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Eine neue Klassifikation in einer komplexen Diabeteslandschaft
Die Internationale Diabetes-Föderation hat formal eine eigenständige, mangelernährungsbedingte Form von Diabetes anerkannt, die gemeinhin als „Typ 5“ bezeichnet wird. Diese Entscheidung spiegelt wachsende Hinweise wider, dass Diabetes keine einzelne Erkrankung, sondern eine Familie von Störungen mit unterschiedlichen Ursachen, Verläufen und Behandlungsbedürfnissen ist. Das Verständnis dieser Subtypen — von autoimmunen Formen bis zu genetisch bedingtem und verletzungsbedingtem Diabetes — ist entscheidend für eine genaue Diagnose, zielgerichtete Therapie und globale Gesundheitsplanung.
Diabetes wird definiert durch dauerhaft erhöhte Blutzuckerwerte infolge von Störungen der Insulinproduktion, der Insulinwirkung oder beidem. Insulin ist ein vom Pankreas produziertes Hormon, das den Zellen erlaubt, Glukose zur Energiegewinnung aufzunehmen. Die Mechanismen, die zu Hyperglykämie führen, sind jedoch sehr unterschiedlich und bestimmen die jeweils sinnvollsten Interventionen.
Häufige Formen: Typ 1, Typ 2 und Gestationsdiabetes
Typ‑1‑Diabetes ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem die insulinproduzierenden Betazellen des Pankreas zerstört. Diese Zerstörung verringert oder eliminiert die endogene Insulinproduktion und kann in jedem Lebensalter auftreten — von der Säuglingszeit bis ins höhere Erwachsenenalter. Typ 1 wird nicht durch Ernährung oder Lebensstil verursacht. Eine genetische Veranlagung in Kombination mit Umweltfaktoren, wie Virusinfektionen, gilt als Auslöser des Autoimmunprozesses. Die Behandlung erfordert lebenslange Insulinzufuhr über Injektionen oder Insulinpumpen. Fortschrittliche Therapien, einschließlich Spender‑Inselzelltransplantationen und experimenteller Stammzellen‑abgeleiteter Betazelltransplantationen, haben für einige Patienten vielversprechende Ergebnisse gezeigt, sind jedoch durch die Notwendigkeit der Immunsuppression und begrenzte Verfügbarkeit eingeschränkt.

Typ‑2‑Diabetes ist weltweit die häufigste Form. Er geht typischerweise mit Insulinresistenz einher — einem schlechten Ansprechen der Gewebe auf Insulin — und langfristig mit beeinträchtigter Insulinsekretion durch das Pankreas. Ein hoher Body‑Mass‑Index (BMI) und Übergewicht sind wichtige Risikofaktoren, doch spielen auch Genetik, Alter und Ethnie eine große Rolle; Menschen südasiatischer, afrikanischer und karibischer Abstammung haben ein erhöhtes Risiko bereits bei geringerem Körpergewicht. Die Behandlung umfasst Lebensstiländerungen, zahlreiche blutzuckersenkende Medikamente (z. B. Metformin, GLP‑1‑Rezeptor‑Agonisten, SGLT2‑Inhibitoren) und in einigen Fällen bariatrische Chirurgie. Intensive Ernährungsinterventionen und Gewichtsverlust haben in klinischen Studien bei vielen Personen zu einer Remission des Typ‑2‑Diabetes geführt.
Gestationsdiabetes tritt während der Schwangerschaft auf, meist zwischen dem zweiten und dritten Trimester, wenn hormonelle Veränderungen die Insulinsensitivität reduzieren. Risikofaktoren sind höheres mütterliches Gewicht, fortgeschrittenes mütterliches Alter und familiäre Vorbelastung. Auch die ethnische Herkunft beeinflusst das Risiko. Die Versorgung konzentriert sich auf Blutzuckerkontrolle, Ernährung und körperliche Aktivität; einige Frauen benötigen während der Schwangerschaft Medikamente oder Insulin. Eine Nachsorge nach der Entbindung ist wichtig, da Gestationsdiabetes das langfristige Typ‑2‑Diabetes‑Risiko der Mutter erhöht und Hinweise auf metabolische Risiken für das Kind geben kann.
Seltene und sekundäre Formen: genetische Syndrome, Pankreaserkrankungen und mehr
Über Typ 1 und Typ 2 hinaus gibt es mehrere weniger häufige Diabetesformen mit eigenen Ursachen und therapeutischen Konsequenzen. Monogene Diabetesformen umfassen den neonatalen Diabetes — mit Auftreten in den ersten Lebensmonaten — und den MODY (Maturity‑Onset Diabetes of the Young), der oft in Jugend oder frühem Erwachsenenalter diagnostiziert wird. Diese Subtypen werden durch Varianten einzelner Gene verursacht, die die Betazellfunktion, Insulinsekretion oder die Pankreasentwicklung beeinflussen. Einige Patienten mit bestimmten Genvarianten können mit oralen Medikamenten statt mit Insulin behandelt werden.
Typ‑3c‑Diabetes entsteht durch direkte Schädigung des Pankreas, z. B. durch operative Resektion von Pankreasgewebe, chronische Pankreatitis oder Pankreaskarzinom. Diese Form vereint den Verlust der Insulinproduktion mit Störungen der Sekretion von Verdauungsenzymen und erfordert häufig eine individuell angepasste Insulintherapie sowie Aufmerksamkeit für Ernährungsdefizite. Bei Erwachsenen mit Mukoviszidose ist mukoviszidose‑assoziierter Diabetes verbreitet und wird mit zunehmendem Alter durch abnehmende Pankreasfunktion häufiger.
