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Quipu: Die größte kosmische Superstruktur neu entdeckt
Mit einer bahnbrechenden Entdeckung haben Astronom:innen unser Verständnis der größten Strukturen im Universum erweitert: Sie identifizierten Quipu – eine kosmische Superstruktur, die sich über mehr als 1,3 Milliarden Lichtjahre erstreckt. Benannt nach dem komplexen Inka-System geknüpfter Schnüre zur Aufzeichnung von Informationen, gilt Quipu heute als die größte bekannte Struktur im Kosmos und umfasst beeindruckende 200 Billiarden Sonnenmassen. Diese Entdeckung stellt gängige Annahmen über die Dimensionen kosmischer Architektur infrage und liefert entscheidende Impulse zur Optimierung von Kosmologie-Modellen und als Grundlage für weiterführende astronomische Beobachtungen.
Hintergründe und Methoden: Wie werden Superstrukturen entdeckt?
Kosmische Strukturen in erstaunlichen Dimensionen
Superstrukturen wie Quipu markieren die Spitze der hierarchischen Struktur des Universums. Sie bestehen aus miteinander verbundenen Galaxienhaufen und Superhaufen, die ein dichtes, verwobenes Netz bilden und sich über Hunderte Millionen Parsec erstrecken. Superstrukturen sind weit mehr als nur astronomische Besonderheiten; sie beherbergen bedeutende Anteile der sichtbaren Materie, einschließlich ganzer Galaxien und umfangreicher Reservoire intergalaktischen Gases.
Die Entdeckung von Quipu und vier weiterer gewaltiger Strukturen resultiert aus der Cosmic Large-Scale Structure in X-rays (CLASSIX) Cluster Survey, einem Projekt, das moderne Röntgenbeobachtungen nutzt. Durch das Abbilden von Röntgenemission aus massiven Galaxienhaufen – oft bestehend aus Tausenden Galaxien und sehr heißem intergalaktischem Gas – können Forschende die dichtesten Regionen des kosmischen Netzes kartieren und das große Skelett des Universums rekonstruieren.
„Für eine präzise Bestimmung kosmologischer Parameter müssen wir die Auswirkungen der lokalen großräumigen Strukturen auf Messungen verstehen“, betont Hans Böhringer vom Max-Planck-Institut, der leitende Autor der Studie. Dies unterstreicht die enorme Bedeutung detaillierter Kartierungen dieser kosmischen Filamente für genaue kosmologische Messungen.

Der Name Quipu: Struktur und Inspiration
Der einprägsame Name „Quipu“ erinnert an das Inka-System aus Knoten- und Schnur-Technik, das längst zur Informationsaufzeichnung diente und spiegelt das filamentartige Erscheinungsbild der Superstruktur wider. Wie die Knotenmuster und Verzweigungen im Original, durchzieht Quipu als langgezogener, filigraner Rücken mit abzweigenden Subfilamenten das All und erinnert in seiner Geometrie an das Namensvorbild.
Der Einfluss von Superstrukturen auf kosmische Messungen
Auswirkungen auf die kosmische Hintergrundstrahlung (CMB)
Die enorme Masse und Gravitation solcher Superstrukturen hinterlässt deutliche Spuren in der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung (CMB), dem Nachglühen des Urknalls und einem Grundpfeiler der modernen Kosmologie. Wenn diese Reliktstrahlung Superstrukturen wie Quipu durchquert, wird ihr Verlauf durch den sogenannten integrierten Sachs-Wolfe-Effekt (ISW) leicht verändert, was zu messbaren Schwankungen führt. Diese Störungen sind maßgeblich für unser Verständnis der Frühphase des Universums und müssen in der Präzisionskosmologie berücksichtigt werden.
Folgen für die Hubble-Konstante und kosmologische Modelle
Auch bei der Messung der Hubble-Konstante – der Kennzahl für die Expansion des Universums – spielen Superstrukturen eine Rolle. Während sich das All ausdehnt und Galaxien voneinander entfernen, führen lokale Bewegungen innerhalb dieser Massestrukturen („Peculiar Velocities“ oder Strömungsbewegungen) zu Verzerrungen der Messergebnisse. Bleiben diese Umwelteinflüsse unberücksichtigt, können die Werte der Hubble-Konstanten verzerrt sein und bestehende Diskrepanzen wie die „Hubble-Spannung“ zusätzlich verstärken.
