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Eine kürzlich durchgeführte theoretische Analyse legt nahe, dass in Sonneneruptionen ausgeworfene Ionen auf deutlich höhere Temperaturen erhitzt werden könnten als bisher geschätzt — möglicherweise bis zu etwa 60 Millionen Kelvin (≈60 Millionen °C bzw. ≈108 Millionen °F). Sollte sich dies bestätigen, würde das die Interpretation von Flares hinsichtlich Energiebilanz und Ferndiagnostik der Sonne verändern.

Eine mächtige Sonneneruption, aufgenommen vom Solar Dynamics Observatory im Mai 2024, mit einer zur Größenveranschaulichung überlagerten Erde. Die Erde befindet sich tatsächlich nicht so nahe an der Sonne. (NASA/SDO)
Wissenschaftlicher Hintergrund: warum die Temperaturen abweichen können
Sonnenflares entstehen, wenn verdrillte Magnetfeldlinien in der Sonnenatmosphäre plötzlich rekonnktieren und große Mengen magnetischer Energie freisetzen. Diese Energie beschleunigt Teilchen und erhitzt das Plasma in der Sonnenatmosphäre, sodass Temperaturen weit über der photosphärischen Oberfläche der Sonne (≈5.500 °C) und sogar über denen der heißen Korona (≈2 Millionen °C) auftreten.
Traditionelle Flare-Diagnostik leitet die Temperatur überwiegend aus elektronengesteuerten Signalen wie Röntgenemission und Verhältnissen von Spektrallinien ab. Lange gingen Sonnenphysiker davon aus, dass Elektronen und Ionen schnell thermisch ausgleichen und dieselbe Temperatur teilen. Die neue Analyse hinterfragt diese Annahme, indem sie moderne Messdaten, numerische Ergebnisse und jüngste Befunde aus dem erdnahen Raum und dem Sonnenwind kombiniert.
Der Erstautor Alexander Russell und seine Koautoren wendeten aktualisierte Skalierungen für die Rekonnexionsheizung an, die zeigen, dass magnetische Rekonnexion bevorzugt mehr Energie auf Ionen als auf Elektronen übertragen kann. Ihre Berechnungen deuten darauf hin, dass Ionen etwa 6,5-mal effizienter erhitzt werden könnten, sodass Ionentemperaturen im Flareplasma auf mehrere zehn Millionen Kelvin ansteigen — in bestimmten Regionen potenziell bis zu 60 Millionen K.
Folgen für Beobachtungen und Weltraumwetter
Wenn Flare-Ionen deutlich heißer sind als Elektronen, hat das mehrere Konsequenzen. Erstens könnten spektrale Merkmale, die bisher einer einzigen Temperaturkomponente zugeschrieben wurden, falsch interpretiert sein; das könnte langjährige Anomalien in Flare-Spektren erklären. Zweitens müssten Schätzungen der Gesamtenergie eines Flares und der Effizienz der Teilchenbeschleunigung überarbeitet werden. Drittens könnten heißere Ionen beeinflussen, wie energiereiche Teilchen in den Heliosphärenraum entweichen, was sich auf Vorhersagen des Weltraumwetters sowie auf Strahlungsrisiken für Satelliten und Astronauten auswirkt.
Die Ergebnisse sind vorläufig theoretisch. Die Autoren betonen, dass gezielte Beobachtungen und angepasste Strategien für Instrumente die Vorhersage prüfen können: Hochauflösende spektrale Bildgebung (von Instrumenten wie SDO, Solar Orbiter, Parker Solar Probe und bodengestützten Einrichtungen wie DKIST) in Kombination mit maßgeschneiderten Modellen kann nach Signaturen einer Temperaturtrennung zwischen Ionen und Elektronen während rekonnktionsgetriebener Flares suchen.
Ausblick und nächste Schritte
Die Bestätigung sehr heißer Ionen erfordert koordinierte Beobachtungen und detaillierte Modellierungen, die die Physik der Rekonnexion mit spektralen Diagnosen verbinden. Wird das Ergebnis bestätigt, verfeinert es Modelle zur Energieaufteilung in Flares und verbessert die Interpretation von Ferndaten zu hochenergetischen Sonnenphänomenen. Die Analyse wurde in The Astrophysical Journal Letters veröffentlicht.
Fazit
Neue, auf Rekonnexion basierende Berechnungen legen nahe, dass Ionen in Sonnenflares Temperaturen von bis zu ~60 Millionen °C erreichen könnten, deutlich höher als in auf Elektronen basierenden Schätzungen angenommen. Das stellt langgehaltene Annahmen zur thermischen Angleichung im Flareplasma in Frage und motiviert gezielte Beobachtungen, um Temperaturunterschiede zwischen Ionen und Elektronen nachzuweisen und die Energiebilanzen von Flares neu zu bewerten.
Quelle: sciencealert
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