Weitere sekundäre Ursachen sind steroidinduzierter Diabetes und Hyperglykämien nach bestimmten Medikamenten oder Therapien. Die korrekte Identifizierung dieser Ursachen ist wichtig: Einige Formen sind reversibel, wenn der zugrunde liegende Auslöser entfernt wird, andere erfordern eine lebenslange Behandlung.
Typ 5: Mangelernährungsbedingter Diabetes — wissenschaftlicher Kontext und klinische Merkmale
Der nun als eigene Kategorie anerkannte Typ 5 Diabetes steht im Zusammenhang mit Unterernährung in frühen Lebensphasen und eingeschränkter Pankreasentwicklung. Diese Form ist in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen häufiger und betrifft schätzungsweise rund 20–25 Millionen Menschen weltweit. Klinisch zeigen Betroffene von Typ 5 oft ein niedriges Körpergewicht und eine primäre Defizienz der Insulinproduktion statt einer immunvermittelten Betazellzerstörung.

Tierexperimentelle Studien zeigen, dass unzureichende mütterliche oder jugendliche Eiweißzufuhr das Pankreaswachstum hemmt und den Pool insulinproduzierender Zellen reduziert. Ein kleineres oder unterentwickeltes Pankreas bietet weniger Betazellen, um den metabolischen Anforderungen im Erwachsenenalter gerecht zu werden, und erhöht die Anfälligkeit für Hyperglykämie. Anders als beim Typ‑1 ist das Pankreas hier nicht Ziel einer Autoimmunreaktion; anders als beim typischen Typ‑2 kann die Insulinresistenz weniger ausgeprägt sein. Diese Unterscheidungen haben praktische Folgen für die Behandlung: Einige Patienten profitieren möglicherweise stärker von Maßnahmen zur Unterstützung der Betazellfunktion und von ernährungsmedizinischer Rehabilitation als von den üblichen insulinsensibilisierenden oder gewichtsreduzierenden Strategien des Typ‑2.
Die Anerkennung von Typ 5 führt zu Verschiebungen der öffentlichen Gesundheitsprioritäten: Verbesserte mütterliche und kindliche Ernährung, gezielte Nährstoffanreicherung und das Monitoring hochriskanter Populationen könnten die lebenslange Belastung durch Diabetes in ressourcenarmen Regionen verringern.
Folgen für Diagnose und Behandlung
Eine genaue Klassifikation erfordert Anamnese, Anthropometrie (Körpermaße), Laboruntersuchungen (Autoantikörper, C‑Peptid zur Abschätzung der Insulinproduktion) und gegebenenfalls genetische Tests. Für Typ 5 sprechen eine Vorgeschichte von frühkindlicher Unterernährung und ein niedriger BMI im Erwachsenenalter. Therapiepfade können Ernährungsrehabilitation, sorgfältiges glykämiisches Management und ein gezielter Einsatz von Insulin oder Sekretagogika je nach verbliebener Betazellfunktion umfassen.
Expertinneneinschätzung
„Die Anerkennung des mangelernährungsbedingten Diabetes als eigene Kategorie ist ein wichtiger Schritt hin zu gerechterer Diabetesversorgung“, sagt Dr. Elena Rios, eine fiktive Endokrinologin mit Schwerpunkt globale Stoffwechselgesundheit. „Klinikerinnen und Kliniker in einkommensschwachen Settings benötigen diagnostische Instrumente und Therapiealgorithmen, die an Patientinnen und Patienten mit niedrigem BMI und begrenztem Zugang zu spezialisierten Therapien angepasst sind. Öffentliche Gesundheitsmaßnahmen — Verbesserung der mütterlichen Ernährung, ausreichende Proteinzufuhr in der Kindheit und frühe Screenings — sind entscheidend für die Prävention.“
Diese Expertinnenperspektive unterstreicht die Schnittstelle zwischen klinischer Endokrinologie und globaler Ernährungspolitik. Die neue Klassifikation kann Forschungsförderung, Zuteilung diagnostischer Ressourcen und gezielte Therapietests in Regionen mit anhaltender Unterernährung leiten.
Fazit
Diabetes umfasst ein Spektrum von Störungen mit unterschiedlichen Ursachen, klinischen Erscheinungsbildern und Behandlungsbedürfnissen. Die formale Anerkennung von Typ 5 — dem mangelernährungsbedingten Diabetes — betont die Rolle der Ernährung in frühen Lebensphasen und der Pankreasentwicklung für die lebenslange metabolische Gesundheit. Für Klinikerinnen und Gesundheitssysteme sind präzise Diagnose, individualisierte Behandlung und Prävention durch verbesserte mütterliche und kindliche Ernährung vorrangig. Für Forschende eröffnet diese Neuklassifikation neue Fragestellungen zur Pankreasentwicklung, zu ernährungsmedizinischen Interventionen und kosteneffektiven Therapien für unterernährte Populationen. Während die Wissenschaft die Diabetestaxonomie weiter verfeinert, können Patientinnen und Patienten weltweit von präziseren, kontextsensitiven Versorgungsansätzen profitieren.
(dashapetrenkophotos/Canva)
Quelle: sciencealert
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