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Das Potenzial von Überschüssiger Erneuerbarer Energie erschließen
Weltweit wachsen erneuerbare Energien wie Wind- und Solarstrom rasant und speisen immer mehr saubere Energie in die Stromnetze ein. Dennoch erreicht ein beträchtlicher Anteil dieser grünen Energie nie die Endverbraucher. Stattdessen bleibt sie oft „stranded“ – also erzeugt, aber ungenutzt –, meist bedingt durch Engpässe bei der Übertragung oder Differenzen zwischen Erzeugung und lokalem Bedarf. Aufgrund des steigenden Energiebedarfs für künstliche Intelligenz und Cloud Computing setzen innovative Unternehmen verstärkt darauf, diese verschwendete Ressource als Motor nachhaltigen Wachstums zu nutzen.
Was versteht man unter Überschüssiger Erneuerbarer Energie?
Stranded oder überschüssige erneuerbare Energie bezeichnet Strom aus Windkraft- oder Solaranlagen, der nicht ins Netz eingespeist werden kann — sei es wegen betrieblicher Einschränkungen, unzureichender Infrastruktur oder fehlender lokaler Nachfrage. Besonders an windreichen Tagen oder in sonnenintensiven Stunden sind viele Stromnetze ausgelastet. Übertragungsleitungen, oft Jahrzehnte alt, können nicht die gesamte erzeugte Energie transportieren, vor allem in abgelegenen Regionen, wo viele erneuerbare Erzeugungsanlagen stehen. Netzbetreiber fordern deshalb regelmäßig Leistungsreduzierungen („Curtailment“), wodurch große Mengen sauberer Energie verloren gehen.
Laut Soluna, einem führenden Entwickler grüner Rechenzentren, werden an manchen Standorten bis zu 30 bis 40 Prozent der erneuerbaren Energie nicht genutzt. Allein in den USA rechnete Soluna für 2021 mit beinahe 15 Terawattstunden an Wind- und Solarstrom, die abgeregelt wurden – eine Menge, die ausreicht, um über eine Million Haushalte ein Jahr lang zu versorgen.
Steigender Bedarf an nachhaltigen Rechenzentren
Die Verbreitung von künstlicher Intelligenz, Big Data und Kryptowährungen lässt die Nachfrage nach leistungsfähiger IT-Infrastruktur und Speicherlösungen rasant steigen. Rechenzentren, das Rückgrat für Cloud-Services und Online-Plattformen, zählen mittlerweile zu den am schnellsten wachsenden Stromverbrauchern weltweit. Einer Branchenstudie im Auftrag von Bloom Energy zufolge werden bis 2030 über ein Drittel neuer Rechenzentren ihre Energie direkt vor Ort selbst erzeugen – als Weg zu mehr Unabhängigkeit und Versorgungssicherheit. Bis 2035 könnte der Anteil sogar annähernd die Hälfte aller Einrichtungen weltweit erreichen.
Zugang zu Strom als Hauptkriterium für Standortwahl
“Das Netz kann mit dem rasanten Wachstum KI-basierter Technologien kaum Schritt halten”, erklärt Aman Joshi, Chief Commercial Officer von Bloom Energy. “Der Zugang zu zuverlässiger Energie ist mittlerweile das entscheidende Kriterium für die Standortwahl von Rechenzentren.” Angesichts eines Verzugs von bis zu zwei Jahren zwischen Projektanfrage und Netzausbau weichen viele Betreiber auf direkte Strombezugsverträge mit erneuerbaren Anlagen aus, deren Energie sonst abgeregelt würde.
Solunas Lösung: Aus verschwendeter Energie nachhaltige Rechenleistung schaffen
Soluna mit Hauptsitz in Albany, New York, ist Vorreiter bei der Verwertung abgeregelter grüner Energie. CEO John Belizaire beschreibt das Paradox: „Wer in windreichen Gebieten unterwegs ist, sieht oft, dass nicht alle Turbinen rotieren, selbst bei optimalen Bedingungen.“ Der Grund: „Sie werden abgeschaltet, weil es keine Abnehmer für den produzierten Strom gibt.“ Soluna setzt deshalb auf die direkte räumliche Nähe zwischen Rechenzentren und Wind-, Solar- oder Wasserkraftanlagen. Über sogenannte Power Purchase Agreements (PPAs) kauft das Unternehmen überschüssigen oder nicht unterzubringenden Strom direkt vom Erzeuger – Energie, die ansonsten verloren ginge.
Flexible und resiliente Betriebsführung
Während klassische Rechenzentren auf konstante Stromversorgung angewiesen sind, sind die Anlagen von Soluna als „flexible Last“ konzipiert: Sie erhöhen ihre Rechenleistung, wann immer überschüssiger Grünstrom zur Verfügung steht, und reduzieren ihren Verbrauch bei Engpässen – und stabilisieren so Angebot und Nachfrage im Stromnetz. Wie Belizaire erklärt: „Wir agieren fast wie eine Batterie. Rechenleistung kann mitunter eine bessere Speicherlösung sein als physische Batteriesysteme.“
Praxisbeispiele und Auswirkungen
Solunas Portfolio umfasst Anlagen in Kentucky und Texas mit insgesamt über 120 Megawatt installierter Leistung, weitere 800 Megawatt sind geplant. Besonders in Westtexas, wo regelmäßig Windstrom ungenutzt bleibt, befinden sich die Rechenzentren in unmittelbarer Nähe zu den Anlagen und greifen direkt auf ungenutzte Energie zu.
