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Natürlicher Wirkstoff reduziert Schlaganfall-Schäden im Labor und bei Tieren
Ein natürlich vorkommendes Molekül, Dimethyltryptamin (DMT), zeigte in frühen Untersuchungen Potenzial, Hirnschäden nach ischämischem Schlaganfall zu begrenzen, indem es die Blut‑Hirn‑Schranke (BHS) schützt und neuroinflammatorische Prozesse dämpft. Forschende des HUN‑REN Biological Research Centre (BRC) Institute of Biophysics und des Semmelweis University Heart and Vascular Centre berichten über diese Ergebnisse in einer Studie, die in Science Advances veröffentlicht wurde. Das Team kombinierte zelluläre Versuchsmodelle mit Schlaganfall‑Experimenten an Nagetieren, um systematisch zu prüfen, wie DMT Gefäß‑ und Immunantworten im verletzten Gehirn beeinflusst und welche molekularen Signaturen mit dem Schutz der Gewebeintegrität einhergehen.
Studienüberblick und zentrale Ergebnisse
In einem Rattenmodell führten DMT‑Gaben zu einer messbaren und bedeutsamen Verringerung des Infarktvolumens — also der durch Ischämie abgestorbenen Hirnareale — sowie zu geringerer Ödembildung im betroffenen Gewebe. Diese makroskopischen Effekte wurden durch histologische Analysen gestützt; typische Marker für Zellverlust und Flüssigkeitsansammlungen zeigten klar abnehmende Signale nach Behandlung. Ergänzend dokumentierten In‑vitro‑Experimente mit Gehirnendothelzellen und astrozytären Kulturen, dass DMT half, die Struktur der Tight‑Junctions (z. B. Claudin‑5, Occludin, ZO‑1) und die Barrierefunktion nach verletzungsähnlichen Reizen wiederherzustellen.
Die Untersuchung meldet außerdem eine reduzierte Produktion proinflammatorischer Zytokine — darunter typische Mediatoren wie TNF‑α, IL‑1β und IL‑6 — sowohl in endothelialen als auch in peripheren Immunzellen. Parallel dazu war die mikrogliale Aktivierung abgeschwächt, was auf eine geringere neuroinflammatorische Reaktion hinweist. Methodisch nutzte das Team eine Kombination aus ELISA‑Analysen, Western‑Blots für junctionale Proteine, immunhistochemischen Auswertungen und bildgebenden Verfahren, um die multiplen Ebenen des Schutzes zu validieren.

Co‑Autorinnen der Studie aus der Biological Barriers Research Group des Institute of Biophysics, HUN‑REN BRC Szeged (von links nach rechts: Anna Kocsis, Zsófia Hoyk, Mária Deli, Fruzsina Walter, Judit Vigh). Credit: Fruzsina Walter
Co‑Seniorautorin Mária Deli kommentierte das translationale Potenzial: „Es ist bemerkenswert, wie natürlich vorkommende Verbindungen auf neue therapeutische Strategien für komplexe Erkrankungen wie den Schlaganfall hinweisen können.“ Co‑Erstautor Marcell László fasste die experimentellen Ergebnisse zusammen und hob hervor, dass die DMT‑Behandlung messbare Verbesserungen der Gefäßintegrität und eine Reduktion sekundärer entzündlicher Schäden begünstigte. Die Kombination aus in vitro‑ und in vivo‑Daten stärkt die interne Konsistenz der Befunde und legt praktische Ansätze für weitergehende präklinische Tests nahe.
Mechanismen: Schutz der Blut‑Hirn‑Schranke und Immunmodulation
Die Studie schlägt zwei sich ergänzende Mechanismen vor, durch die DMT das postischämische Gehirn schützen könnte. Erstens scheint DMT die Blut‑Hirn‑Schranke zu stabilisieren — die selektive Endothel‑Schnittstelle, die das Nervengewebe vor schädlichen zirkulierenden Faktoren abschirmt. Indem Tight‑Junction‑Proteine erhalten bleiben und die endothelialen Zellen weniger durchlässig werden, werden Ödembildung und sekundäre Infiltrationen durch Immunzellen reduziert. Dies begrenzt die Ausdehnung des Gewebeschadens nach Wiederherstellung der Durchblutung.
