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Neue Evidenz stellt einen 40 Jahre alten Standard in der Behandlung von Herzinfarkten in Frage
Seit mehr als vier Jahrzehnten gehören Beta-Blocker zur routinemäßigen Therapie für Patientinnen und Patienten, die sich von einem Myokardinfarkt (Herzinfarkt) erholen. Die internationale REBOOT-Studie — die bislang größte randomisierte Untersuchung zu dieser Frage — fand jedoch, dass das Fortführen einer Beta-Blocker-Therapie nach der Krankenhausentlassung keinen eindeutigen klinischen Nutzen für Patientinnen und Patienten mit erhaltener linksventrikulärer Ejektionsfraktion (LVEF) bietet. Noch besorgniserregender ist, dass eine vordefinierte Subgruppenanalyse ein erhöhtes Risiko für ungünstige Ereignisse bei Frauen zeigte, denen diese Medikamente nach einem unkomplizierten Herzinfarkt verschrieben wurden.
Studienaufbau, Umfang und Hauptergebnisse
Die REBOOT-Studie schloss 8.505 Patientinnen und Patienten in 109 Krankenhäusern in Spanien und Italien ein. Teilnehmende, die einen unkomplizierten Myokardinfarkt erlitten hatten und mit erhaltener linksventrikulärer Ejektionsfraktion (LVEF) entlassen wurden, wurden randomisiert, entweder die Beta-Blocker-Therapie fortzusetzen oder darauf zu verzichten. Alle anderen leitliniengerechten Behandlungen wurden in beiden Gruppen konsequent angewendet, und die Nachbeobachtungszeit betrug median etwa 3,7 bis 4 Jahre.
Zu den primären Endpunkten zählten Gesamtmortalität, wiederkehrender Myokardinfarkt und Krankenhausaufenthalt wegen Herzinsuffizienz. In der gesamten Studienpopulation gab es keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den mit Beta-Blockern behandelten und den nicht behandelten Patientinnen und Patienten hinsichtlich der kombinierten Rate von Tod, erneutem Herzinfarkt oder Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz. Diese neutralen Ergebnisse stellen den routinemäßigen Einsatz von Beta-Blockern bei Patientinnen und Patienten mit erhaltener LVEF nach einem unkomplizierten Myokardinfarkt in Frage.
Wichtiges Subgruppenresultat: geschlechtsspezifisches Sicherheitsignal
Eine begleitende Substudie, die zusammen mit dem Hauptbericht von REBOOT veröffentlicht wurde, zeigte einen klinisch relevanten Geschlechtsunterschied. Frauen, die Beta-Blocker erhielten, hatten ein höheres absolutes Sterberisiko (etwa 2,7 Prozentpunkte höher über den Nachbeobachtungszeitraum) im Vergleich zu Frauen, die keine Beta-Blocker bekamen. Dieses erhöhte Risiko wurde speziell bei Frauen beobachtet, deren ventrikuläre Funktion vollständig normal war (LVEF ≥ 50 %). Bei Männern zeigte sich kein vergleichbarer Anstieg ungünstiger Ergebnisse.
Kontext: warum sich die Praxis ändern könnte
Historisch wurden Beta-Blocker nach Herzinfarkten eingeführt, weil frühe Studien — zu einer Zeit, als Reperfusionsstrategien und begleitende Therapien begrenzt waren — Mortalitätsvorteile zeigten. Beta-Blocker reduzieren den myokardialen Sauerstoffbedarf und senken das Risiko tödlicher Arrhythmien. Die akute kardiologische Versorgung hat sich jedoch erheblich weiterentwickelt: schnelle koronare Reperfusion, breitere Anwendung von Statinen, ACE-Hemmern/ARBs/ARNIs, Thrombozytenaggregationshemmern und moderne Sekundärpräventionsstrategien haben Infarktgröße und Arrhythmie-Risiko reduziert.
"Therapien haben sich verändert, und der früher zugeschriebene absolute Nutzen der Beta-Blocker könnte für Patientinnen und Patienten, deren Herzfunktion wiederhergestellt ist, nicht mehr gelten", sagte Borja Ibáñez, MD, der die REBOOT-Ergebnisse präsentierte. "Wenn das Ausmaß der myokardialen Schädigung gering ist, verdient die Hinzufügung einer Therapie, die keinen zusätzlichen Nutzen bringt — aber Nebenwirkungen verursacht — eine Neubewertung."

