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Eine große neue Übersichtsarbeit in The BMJ hebt aerobe Aktivitäten – Gehen, Radfahren, Schwimmen – als die effektivste Bewegungsstrategie hervor, um Schmerzen zu lindern und die Mobilität bei Menschen mit Kniearthrose wiederherzustellen. Im Folgenden finden Sie, was die Evidenz zeigt, wie sich verschiedene Trainingsformen vergleichen und welche praktischen Schlussfolgerungen sich für Patientinnen, Patienten und klinische Fachkräfte ergeben.
Eine aktuelle Studie im BMJ kommt zu dem Ergebnis, dass aerobe Bewegung wie Gehen, Radfahren oder Schwimmen die wirksamste Methode ist, um Schmerzen zu reduzieren und die Beweglichkeit bei Patientinnen und Patienten mit Kniearthrose zu verbessern. Credit: Shutterstock
Warum das wichtig ist: Arthrose, Funktion und Alltag
Arthrose entsteht, wenn der Knorpel, der die Knochen im Gelenk polstert, sich abbaut; das führt zu Schmerzen, Schwellungen, eingeschränkter Beweglichkeit und funktionellen Einbußen. Das Knie gehört zu den am häufigsten betroffenen Gelenken: In bildgebenden Untersuchungen zeigen fast 30 % der über 45-Jährigen radiologische Zeichen einer Kniearthrose, und etwa die Hälfte dieser Personen gibt klinisch relevante Beschwerden an. Diese hohe Prävalenz hat starke Auswirkungen auf Alltagsfunktionen wie Gehen, Treppensteigen oder selbstständiges Ankleiden und damit auf Lebensqualität, Erwerbsfähigkeit und Pflegebedarf.
Da Arthrose eine progressive Erkrankung ist und demografisch bedingt weiter zunimmt, ist die Identifikation von praktikablen, effektiven und risikoarmen Maßnahmen zur Schmerzreduktion und Funktionsverbesserung ein wichtiges gesundheitspolitisches Ziel. Bewegungstherapie und speziell aerobe Aktivität stehen hierbei im Mittelpunkt, weil sie zugleich metabolische, kardiovaskuläre und muskuläre Vorteile bieten und leicht zugänglich sind. Die Frage ist nicht nur, ob Bewegung hilft, sondern welche Form der körperlichen Aktivität für welche Patientengruppe den größten Nutzen bringt – unter Berücksichtigung von Intensität, Häufigkeit, Belastung (Impact) und Begleiterkrankungen.
Was die Übersichtsarbeit untersuchte: Umfang und Methoden
Die Forschenden fassten Daten aus 217 randomisierten kontrollierten Studien (Zeitraum 1990–2024) mit insgesamt 15.684 Teilnehmenden zusammen. Ziel war ein Vergleich von sechs Trainingskategorien: aerobes Training, Kräftigungsübungen (strengthening), Flexibilitätsprogramme, Mind–Body-Interventionen (z. B. Tai Chi, Yoga), neuromotorisches Training (Gleichgewicht und Koordination) sowie gemischte Programme. Evaluierte Endpunkte waren Schmerzen, physische Funktion, Geh‑/Ganganalyse und gesundheitsbezogene Lebensqualität zu Kurzzeit (4 Wochen), Mittelfrist (12 Wochen) und Langzeit (24 Wochen) Nachbeobachtungen.
Methodisch nutzten die Autorinnen und Autoren neben traditionellen Metaanalysen auch Netzwerk-Metaanalysen, um direkte und indirekte Vergleiche zwischen den unterschiedlichen Trainingsmodi zu ermöglichen. Die Qualität der eingeschlossenen Studien variierte; daher wurden die Ergebnisse mithilfe des GRADE-Systems nach Evidenzsicherheit beurteilt. Aspekte wie Risiko von Bias, Heterogenität zwischen Studien, Konsistenz der Effekte und Präzision der Schätzungen flossen in die Bewertung ein. Zudem wurden Subgruppenanalysen und Sensitivitätsanalysen durchgeführt, um mögliche Einflüsse von Alter, Schweregrad der Arthrose, Begleiterkrankungen und Studienqualität abzuschätzen.