Auch andere Unternehmen, wie IREN, verfolgen ähnliche Ansätze. IREN betreibt etwa ein 7,5-Gigawatt-Rechenzentrum in Childress, Texas, und eine 1,4-Gigawatt-Anlage in Sweetwater – beide spezialisiert auf Kryptowährungs-Mining und KI-Anwendungen. Laut IREN-Manager Kent Draper nutzt das Unternehmen Phasen des Stromüberangebots am Großhandelsmarkt, schaltet stromhungrige Computer bei Preisspitzen ab und fährt sie hoch, wenn erneuerbare Energie im Überschuss vorhanden ist.
Globale Herausforderung durch Abregelung
Das Problem betrifft längst nicht nur die USA: Wind- und Solar-Abregelungen steigen weltweit, etwa in Kalifornien, Oklahoma, Nordirland, Deutschland, Portugal und Australien. In Kalifornien etwa musste der Netzbetreiber 2024 einen Rekordwert von 3,4 Millionen Megawattstunden erneuerbarer Erzeugung abregeln – ein Plus von 29 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Weltweit werden dort, wo große Mengen grüner Energie nicht mit ausreichend Übertragungsnetz oder flexibler Nachfrage zusammentreffen, Abregelungsverluste unvermeidbar.
Innovative Beschaffungsstrategien und Verträge
Dank seiner „Behind-the-Meter“-Strategie kann Soluna günstige Grünstromquellen vielfältig erschließen. Strom kann direkt von Wind- oder Solaranlagen zu niedrigen, fixen Preisen bezogen werden – da diese Energie sonst ungenutzt bliebe, sind die Konditionen sehr attraktiv. Alternativ kann Soluna für Energie zahlen, die ansonsten ins Netz eingespeist worden wäre („subtraktive Energie“), und so auch wirtschaftlich zum Erzeuger beitragen. Im Ausnahmefall erfolgt der Bezug aus dem regulären Netz, womit jedoch auch fossile Energie berücksichtigt werden muss.
Laufzeiten von Lieferverträgen haben sich verlängert: Statt fünf Jahren sind heute Zehnjahres-Verträge gängig – sie sichern Planbarkeit für Rechenzentrum und Energieproduzent gleichermaßen.
Technologische Integration: Rechenzentren als Flexibilitätsreserve fürs Netz
Die volatile Einspeisung erneuerbarer Energien erschwert die Versorgungssicherheit. Klassische Lösungen wie der Ausbau von Übertragungsleitungen oder der Bau großer Batteriespeicher sind wichtig, aber zeit- und kostenintensiv. Flexible Rechenzentren können unmittelbar und skalierbar helfen: Durch automatische Anpassung ihrer Rechenlast agieren sie wie „virtuelle Batterien“ – nehmen überschüssigen Strom auf und stellen Kapazität bereit, wenn im Netz Engpässe auftreten. So fördern sie die Integration erneuerbarer Energien und stärken die Netzstabilität im Zuge der Energiewende.
Bedeutung und Ausblick
Indem überschüssige grüne Energie für digitale Anwendungen genutzt wird, zeigen Rechenzentren einen wirkungsvollen Ansatz für nachhaltige industrielle Entwicklung. Bei manchen Projekten stammt bis zu 75 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen – Unternehmen wie Soluna setzen damit Maßstäbe in Sachen Klimaschutz und Betriebseffizienz. Mit technologischem Fortschritt bei Batteriespeichern und wachsendem politischen Tempo bei der Modernisierung der Netze wird flexible Nachfrage zur Schlüsselressource, um Dekarbonisierung und digitale Transformation zu erreichen.
Über reine CO₂-Einsparungen hinaus entfalten diese Ansätze größere Wirkung: Sie ermöglichen die volle Nutzung getätigter Investitionen in Erneuerbare, schaffen wirtschaftlichen Mehrwert für Energieerzeuger und Abnehmer und machen grüne Energie zum Rückgrat der künftigen Digitalwirtschaft. Wie Belizaire betont: „Wo auch immer Erneuerbare im großen Maßstab wachsen, gibt es Abregelung – und damit die Chance, daraus Wert zu schaffen.“
Fazit
Mit der wachsenden Bedeutung von Dateninfrastrukturen für Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft muss auch ihr Energiebedarf so nachhaltig wie technologisch zukunftsweisend gestaltet werden. Die Nutzung abgeregelter Wind-, Solar- und Wasserkraft vermeidet nicht nur Verschwendung, sondern verbindet das Potenzial erneuerbarer Energie mit konkretem Nutzen in der Praxis. Die innovativen Strategien von Soluna und anderen zeigen einen umsetzbaren Weg zu einer digitalen Zukunft, die auf sauberer, flexibler und resilienter Energieversorgung aufbaut – und liefern damit einen wichtigen Beitrag zur globalen Energiewende.
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