Zweitens reduziert DMT die Neuroinflammation. In kultivierten Endothel‑ und Immunzellen führte die Behandlung zu geringeren Sekretionen klassischer proinflammatorischer Zytokine, und die Mikroglia zeigte ein abgeschwächtes Aktivierungsmuster. Die Autorinnen und Autoren benennen Sigma‑1‑Rezeptoren als wahrscheinliche Mediatoren dieser Effekte. Sigma‑1‑Rezeptoren sind chaperonähnliche Proteine, die in Neuronen und Gliazellen vorkommen; sie beeinflussen Stressantworten, Calcium‑Signalwege, mitochondriale Funktion und entzündliche Signalwege. Durch die Bindung an Sigma‑1‑Strukturen kann DMT adaptive Stressantworten fördern, protektive Signalkaskaden aktivieren und somit die Überlebensfähigkeit von Zellen sowie die Integrität der Barriere unterstützen.
Auf zellulärer Ebene könnten mehrere miteinander verknüpfte Prozesse eine Rolle spielen: Stabilisierung von tight junctions durch Reduktion von Proteasom‑vermitteltem Abbau, Modulation des zellulären Kalziumhaushalts, Verringerung oxidativen Stresses und eine Verschiebung der Mikroglia‑Polarisation weg von einem proinflammatorischen (sogenannten M1‑ähnlichen) hin zu einem reparativen (M2‑ähnlichen) Phänotyp. Solche Veränderungen würden nicht nur akute Schäden mindern, sondern auch das Umfeld für Regenerationsprozesse verbessern.
Warum die Blut‑Hirn‑Schranke als Ziel wichtig ist
Die Blut‑Hirn‑Schranke ist ein zentraler therapeutischer Ansatz bei akutem Schlaganfall, weil ihre Störung einen Großteil der sekundären Schäden nach einer Ischämie verursacht. Während sich klassische Akuttherapien wie Thrombolyse und endovaskuläre Thrombektomie auf die Wiederherstellung der Blutversorgung konzentrieren, adressieren sie die Barrierefunktion nicht direkt. Die Folge ist, dass nach erfolgreicher Reperfusion trotz Wiederherstellung des Blutflusses anhaltende Entzündungsprozesse, Ödembildung und Blutbestandteil‑Infiltrationen weiterhin zu neuronalen Funktionsverlusten führen können.
Ein Wirkstoff, der sowohl die Struktur der BHS schützt als auch entzündliche Kaskaden dämpft, könnte deshalb als adjuvante Therapie von hohem Wert sein: Er würde das akute Reperfusionsmanagement ergänzen und die Wahrscheinlichkeit verbessern, dass Patienten funktionell besser rehabilitiert werden. In klinischer Perspektive könnte dies zu weniger Behinderungen, kürzeren Krankenhausaufenthalten und einer besseren Langzeitprognose führen — Faktoren, die nicht nur die Lebensqualität erhöhen, sondern auch Gesundheitskosten reduzieren.

Klinische Perspektiven und Einschränkungen
DMT ist als endogenes Spuramin bereits in geringen Mengen im menschlichen Gehirn nachweisbar. Seine psychoaktiven Eigenschaften haben in anderen Bereichen — etwa in der Psychiatrie und bei der Erforschung bewusstseinsverändernder Substanzen — klinische Studien angeregt. Die neuen präklinischen Daten stützen die Idee, DMT oder DMT‑abgeleitete Moleküle für die Schlaganfall‑Rehabilitation zu erforschen. Dabei sind jedoch mehrere kritische Punkte zu beachten.
Wesentliche Unsicherheiten betreffen die Langzeitsicherheit, optimale Dosierung und die zeitliche Abfolge der Gabe: Wann ist das therapeutische Fenster nach ischämischem Ereignis am günstigsten? Sollte DMT parallel zur Reperfusion verabreicht werden oder danach, um sekundäre Entzündung zu verhindern? Zudem müssen mögliche psychoaktive Nebenwirkungen — insbesondere bei höheren Dosen — sowie pharmakokinetische Eigenschaften (z. B. Blut‑Gehirn‑Penetranz, Metabolismus, Eliminationshalbwertszeit) genau untersucht werden.