Aerobes Training liegt vorn – andere Optionen sind ebenfalls nützlich
Über alle Endpunkte und Zeitpunkte hinweg zeigte aerobe Bewegung die höchste Wahrscheinlichkeit, als die vorteilhafteste Therapieform zu gelten. Bei moderater Evidenzsicherheit reduzierte aerobe Aktivität Schmerzen im Kurz- und Mittelfristbereich, verbesserte die physische Funktion über Kurz-, Mittel- und Langzeitbeobachtungen und steigerte Geh‑/Gangleistung sowie Lebensqualität in Kurz- und Mittelfristszenarien. Diese Effekte bedeuten in der Praxis meist eine messbare Verbesserung der Gehgeschwindigkeit, längere Gehstrecken ohne Pause und reduzierte Schmerzwerte in Alltagssituationen.
Andere Trainingsformen lieferten gezielte Vorteile: Mind‑Body‑Programme wie Tai Chi und Yoga zeigten wahrscheinlich große kurzfristige Verbesserungen der Funktion und der subjektiven Symptomatik, neuromotorisches Training war besonders wirksam zur Steigerung von Gleichgewicht und Gehstabilität im Kurzzeitbereich, und Kräftigungs- oder kombinierte Programme verbesserten vor allem die funktionelle Kapazität im Mittelfristverlauf. Die praktische Konsequenz lautet, dass aerobe Aktivitäten priorisiert werden sollten, wenn primär Schmerzreduktion und Alltagsfunktion angestrebt werden. Ergänzende Ansätze – etwa gezieltes Krafttraining für Quadrizeps und Hüftmuskulatur, Gleichgewichtsübungen oder achtsamkeitsbasierte Bewegungsformen – können jedoch zusätzlich und individuell angepassten Nutzen bringen und die Nachhaltigkeit der Effekte erhöhen.
Sicherheit und methodische Einschränkungen
Wichtig ist: Keine der untersuchten Bewegungsinterventionen führte zu einer höheren Rate schwerwiegender unerwünschter Ereignisse als die Kontrollgruppen, was Bewegung als eine generell risikoarme Therapieoption stützt. Leichtere Nebenwirkungen wie vorübergehende Muskelkater, lokale Schmerzen oder kurzzeitige Schwellungszunahmen traten vor allem zu Beginn neuer Programme auf und ließen sich durch dosiertes Vorgehen vielfach minimieren.
Dennoch weisen die Autorinnen und Autoren auf Einschränkungen der Datenlage hin. Viele Vergleiche beruhten auf indirekten Evidenzketten innerhalb der Netzwerk-Analyse, Langzeitdaten (über 24 Wochen hinaus) sind bei einigen relevanten Endpunkten limitiert, und kleinere Studien könnten kurzzeitige Effekte überbewerten (Small‑study‑Bias). Heterogenität in Trainingsintensität, -dauer und -modalitäten sowie unterschiedliche Outcome‑Messungen erschweren die direkte Übertragbarkeit einzelner Effektgrößen auf jede Patientenpopulation. Klinikerinnen und Kliniker sollten daher spezifische Zahlen mit Vorsicht interpretieren, gleichzeitig aber die konsistente Gesamtwertung zugunsten aerober Programme anerkennen.
Wie Sie die Evidenz in der Praxis nutzen können
Für die Mehrheit der Patientinnen und Patienten mit Kniearthrose ist ein strukturiertes aerobes Programm – z. B. zügiges Gehen, stationäres Radfahren oder Bewegung im Brust‑ bis Schulterbrustwasser – als erste Behandlungsoption gut geeignet. Ein praktikables Vorgehen ist das schrittweise Aufbauen: beginnen mit kurzen, häufigen Einheiten und zuerst die Dauer, später die Intensität steigern. Die Belastung sollte an Schmerzen und körperliche Kondition angepasst werden; ein moderates Belastungsempfinden (z. B. 11–14 auf der Borg-RPE‑Skala) ist typischerweise ein sicheres Ziel.
