Chronische Schmerzen erhöhen das Risiko für Bluthochdruck

Langzeitdaten zeigen: Chronische, weit verbreitete Schmerzen erhöhen das Risiko für Bluthochdruck. Depressionen und niedriggradige Entzündungen vermitteln Teile dieses Effekts. Klinische und präventive Maßnahmen sind wichtig.

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Chronische Schmerzen erhöhen das Risiko für Bluthochdruck

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Neue Langzeitforschung bringt chronische, weit verbreitete Schmerzen mit einer deutlich erhöhten Wahrscheinlichkeit in Verbindung, Bluthochdruck zu entwickeln. Die Studie hebt Depressionen und niedriggradige Entzündungsreaktionen als teilweise vermittelnde Pfade hervor, die an der Verbindung zwischen anhaltenden Schmerzen und einem höheren kardiovaskulären Risiko beteiligt sind, und betont die Notwendigkeit, Schmerzen nicht nur als isoliertes Symptom zu behandeln.

Studie verbindet chronische Schmerzen mit höherem Hypertonie-Risiko

Eine großangelegte Bevölkerungsstudie, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Hypertension, analysierte mehr als 200.000 Erwachsene und fand heraus, dass Menschen mit chronischen Schmerzen – insbesondere wenn mehrere Körperregionen betroffen sind – im Laufe der Zeit eher Bluthochdruck entwickeln. Das Risiko stieg mit dem Ausmaß der Schmerzverteilung: Personen, die über Schmerzen in vielen Körperbereichen berichteten, hatten im Vergleich zu Menschen ohne Schmerzen oder mit nur vorübergehenden Beschwerden die stärksten Zunahmen des Hypertonie-Risikos. Diese Beobachtung legt nahe, dass nicht nur die Schmerzstärke, sondern auch die räumliche Verteilung von Schmerzen für das kardiovaskuläre Risiko relevant ist.

Bluthochdruck (Hypertonie) entsteht, wenn die Kraft des Blutes gegen die Gefäßwände dauerhaft zu hoch ist, wodurch das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und andere kardiovaskuläre Ereignisse steigt. Neue Leitlinien großer medizinischer Fachgesellschaften definieren die Stadien 1 und 2 der Hypertonie bereits ab 130/80 mm Hg, ein Schwellenwert, der inzwischen auf fast die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung in bestimmten Ländern zutrifft. Angesichts der weiten Verbreitung sowohl chronischer Schmerzen als auch von Bluthochdruck haben Erkenntnisse über deren Zusammenhang erhebliche Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit, Prävention und Versorgungssysteme.

Wie Forscher Schmerz, Depression und Entzündung erfassten

Die Auswertung nutzte Daten aus dem UK Biobank, einer großen Forschungsressource, die zwischen 2006 und 2010 mehr als eine halbe Million Erwachsene im Alter von 40–69 Jahren rekrutierte. Für diese spezifische Studie untersuchten die Forschenden 206.963 Teilnehmer mit einem Durchschnittsalter von 54 Jahren, die über einen Zeitraum von etwa 13,5 Jahren nachbeobachtet wurden. Die große Fallzahl und die lange Beobachtungszeit stärken die Aussagekraft der Ergebnisse, erlauben jedoch nicht automatisch kausale Schlussfolgerungen.

Zu Beginn füllten die Teilnehmenden einen Fragebogen aus, in dem angegeben wurde, ob Schmerzen in den vergangenen vier Wochen die Alltagsaktivitäten beeinträchtigt hatten und an welchen Stellen Schmerzen auftraten – Kopf, Gesicht, Nacken/Schulter, Rücken, Abdomen, Hüfte, Knie oder am ganzen Körper. Zudem gaben die Personen an, ob die Schmerzen drei Monate oder länger angehalten hatten, ein gängiger klinischer Schwellenwert zur Klassifikation chronischer muskuloskeletaler Schmerzen. Die Differenzierung nach Dauer (kurzfristig vs. chronisch) und Verteilung (lokal vs. weit verbreitet) erlaubte eine detaillierte Risikoabschätzung.

Depressive Symptome wurden mithilfe standardisierter Fragen zu Stimmung, Interesse, Unruhe und Energie in den vorangegangenen zwei Wochen erfasst. Niedriggradige systemische Entzündung wurde über die Bestimmung von C-reaktivem Protein (CRP) in Blutproben gemessen, ein etablierter Biomarker für entzündliche Aktivität. Die Forschenden verfolgten dann neue Fälle von Bluthochdruck anhand von Krankenhausakten und diagnostischer Kodierung (ICD-10), um neu diagnostizierte Hypertonie während der Nachbeobachtung zu identifizieren. Diese Kombination aus Befragungsdaten, Laborparametern und Routinedaten aus Versorgungsdatenbanken erhöht die Robustheit der Analyse, bringt aber auch Limitationen wie mögliche Fehlklassifikationen mit sich.

