Nüchternblutzucker senken: Schlüssel zur Diabetes‑Prävention

Neue Langzeitdaten zeigen: Die Normalisierung des Nüchternblutzuckers ist entscheidend zur Prävention von Typ‑2‑Diabetes. Lebensstiländerungen senken das Risiko durch Reduktion von viszeralem Fett — auch ohne großen Gewichtsverlust.

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Nüchternblutzucker senken: Schlüssel zur Diabetes‑Prävention

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Neue Langzeitforschung legt nahe, dass die Rückkehr des Nüchternblutzuckers in den Normalbereich — und nicht die Zahl auf der Waage — das wichtigste Ziel zur Verhinderung von Typ‑2‑Diabetes ist. Lebensstilmaßnahmen mit Schwerpunkt auf Ernährung und Bewegung reduzieren das Diabetesrisiko deutlich, selbst wenn der Gewichtsverlust minimal ausfällt.

Was die Studie untersuchte und warum sie wichtig ist

Ein internationales Forscherteam begleitete 1.105 Personen mit Prädiabetes, die an einem zwölfmonatigen Lebensstilprogramm teilnahmen. Das Programm legte den Schwerpunkt auf gesündere Ernährung, mehr körperliche Aktivität und dauerhafte Verhaltensänderungen. Die Teilnehmenden wurden über einen Zeitraum von bis zu zehn Jahren nachverfolgt, um festzustellen, wer in einen manifesten Typ‑2‑Diabetes überging.

Nach einem Jahr hatten 234 Teilnehmende kein Gewicht verloren. Von diesen erreichten 51 Personen das, was das Forscherteam als Remission des Prädiabetes definierte — ihr Nüchternblutzucker fiel wieder in den Normalbereich. Während der langen Nachbeobachtungszeit war diese Untergruppe ungefähr 71 % seltener betroffen von einem Übergang in Typ‑2‑Diabetes als die 183 Personen, deren Glukosestoffwechsel trotz fehlendem Gewichtsverlust weiterhin gestört blieb.

Der protektive Effekt war nahezu identisch mit dem Nutzen, der bei Teilnehmenden beobachtet wurde, die Gewicht verloren und ebenfalls in Remission gingen (ein ungefähr 73 % geringeres Risiko im Vergleich zu jenen, die Gewicht verloren, aber keine Remission erreichten). Die Ergebnisse wurden in Nature Medicine veröffentlicht (Sandforth et al., Nat. Med., 2025).

Warum Blutzuckerkontrolle mehr als die Waage bedeuten kann

Die Forschenden machen insbesondere den Speicherort des Fettes zu einem Schlüsselfaktor. Eine Subgruppenanalyse zeigte, dass Personen, die ihren Nüchternblutzucker normalisierten, ohne an Gewicht zu verlieren, geringere Mengen an viszeralem Fett aufwiesen — dem stoffwechselaktiven Fett, das die inneren Organe umgibt — als diejenigen, bei denen der Blutzucker erhöht blieb. Viszerales Fett steht in engem Zusammenhang mit Insulinresistenz, einem der wichtigsten Treiber für die Entstehung von Typ‑2‑Diabetes.

Mechanistisch betrachtet fördert viszerales Fett eine chronische, niedriggradige Entzündung und veränderte Fettstoffwechselwege, die die Insulinwirkung in Muskel‑ und Lebergewebe beeinträchtigen. Eine Reduktion dieses Fettdepots verbessert häufig die hepatische Insulinsensitivität, senkt Leberfett und kann so den Nüchternblutzucker günstiger beeinflussen — selbst wenn sich das Gesamtkörpergewicht kaum verändert.

Biologische Mechanismen und Messmethoden

Viszerales Fett wird am zuverlässigsten mit bildgebenden Verfahren wie MRT oder CT quantifiziert; in klinischen Studien kommen ergänzend DEXA‑Scans zum Einsatz. Biochemisch korrelieren erhöhte Triglyceride, erhöhte Leberenzyme (z. B. ALT) und ein erhöhtes C‑reaktives Protein (CRP) häufig mit viszeraler Adipositas und Insulinresistenz. Interventionen, die diese Marker verbessern, zeigen oft gleichzeitig eine Verbesserung von Nüchternblutzucker und HbA1c.

