testen, ob bestimmte RNA-Sequenzen unter realistischen Bedingungen konsistent bestimmte Aminosäuren gegenüber anderen auswählen. Wenn diese Spezifität auftritt, beginnen wir zu erkennen, wie rudimentäre Kodierung ohne moderne Enzyme entstehen könnte. Das wäre transformativ für unsere Suche nach Leben außerhalb der Erde, weil es konkrete chemische Signaturen liefert, nach denen wir in planetaren Proben suchen können.“

Verwandte Technologien und Zukunftsaussichten

Analytische Fortschritte in Spektroskopie und Massenspektrometrie machen es möglich, flüchtige, niedriger Konzentration intermediäre zu detektieren und zu charakterisieren, die mit älteren Methoden unsichtbar geblieben wären. Fortgesetzte Verbesserungen in präbiotischer Synthese, mikrofluidischer Simulation von Trocken-Feucht-Zyklen und Simulationen früher planetarer Umgebungen werden Forschenden helfen, diese Ergebnisse auf komplexere Systeme zu übertragen.

Praktische zukünftige Experimente umfassen:

  • Tests einer größeren Auswahl von Aminosäuren und RNA-Sequenzen, um Bindungsvorlieben und sequenzabhängige Ergebnisse zu bewerten.
  • Simulationen von Umweltzyklen (Nass-Trocken, Gefrier-Auftau, thermische Gradienten), um zu prüfen, ob diese Reaktionen wiederholt, konzentriert und an Polymerisationswege gekoppelt werden können.
  • Integration von Mineraloberflächen oder Lipiden, um zu untersuchen, ob Kompartimentierung und Katalyse die Peptidlänge weiter erhöhen und die Entstehung proto-stoffwechselartiger Netzwerke fördern könnten.

Aus astrobiologischer Sicht verfeinert die Studie die chemischen Szenarien, die wir berücksichtigen sollten, wenn wir nach Lebensspuren auf anderen Welten suchen. Wenn Thioesterchemie und RNA–Aminosäure-Kopplung unter einer Reihe von Umweltbedingungen robust sind, könnte gleichwertige Chemie auf eisigen Monden oder in frühen Mars-Analoga plausibel sein, wo Wasser-Gesteins-Wechselwirkung und Schwefelchemie vorhanden sind.

Breitere Bedeutung

Indem experimentell zwei konzeptuelle Bausteine — aktivierte Aminosäuren (Thioester) und RNA — verbunden werden, verringert diese Arbeit die Lücke zwischen Chemie und Biologie. Sie legt nahe, dass Kernbestandteile der modernen Biochemie erdgebundene, präbiotische Vorläufer gehabt haben könnten, die nicht nur chemisch plausibel, sondern experimentell nachweisbar sind.

Die Verbindung zu Pantethein- und Coenzym-A-ähnlicher Chemie ist besonders bemerkenswert, weil sie eine Kontinuität zwischen primordialer Energie-koppelnder Chemie und zeitgenössischen Stoffwechselwegen andeutet. Eine solche Kontinuität würde eine graduelle Entwicklung unterstützen, in der Stoffwechsel, Informationsspeicherung und katalytische Funktion ko-evolutionär entstanden, statt in einem einzigen Sprung aufzutauchen.

Fazit

Das Experiment der UCL liefert überzeugende Laborevidenz, dass als Thioester aktivierte Aminosäuren sich selektiv an RNA unter milden, wässrigen Bedingungen anlagern können, die mit frühen Süßwasser-Umgebungen der Erde vereinbar sind. Dieses Ergebnis überbrückt die RNA-Welt- und Thioester-basierten Ursprungs-Hypothesen und bietet einen chemisch plausiblen Weg zu den frühesten Stadien der Peptidbildung und der Entstehung kodierter Proteinsynthese. Obwohl viele Fragen offen bleiben — insbesondere zur Sequenzspezifität, zur Bildung längerer Peptide und zur großmaßstäblichen Umweltplausibilität — markiert die Studie einen bedeutsamen Schritt zur Rekonstruktion, wie sich informations- und funktionstragende Moleküle des Lebens begonnen haben könnten, zusammenzuarbeiten. Zukünftige Arbeiten werden prüfen, ob RNA-Sequenzen systematisch Aminosäuren auswählen können und wie diese primitiven Wechselwirkungen sich zum genetischen Code entwickeln könnten, der allen bekannten Lebensformen zugrunde liegt.

Quelle: scitechdaily

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