Sicherheit, Nebenwirkungen und Medikamentenbelastung
Beta-Blocker gelten allgemein als sicher, sind jedoch mit Nebenwirkungen verbunden, die die Lebensqualität beeinträchtigen können, darunter Müdigkeit, Bradykardie (langsamer Herzschlag), Belastungsintoleranz und sexuelle Dysfunktion. Viele Patientinnen und Patienten nach einem Myokardinfarkt nehmen bereits mehrere Medikamente ein; das Weglassen nicht notwendiger Arzneien kann daher Behandlungspläne vereinfachen, die Adhärenz verbessern und Nebenwirkungen reduzieren.
Die REBOOT-Forscher betonten, dass die Studie Patientinnen und Patienten mit unkompliziertem Myokardinfarkt und erhaltener LVEF adressierte. Patientinnen und Patienten mit reduzierter Ejektionsfraktion, symptomatischer Herzinsuffizienz oder anderen klaren Indikationen für Beta-Blocker waren nicht die primär untersuchte Population; für diese Kontexte stützt die vorhandene Evidenz weiterhin den Nutzen von Beta-Blockern.
Folgen für Leitlinien und klinische Praxis
Die leitenden Studienärztinnen und -ärzte sowie beteiligte Institutionen, darunter das Centro Nacional de Investigaciones Cardiovasculares (CNIC) und Kooperationspartner am Mount Sinai sowie dem Mario Negri Institute, argumentieren, die Daten seien robust genug, um Überarbeitungen der Leitlinienempfehlungen zur postinfarktlichen Versorgung von Patientinnen und Patienten mit erhaltener Ventrikelfunktion zu veranlassen. REBOOT reiht sich ein in jüngste wegweisende Studien — wie SECURE (Polypill-Strategien) und DapaTAVI (SGLT2-Inhibitoren bei Klappenerkrankungen) — die ebenfalls Aktualisierungen der kardiovaskulären Praxis beeinflusst haben.
Sollten Leitlinienkomitees die REBOOT-Ergebnisse übernehmen, könnten Kliniker aufhören, Beta-Blocker routinemäßig an Patientinnen und Patienten zu verschreiben, die nach einem unkomplizierten Herzinfarkt eine normale Ejektionsfraktion erreichen, und die Medikamente für diejenigen reservieren, bei denen klare Indikationen bestehen, wie reduzierte LVEF oder symptomatische Arrhythmien.
Experteneinschätzung
Dr. Maya Thompson, klinische Pharmakologin und kardiovaskuläre Forscherin (fiktiv), kommentiert: "REBOOT ist ein wichtiges Beispiel dafür, eingefahrene Praktiken angesichts moderner Versorgungsstandards neu zu bewerten. Wir müssen historische Daten gegen zeitgenössische Ergebnisse abwägen. Das Weglassen unnötiger Therapie kann Nebenwirkungen reduzieren und Ressourcen auf Interventionen mit nachgewiesenem Zusatznutzen fokussieren. Dennoch sollten Entscheidungen individualisiert werden — einige Patientinnen und Patienten können je nach Arrhythmierisiko, Komorbiditäten oder möglicher Verschlechterung der LVEF über die Zeit weiterhin von Beta-Blockern profitieren."
Nächste Schritte und weitere Forschung
Regulierungsbehörden und Fachgesellschaften werden die REBOOT-Daten prüfen, um zu entscheiden, ob Leitlinienaktualisierungen erforderlich sind. Weitere Forschung könnte die Mechanismen für das geschlechtsspezifische Signal, pharmakokinetische Unterschiede oder Wechselwirkungen mit anderen postinfarktlichen Therapien untersuchen. Langzeitregister könnten ebenfalls die Ergebnisse beobachten, wenn Änderungen in der Verordnungsroutine umgesetzt werden.
Fazit
Die REBOOT-Studie stellt ein langjähriges Paradigma in Frage, indem sie zeigt, dass eine routinemäßige Beta-Blocker-Therapie nach unkompliziertem Myokardinfarkt bei Patientinnen und Patienten mit erhaltener linksventrikulärer Funktion keinen allgemeinen klinischen Vorteil bietet, und sie wirft Sicherheitsbedenken für Frauen in dieser Subgruppe auf. Diese Ergebnisse unterstützen eine Überprüfung der Entlassmedikation, um unnötige Medikamente zu vermeiden, und unterstreichen die Notwendigkeit aktualisierter Leitlinien, die die moderne akute kardiovaskuläre Versorgung widerspiegeln.
Quelle: scitechdaily
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