Typische Grenzwerte zur Einordnung: Als Prädiabetes gelten ein Nüchternblutzucker von circa 100–125 mg/dl (5,6–6,9 mmol/l) oder ein HbA1c von 5,7–6,4 %. Die Rückkehr zu Werten unterhalb dieser Grenzen wird in vielen Studien als Remission oder Normalisierung des Glukosestoffwechsels betrachtet.

Zitat aus der Klinik

„Die Wiederherstellung eines normalen Nüchternblutzuckers ist das wichtigste Ziel in der Prävention von Typ‑2‑Diabetes und nicht zwingend die Zahl auf der Waage“, sagt der Diabetologe Prof. Andreas Birkenfeld von der Universität Tübingen. „Bewegung und eine ausgewogene Ernährung wirken sich positiv auf den Blutzucker aus, unabhängig davon, ob Gewicht reduziert wird.“

Personen, die eine Remission des Prädiabetes erreicht hatten (R), entwickelten seltener Typ‑2‑Diabetes als jene ohne Remission (NR), selbst ohne Gewichtsverlust.

Folgen für Therapie und öffentliche Gesundheit

Die Autorinnen und Autoren der Studie argumentieren, dass aktuelle Leitlinien, die häufig Körpergewicht oder Gewichtsreduktion als primäre Endpunkte betonen, überarbeitet werden sollten. Ein zu einseitiger Fokus auf das Gewicht kann Menschen entmutigen, die metabolisch von Lebensstiländerungen profitieren, aber Schwierigkeiten haben, deutlich an Gewicht zu verlieren.

Eine Neuausrichtung der Zielsetzung in Präventionsprogrammen würde messbare Verbesserungen des Nüchternblutzuckers, des HbA1c und der Fettverteilung — insbesondere die Verminderung des viszeralen und Leberfetts — stärker wichten. Dadurch ließen sich Interventionen priorisieren, die Stoffwechselrisiken am effektivsten reduzieren.

Behandlungsempfehlungen und Leitlinienperspektive

„Zukünftige Leitlinien zur Prävention und Behandlung des Typ‑2‑Diabetes sollten nicht nur das Gewicht berücksichtigen, sondern vor allem die Blutzuckerkontrolle und Muster der Fettverteilung“, sagt Reiner Jumpertz‑von Schwartzenberg, ebenfalls von der Universität Tübingen. Solch eine Orientierung würde klinische Bewertungen und Zielgrößen verändern: statt allein Gewicht zu messen, käme der regelmäßigen Messung von Nüchternblutzucker, HbA1c und gegebenenfalls bildgebender Beurteilung von viszeralem Fett größere Bedeutung zu.

Auf Public‑Health‑Ebene könnte dies die Gestaltung von Programmen beeinflussen: Statt rein gewichtszentrierter Kampagnen wären Maßnahmen gefragt, die praktische Alltagstools anbieten, um Blutzucker und viszerales Fett zu beeinflussen — zum Beispiel strukturierte Bewegungsprogramme, Ernährungsberatung mit Fokus auf Insulinsensitivität sowie Programme zur Reduktion von Leberfett.

Interventionen, die viszerales Fett und Insulinsensitivität reduzieren

Bewährte Maßnahmen umfassen regelmäßige aerobe Aktivität (z. B. zügiges Gehen, Radfahren, Schwimmen), Krafttraining zur Erhöhung der Muskelmasse und damit der metabolischen Kapazität, sowie ernährungsbedingte Strategien, die Leberfett reduzieren und die Insulinsensitivität verbessern. Dazu gehören mediterran inspirierte Ernährungsformen, moderat kohlenhydratreduzierte Muster und eine Reduktion von stark verarbeiteten Lebensmitteln und Zuckerzusätzen.

Zudem zeigen zeitlich begrenztes Essen (Time‑Restricted Eating) und gezielte Proteinverteilung über den Tag in einigen Studien günstige Effekte auf Insulinresistenz und Leberfett, wenngleich die Datenlage heterogen ist. Medikamentöse Optionen zur gezielten Reduktion von Leberfett bzw. Insulinresistenz werden klinisch diskutiert, ändern aber nichts an der zentralen Rolle von Bewegung und Ernährung als Basismaßnahmen.