Darüber hinaus wirken diese riesigen Materieansammlungen als Gravitationslinsen, beugen das Licht entfernter Objekte und beeinflussen so Himmelsaufnahmen und astronomische Durchmusterungen. Dies kann zu systematischen Fehlern bei Messungen kosmischer Entfernungen, Galaxienverteilungen und der Lokalisierung Dunkler Materie führen.
Quipu im Kosmischen Netz
Laut neuester Veröffentlichung im Fachjournal Astronomy & Astrophysics ist Quipu hinsichtlich Ausdehnung und Masse bisher unerreicht. Quipu und die vier weiteren von Böhringers Team katalogisierten Superstrukturen beherbergen 45% aller Galaxienhaufen, 30% der bekannten Galaxien sowie rund 25% der Masse im untersuchten Bereich – und nehmen damit 13% des erfassten Universumsvolumens ein.
Die Studie zeigt zudem klare Unterschiede in der Galaxiendichte zwischen Haufen innerhalb der Superstrukturen und isoliert liegenden Objekten (sogenannten „Feldhaufen“). Diese Diskrepanz geht vermutlich auf die geringere Masse der Feldhaufen zurück, nicht auf einen generellen Mangel an Galaxien. Das Verständnis dieser kosmischen Umgebungen liefert wertvolle Hinweise zu Bildungsprozessen von Galaxien und Galaxienhaufen.

Simulationen und theoretische Bedeutung
Ermutigend ist, dass aktuelle Simulationen auf Basis des Lambda-Cold-Dark-Matter-Modells (ΛCDM), dem Leitmodell für die Entstehung kosmischer Strukturen, die Existenz von Gebilden wie Quipu prognostizieren. Das ΛCDM-Modell bezieht Dunkle Energie (Lambda) und Kalte Dunkle Materie ein, um die Entwicklung des Universums seit dem Urknall zu erklären – und die Existenz solcher riesigen Filamente stimmt mit diesen Modellvorhersagen überein.
„In Simulationen, die auf ΛCDM-Kosmologie beruhen, finden wir Superstrukturen mit vergleichbaren Eigenschaften“, so das Forscherteam. Dies unterstreicht sowohl die Belastbarkeit der Entdeckung als auch die Zuverlässigkeit bestehender kosmologischer Modelle.
Blick in die Zukunft: Vergänglichkeit und weitere Erforschung
Obwohl Quipu aktuell das kosmische Netz dominiert, ist sein Status vermutlich nur vorübergehend. Nach Böhringer und seinem Team sind solche Superstrukturen keine dauerhaften Gebilde: Über immense Zeitspannen werden gravitative Prozesse Quipu und ähnliche Filamente in kleinere, dichtere Strukturen zerfallen lassen. Die heutigen Riesen sind nur Zwischenergebnisse der evolutionären Entwicklung des Universums.
Dennoch ermöglicht die fortlaufende Untersuchung von Quipu faszinierende Einblicke in die Wechselwirkung von Galaxien mit ihrer Umgebung sowie in das Zusammenspiel von großräumigen Strukturen mit fundamentalen Kräften und der Raumzeit selbst. „Interessante Anschlussforschungen betreffen zum Beispiel den Einfluss dieser Umgebungen auf die Galaxienpopulation und deren Entwicklung“, betonen die Autor:innen.
Fazit
Die Entdeckung von Quipu – der bislang größten bekannten Struktur des Universums – markiert einen Wendepunkt für das Vermessen und Verstehen kosmischer Dimensionen. Mit ihrer enormen Ausdehnung von über 1,3 Milliarden Lichtjahren und erheblichem Einfluss auf entscheidende Beobachtungen wie die CMB oder die Hubble-Konstante fordert Quipu eine Neubewertung zahlreicher Aspekte von Galaxienentwicklung bis zu Modellen des kosmischen Materienetzes. Mit dem Fortschritt astronomischer Technologien und Beobachtungstechniken werden Quipu und verwandte Superstrukturen auch künftig zentrale Themen in der extragalaktischen Forschung sein und neue Erkenntnisse zu den fundamentalen Rätseln des Kosmos liefern.
Quelle: universetoday
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