Empfehlungen für Trainingsdose und Progression können lauten: 3–5 Einheiten pro Woche, mit einer Progression von 10–15 Minuten pro Einheit in den ersten Wochen bis zu 30–45 Minuten pro Einheit; alternativ mehrere kurze Intervalle (z. B. 3×10–15 Minuten). Bei Knieproblemen sind niedrig‑bis moderat‑belastende, stoßarme Aktivitäten (Radfahren, Schwimmen, Aquajogging, Ellipsentrainer) besonders empfehlenswert. Ergänzende Kräftigungsübungen für Quadrizeps, Gesäß- und Hüftmuskulatur (z. B. sitzende Beinpressen, Standheben mit Unterstützung, Theraband‑Übungen) verbessern die Gelenkstabilität und reduzieren langfristig die Belastung des Gelenks. Gleichgewichts- und Koordinationsübungen (z. B. Einbeinstand, Gangmustertraining) verringern Sturzrisiko und unterstützen die funktionelle Mobilität.
Wenn aerobe Aktivität aufgrund von Begleiterkrankungen (z. B. schwere kardiopulmonale Erkrankung) oder hohen funktionellen Einschränkungen nicht möglich ist, liefern strukturierte Alternativen wie physiotherapeutisch gesteuerte Kraft‑ und Balanceprogramme dennoch erhebliche Vorteile. Eine frühzeitige Kooperation mit Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten, geschulten Bewegungs‑ oder Rehabilitationsanbietern sowie gegebenenfalls ein individuell angepasstes Programm mit Supervision erhöhen Adhärenz und reduzieren das Risiko von Überlastung.
Praktische Tipps für Patientinnen und Patienten
- Beginnen Sie mit kurzen, häufigen Einheiten (10–15 Minuten) und erhöhen Sie zuerst die Dauer, bevor Sie die Intensität steigern. Diese graduelle Progression reduziert das Risiko von Schmerzen und Überlastung und verbessert die Langzeit‑Adhärenz.
- Wählen Sie bei starken Knieschmerzen niedrig‑schlagende aerobe Optionen (Radfahren, Schwimmen, Aquajogging), um Stoßbelastungen zu vermeiden. Solche Aktivitäten verbessern Ausdauer und Gelenkbeweglichkeit ohne die Knorpelbelastung übermäßig zu erhöhen.
- Kombinieren Sie aerobe Einheiten mit gezielten Kräftigungsübungen für Quadrizeps, Hüftabduktoren und Gesäßmuskulatur. Ein stärkerer Muskelapparat stabilisiert das Knie und kann Schmerzen reduzieren sowie die Gangqualität verbessern.
- Suchen Sie bei starken Schmerzen, rascher Verschlechterung oder Unsicherheit über die richtige Technik eine betreute Maßnahme (Physiotherapie, Reha‑Kurse) auf. Supervision hilft, Übungen korrekt auszuführen, das Training sicher zu dosieren und Verstärkungsstrategien zur langfristigen Integration in den Alltag zu entwickeln.
Expertinneneinschätzung
„Diese Übersichtsarbeit fasst Jahrzehnte an Studiendaten zu einer klaren Aussage zusammen: Bleiben Sie in Bewegung, insbesondere mit aeroben Aktivitäten“, sagt Dr. Laura Mendes, eine fiktive klinische Rheumatologin und Bewegungsforscherin. „Aerobes Training verbessert nicht nur Schmerzwerte, sondern auch die reale Mobilität – Gehgeschwindigkeit, Gleichgewicht und Alltagsunabhängigkeit. Ärztinnen und Ärzte sollten Bewegungstherapie wie jede andere evidenzbasierte Behandlung verschreiben und sie patientenspezifisch anpassen.“
Insgesamt stützt die Evidenz aerobe Bewegung als eine führende, sichere und praktikable Intervention zur Schmerzreduktion und Funktionsverbesserung bei Kniearthrose. Patientinnen, Patienten und Versorger, die konsistente, anpassbare aerobe Programme priorisieren und bei Bedarf mit Kräftigungs‑ und Gleichgewichtsübungen kombinieren, dürften deutliche und messbare Verbesserungen im Alltag erleben. Langfristig sind Begleitmaßnahmen wie Gewichtsmanagement, medikamentöse Analgesie bei Bedarf, orthopädische Hilfsmittel (z. B. entlastende Schuheinlagen) und eine interdisziplinäre Betreuung sinnvoll, um die besten funktionellen Ergebnisse zu erzielen.
Quelle: scitechdaily
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