Praktische Hinweise für Menschen mit Prädiabetes

  • Zielen Sie neben Gewichtszielen gezielt auf Verbesserungen des Nüchternblutzuckers und des HbA1c ab — die Normalisierung des Blutzuckers ist ein klar belegtes Ziel mit direktem Nutzen für das Diabetesrisiko.
  • Konzentrieren Sie sich auf Bewegung und Ernährungsqualität: Regelmäßige aerobe Aktivität, ergänzt durch Krafttraining, sowie eine vollwertige, nährstoffreiche Ernährung können viszerales Fett reduzieren und die Insulinsensitivität verbessern, auch wenn das Körpergewicht nur langsam sinkt.
  • Regelmäßiges Monitoring ist wichtig: Frühe Remission des Prädiabetes geht mit einem deutlich niedrigeren Langzeitrisiko für Typ‑2‑Diabetes einher. Kontrolluntersuchungen von Nüchternblutzucker, HbA1c und gegebenenfalls Leberwerten liefern konkrete Messgrößen für Fortschritt.

Konkrete, umsetzbare Schritte

1) Bewegung: Mindestens 150 Minuten moderater aerober Aktivität pro Woche sind ein realistisches Ziel; zusätzlich zwei Einheiten Krafttraining pro Woche fördern die Muskelmasse und verbessern die Glukoseverwertung.

2) Ernährung: Ein Fokus auf unverarbeitete Lebensmittel, ballaststoffreiche Gemüse, Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, gesunde Fette (z. B. Olivenöl, Nüsse) und eine moderate Zufuhr an qualitativ hochwertigen Proteinen unterstützt die metabolische Gesundheit. Süßgetränke und stark zuckerhaltige Snacks sollten reduziert werden.

3) Schlaf und Stressmanagement: Chronischer Schlafmangel und hoher psychosozialer Stress verschlechtern die Insulinsensitivität. Schlafhygiene, Achtsamkeitsübungen und Stressreduktionsmaßnahmen sind daher sinnvolle Ergänzungen.

4) Ärztliche Begleitung: Regelmäßige ärztliche Kontrollen ermöglichen eine individuelle Anpassung von Zielen, gegebenenfalls ergänzende Diagnostik (z. B. bildgebende Verfahren zur Einschätzung viszeralen Fettes) und die Abwägung medikamentöser Optionen bei hohem Risiko.

Wissenschaftliche Einordnung und Limitationen

Die Studie liefert wichtige Hinweise, doch einige Aspekte sind zu beachten: Beobachtungsdaten können Zusammenhänge aufzeigen, aber nicht in allen Fällen kausale Mechanismen vollständig belegen. Heterogene Interventionen, unterschiedliche Ausgangsprofile der Teilnehmenden und mögliche Nachbeobachtungsverluste sind typische Einschränkungen. Dennoch stärken die langen Follow‑up‑Daten die Aussage, dass metabolische Verbesserungen unabhängig vom Gewicht aussagekräftige Prädiktoren für ein geringeres Diabetesrisiko sind.

Weitere Forschung ist erforderlich, um optimale Interventionspakete zu definieren, die eine Normalisierung des Nüchternblutzuckers bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen zuverlässig und dauerhaft erreichen. Insbesondere randomisierte Studien, die gezielt auf Reduktion von viszeralem Fett und Leberfett abzielen, könnten die Evidenzbasis vertiefen.

Fazit

Diese Langzeitdaten ändern nicht die Erkenntnis, dass Gewichtsverlust für viele Menschen gesundheitliche Vorteile bringt. Sie erweitern jedoch die Perspektive: Stoffwechselgesundheit und Fettverteilung — namentlich die Reduktion von viszeralem und Leberfett — können stärkere Prädiktoren für das zukünftige Diabetesrisiko sein als das Körpergewicht allein. Für Kliniker, Leitlinienautoren und öffentliche Gesundheitsprogramme bedeutet das: Zielgrößen sollten neben dem Gewicht vor allem messbare Verbesserungen von Nüchternblutzucker, HbA1c und Indikatoren der Fettverteilung berücksichtigen. Patienten dürfen daraus Zuversicht schöpfen: Verbesserungen des Blutzuckers sind relevant und zählen, auch wenn die Waage nur langsam reagiert.

Quelle: sciencealert

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