Wesentliche Ergebnisse und ihre Bedeutung

Während des Beobachtungszeitraums entwickelten fast 10 % der Studienpopulation Bluthochdruck. Im Vergleich zu Personen ohne Schmerzen wiesen jene mit chronisch weit verbreiteten Schmerzen deutlich höhere Odds auf eine spätere Hypertonie-Diagnose. Relativ betrachtet ergaben sich folgende Befunde:

  • Chronische, weit verbreitete Schmerzen erhöhten das Risiko für Bluthochdruck um etwa 75 %.
  • Kurzfristige Schmerzen waren mit einem ungefähr 10 % höheren Risiko verbunden.
  • Chronische Schmerzen, die auf eine einzige Stelle beschränkt waren, steigerten das Risiko um rund 20 %.

Die Studie differenzierte zusätzlich nach Schmerzlokalisation. Chronische Bauchschmerzen, wiederkehrende Kopfschmerzen und Nacken-/Schulterbeschwerden gehörten zu den ortsspezifischen Symptomen, die mit einem höheren Hypertonie-Risiko assoziiert waren, während Hüft- und Rückenschmerzen schwächere Zusammenhänge zeigten. Zusammengenommen erklärten gemessene Depressivität und CRP-vermittelte Entzündungsprozesse ungefähr 11,7 % der Beziehung zwischen chronischen Schmerzen und dem nachfolgenden Auftreten von Bluthochdruck. Das deutet darauf hin, dass sowohl psychologische als auch biologische Mechanismen beteiligt sind, aber ein großer Teil des beobachteten Zusammenhangs durch diese Faktoren allein nicht erklärt werden kann.

Die leitenden Forschenden stellten außerdem fest, dass Personen mit chronischen Schmerzen häufiger andere Risikofaktoren für Hypertonie aufwiesen: einen höheren Body-Mass-Index (BMI), einen größeren Taillenumfang, weniger günstige Lebensstilgewohnheiten und mehr chronische Begleiterkrankungen. In ihren Analysen berücksichtigten sie deshalb Kovariaten wie Rauchen, Alkoholkonsum, körperliche Aktivität, sitzende Zeit, Schlafdauer sowie Obst- und Gemüseverzehr, um den unabhängigen Beitrag von Schmerzen abzuschätzen. Trotz dieser Anpassungen bleiben mögliche Residualkonfounder und Messfehler wichtige Einschränkungen.

Expertise und Einschätzung

„Diese Studie zeigt ein klares Muster: Je weiter verbreitet die chronischen Schmerzen sind, desto größer ist das Risiko, Bluthochdruck zu entwickeln“, sagte Dr. Maya Thompson, eine klinische Epidemiologin mit Schwerpunkt Schmerz- und kardiometabolische Gesundheit. „Diese Verbindung scheint teilweise durch Stimmungslage und Entzündung vermittelt zu werden, doch es gibt wahrscheinlich zusätzliche Mechanismen – Veränderungen des autonomen Nervensystems, Stresshormonantworten und die Folgen langfristiger Analgetikaanwendung –, die genauer untersucht werden sollten.“

Dr. Thompson ergänzte: „Klinikerinnen und Kliniker sollten anhaltende Schmerzen als Marker für ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko betrachten. Das Screening auf depressive Symptome und die regelmäßige Blutdrucküberwachung bei Patientinnen und Patienten mit chronischem Schmerz können helfen, diejenigen zu identifizieren, die frühzeitigere Interventionen benötigen.“ Ihre Einschätzung unterstreicht die Notwendigkeit integrierter Versorgungsansätze, die Schmerztherapie, psychische Gesundheit und kardiovaskuläre Prävention verbinden.

Folgerungen für Patienten, Behandelnde und die Forschung

Diese Ergebnisse liefern mehrere praktische Hinweise. Erstens: Eine verbesserte Schmerztherapie kann nicht nur das Leid reduzieren, sondern potenziell auch langfristige kardiovaskuläre Risiken senken. Multimodale Interventionsansätze, die physikalische Therapie, psychologische Unterstützung (z. B. kognitive Verhaltenstherapie), gezielte Lebensstilmodifikation und eine sorgfältige Auswahl von Medikamenten kombinieren, könnten doppelte Vorteile bieten – Schmerzlinderung und ein geringeres Risiko für Bluthochdruck und Folgeerkrankungen. Zweitens: Routinemäßige psychische Gesundheitschecks bei Menschen mit anhaltenden Schmerzen können helfen, Depressionen frühzeitig zu erkennen; die Behandlung depressiver Symptome könnte einen Teil des erhöhten Hypertonie-Risikos abmildern.