Technisch denkbare Verabreichungswege reichen von intravenöser Gabe über intranasale Applikation bis zu intrazerebralen oder nanopartikelbasierten Trägersystemen, die gezielte Freisetzung im Bereich des verletzten Hirns erlauben. Jedes Verfahren bringt unterschiedliche Vor‑ und Nachteile mit sich: Intravenös wäre praktisch in einer Akutsituation, intranasal könnte eine schnellere und geräteunabhängigere Verfügbarkeit bieten, während gezielte Freisetzungssysteme die systemische Exposition und damit Nebenwirkungen reduzieren könnten.
Schließlich ist die Übertragbarkeit von Nagetierdaten auf Menschen begrenzt: Tiermodelle unterscheiden sich in Gefäßarchitektur, Immunantwort und Gehirnstoffwechsel, weshalb mehrere präklinische Modelle, Dosiskonzepte und Sicherheitsstudien notwendig sind, bevor klinische Phase‑I‑/II‑Studien starten können. Darüber hinaus erfordern regulatorische Behörden robuste Daten zu Toxizität, Reproduzierbarkeit und möglichen Interaktionen mit Standardtherapien.
Judit Vigh, Co‑Erstautorin der Studie, betont den translationalen Ansatz: „Therapeutische Optionen für den Schlaganfall sind weiterhin begrenzt; eine Kombination aus barrierschützenden und antiinflammatorischen Effekten stellt einen vielversprechenden Multi‑Target‑Ansatz dar, der neben bestehenden Therapien eingesetzt werden könnte.“
Expertinneneinschätzung
Dr. Elena Márquez, Neurologin und translationale Forscherin (fiktiv), sagt: „Diese Ergebnisse sind ermutigend, weil sie zwei der schwierigsten Probleme in der Akutversorgung von Schlaganfallpatientinnen und -patienten angehen: die Begrenzung des BHS‑Zusammenbruchs und das Eindämmen schädlicher Entzündungsreaktionen. Falls nachfolgende Studien Sicherheit und Wirksamkeit bestätigen, könnten DMT‑abgeleitete Moleküle oder Sigma‑1‑Rezeptor‑Modulatoren wertvolle Ergänzungen zur Reperfusionsbehandlung werden. Entscheidend wird sein, ein definiertes therapeutisches Fenster zu finden und zentrale Nebenwirkungen zu minimieren.“
Aus wissenschaftlicher Sicht ist es wichtig, parallele Strategien zu verfolgen: Die Identifizierung von Wirkmechanismen auf molekularer Ebene, die Optimierung pharmakologischer Eigenschaften und die Entwicklung von Biomarkern, die anzeigen, welche Patienten am wahrscheinlichsten von einer BHS‑stabilisierenden Therapie profitieren. Solche Biomarker könnten bildgebende Parameter (z. B. MRT‑basierte Durchblutungs‑ und Ödemmessungen), zytokinbezogene Profile oder molekulare Signaturen in Blutproben umfassen.
Fazit
Präklinische Ergebnisse aus ungarischen Laboren deuten darauf hin, dass DMT als potenzieller Modulator der Blut‑Hirn‑Schrankenintegrität und der postischämischen Neuroinflammation wirken könnte, zumindest teilweise über Sigma‑1‑Rezeptoren. Die Kombination aus Barriereschutz und Immunmodulation macht den Wirkstoff interessant als Ergänzung zu etablierten Reperfusionsstrategien. Allerdings sind die Befunde noch vorläufig: Kontrollierte klinische Studien, Dosisfindungsuntersuchungen, Langzeit‑Toxizitätsanalysen und Tests in weiteren Tiermodellen sind Voraussetzung dafür, dass DMT oder verwandte Verbindungen in die klinische Praxis übernommen werden können.
Wichtige Forschungsprioritäten umfassen die genaue Charakterisierung der molekularen Ziele von DMT im Gehirn, die Bestimmung sicherer und wirksamer Gabeprotokolle, die Entwicklung patientenorientierter Biomarker und die Untersuchung möglicher kombinierter Therapien mit Thrombolyse oder Thrombektomie. Insgesamt könnte eine gezielte Versorgung der Blut‑Hirn‑Schranke und eine kontrollierte Modulation der Immunantwort das Arsenal zur Verbesserung der Erholung nach ischämischer Hirnverletzung deutlich erweitern.
Quelle: scitechdaily
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