Die Auswahl von Medikamenten ist wichtig. Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR/NSAIDs), einschließlich häufig verwendeter frei verkäuflicher Wirkstoffe wie Ibuprofen, sind dafür bekannt, bei manchen Personen den Blutdruck zu erhöhen und können die Wirkung von Antihypertensiva beeinträchtigen. Die Studienautorinnen und -autoren sowie Fachleute für Hypertonie empfehlen, die Einflüsse von Schmerzmitteln auf den Blutdruck bei der Behandlung chronischer Schmerzen zu berücksichtigen, insbesondere bei Patientinnen und Patienten mit bereits vorhandenem kardiovaskulärem Risiko. Alternativen wie topische Präparate, gezielte physikalische Verfahren oder nicht-pharmakologische Therapien sollten in Erwägung gezogen werden, wenn dies klinisch sinnvoll ist.

Aus Forschungssicht kann eine beobachtende Kohortenstudie keine Kausalität beweisen. Die Kohorte war überwiegend mittelalte und ältere weiße Erwachsene aus dem Vereinigten Königreich, weshalb die Ergebnisse möglicherweise nicht direkt auf jüngere Bevölkerungsgruppen oder ethnisch vielfältigere Populationen übertragbar sind. Die einmalige, selbstberichtete Erfassung von Schmerzen zu einem Baseline-Zeitpunkt sowie die Abhängigkeit von ICD-10-Codierungen zur Identifikation von Hypertonie sind weitere Limitationen. Randomisierte, kontrollierte Studien, die prüfen, ob gezielte Schmerzbehandlungen das Auftreten von Bluthochdruck verringern können, wären ein nächster Schritt, um eine kausale Verbindung zu bestätigen. Ergänzend wären mechanistische Studien zu autonomen, endokrinologischen und immunologischen Pfaden sinnvoll.

Praktische Empfehlungen

Für Patientinnen und Patienten: Wer unter anhaltenden oder sich ausbreitenden Schmerzen leidet, sollte das Problem offen mit der Hausärztin oder dem Hausarzt sowie mit Schmerzexpertinnen bzw. -experten besprechen. Neben der Schmerzlinderung sollten auch kardiovaskuläre Risikofaktoren regelmäßig überprüft werden – etwa Blutdruckmessungen, Gewichtsmanagement, körperliche Aktivität, Ernährung und psychosoziale Unterstützung. Aufklärung über die möglichen blutdrucksteigernden Effekte bestimmter Schmerzmittel ist wichtig, damit informierte Behandlungsentscheidungen getroffen werden können.

Für Behandelnde: Schmerzmanagement sollte integrativ gedacht werden. Multidisziplinäre Versorgungsteams, die Physiotherapie, Schmerzmedizin, Psychologie und kardiologische Risikobewertung verknüpfen, können dazu beitragen, die Gesamtbelastung der Patienten zu reduzieren. Zudem empfiehlt sich eine regelmäßige Überprüfung der Blutdruckwerte und gegebenenfalls eine engere Kooperation mit Fachärztinnen und Fachärzten für Kardiologie oder Innere Medizin, wenn zusätzliche Risikofaktoren vorliegen.

Für die Forschung und Gesundheitspolitik: Die Daten legen nahe, dass Programme zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen auch Schmerzbehandlungsstrategien berücksichtigen sollten. Studien, die interventionsbasiert prüfen, ob multimodale Schmerztherapien das Auftreten von Hypertonie verhindern, wären besonders wertvoll. Darüber hinaus sind repräsentative Untersuchungen in diversen Bevölkerungsgruppen nötig, um die Übertragbarkeit der Ergebnisse zu sichern.

Fazit

Die Beziehung zwischen chronischen Schmerzen und Bluthochdruck verdeutlicht die enge Verknüpfung von körperlicher, psychischer und kardiovaskulärer Gesundheit. Chronische Schmerzen – besonders wenn sie weit verbreitet sind – sollten Ärztinnen und Ärzte sowie Therapeutinnen und Therapeuten dazu veranlassen, umfassendere Risikoeinschätzungen vorzunehmen, einschließlich Depressionsscreening und Blutdrucküberwachung. Für Betroffene bedeutet das: Anhaltende Schmerzen aktiv anzugehen und mögliche kardiovaskuläre Nebenwirkungen von Schmerzmedikamenten mit der behandelnden Person zu besprechen, sind praktische Schritte, um das langfristige Risiko zu reduzieren.

Letztlich könnten schmerztherapeutische Strategien, die die ganze Person und nicht nur ein einzelnes Symptom behandeln, die beste Chance bieten, die Folgekaskade von Gesundheitsproblemen einzudämmen, die mit chronischen Schmerzen einhergehen – von schlechterer Stimmung und erhöhten Entzündungswerten bis hin zu einem höheren Risiko für Hypertonie und kardiovaskuläre Erkrankungen. Die vorliegenden Befunde unterstützen einen ganzheitlichen Ansatz in Klinik, Forschung und Gesundheitspolitik, um sowohl Schmerzen als auch das damit verbundene kardiovaskuläre Risiko wirksam zu adressieren.

Quelle: scitechdaily

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