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Weltweiter Trend zu alkoholfreiem Bier: Wissenschaftlicher Fortschritt treibt Entwicklung an
Die Nachfrage nach alkoholfreien und alkoholarmen Bieren wächst rasant, insbesondere bei gesundheitsbewussten Konsumenten. Dieser globale Wandel basiert auf veränderten Lebensgewohnheiten und dem Wunsch nach neuen Geschmackserlebnissen. Wissenschaftler und Brauer überdenken daher klassische Zutaten und Brauprozesse. Eine entscheidende Rolle spielt inzwischen Reis, der als vielseitige Alternative zu Gerstenmalz in der Herstellung alkoholfreier Biere dient. Aktuelle Studien, veröffentlicht im International Journal of Food Properties und im Journal of the American Society of Brewing Chemists, zeigen die Vorteile von Reis bei der Entwicklung innovativer Biersorten.
Die Wissenschaft des Brauens: Von Hülsenfrüchten bis Reis
Das Bierbrauen ist längst nicht nur Kunst, sondern ein dynamischer Bereich der Lebensmittelwissenschaft, in dem biochemisches Know-how den Geschmack, das Aroma und das Mundgefühl beeinflusst. Frühe Forschungen aus Norwegen stellten fest, dass Sauerbiere, die mit Zuckern aus Hülsenfrüchten wie Erbsen, Bohnen und Linsen gebraut werden, die Komplexität belgischer Saurbiere nachbilden können. Diese Alternativen bieten nicht nur vergleichbare Geschmacksprofile, sondern betonen sogar milde, fruchtige Noten und Milchsäure – ohne unerwünschte, „bohnenartige“ Aromen. Das eröffnet neue Möglichkeiten für kreative Bierrezepturen.
Der Ersatz von Gerstenmalz durch Reis ist allerdings ein besonders innovativer Schritt, vor allem in Ländern mit strengen Brauereigesetzen. In Deutschland bestimmt das Reinheitsgebot, dass Bier ausschließlich aus Gerstenmalz, Hopfen, Wasser und Hefe gebraut werden darf – auch für alkoholfreie Varianten. Daher zeigen deutsche Alkoholfreie oft einen ausgeprägten "würzigen" Geschmack, bedingt durch höhere Konzentrationen bestimmter Aldehyde. Länder wie die USA sind hingegen aufgeschlossener gegenüber Reis und anderen Rohstoffen. In Arkansas wurde im Frühjahr 2024 ein Gesetz verabschiedet, das den Einsatz von lokalem Reis bei der Herstellung von Sake und Bier fördert – ein Zeichen für den wachsenden Stellenwert des Reises in der Getränkebranche.
Expertenmeinung: Reis als Impulsgeber für innovative Braukunst
„Reis ist nicht bloß ein neutraler Füllstoff, sondern ein Werkzeug für Innovationen“, betont Dr. Scott Lafontaine, Lebensmittelchemiker am University of Arkansas System Division of Agriculture und Mitautor einer aktuellen Schlüsselstudie. „Wir sollten überholte Ansichten hinter uns lassen und erkennen, wie Reis Biere schaffen kann, die leicht, effizient und im Einklang mit Tradition wie modernen Verbraucherwünschen stehen.“

Nicht jeder Reis ist gleich: Die Kunst der Rohstoffwahl
Obwohl Reis vielfältige Möglichkeiten für die Brauindustrie bietet, eignen sich nicht alle Sorten für den Einsatz im Bier. Viele Speisereissorten wurden auf hohe Ausbeuten und niedrigen glykämischen Index gezüchtet, zeichneten sich aber durch viel Amylose und hohe Gelatinisierungstemperaturen aus – Eigenschaften, die für das Bierbrauen von Nachteil sind. Für optimale Zuckerumsetzung beim Maischen werden Reissorten mit weniger Amylose und niedrigerem Gelatinisationspunkt bevorzugt.
Das Team um Dr. Lafontaine und Christian Schubert vom Berliner Forschungsinstitut für Rohstoffe und Getränkeanalytik testete diese Theorie praktisch. Sie brauten alkoholfreie Biere mit unterschiedlichen Anteilen an Gerste und Reis – von 100% Gerstenmalz bis zu 100% Reis – und unterzogen alle Proben einer umfassenden chemischen Analyse und Blindverkostungen sowohl in den USA als auch in Europa.
Sinneswahrnehmungen: Wie Reis Geschmack und Textur verändert
Die Verkoster bewerteten Reisbiere mehrheitlich als weniger „würzig“, was durch analytische Daten mit niedrigeren Aldehydwerten bestätigt wurde. Höhere Reisanteile gingen oft mit angenehmen Vanille- oder Butteraromen einher. Für Brauereien bietet besonders neutraler Reis die Möglichkeit, ein klares und feines Geschmacksprofil zu entwickeln.
Zudem führten größere Mengen Reis im Sud zu einem volleren, cremigeren Mundgefühl, vermutlich aufgrund höherer Konzentrationen spezieller Alkoholmoleküle – jedoch ohne die gesetzlichen Grenzwerte für alkoholfreie Biere zu überschreiten.
Kulturelle Unterschiede: Regionale Vorlieben prägen Biervielfalt
Auffällig war, dass die geschmacklichen Vorlieben regional variieren: Während amerikanische Verkoster toleranter gegenüber „würzigen“ Eigenschaften waren und eine Mischung aus 70% Gerste zu 30% Reis bevorzugten, überzeugten europäische Tester vor allem Biere mit hohem Reisanteil (70%). Dies reflektiert unterschiedliche Geschmackstraditionen und unterstreicht die Bedeutung regionaler Anpassung. Außerdem wurde festgestellt, dass ein hoher Reisanteil den Gärprozess durch mehr einfach vergärbare Zucker wie Glukose und Fruktose beschleunigt.
Reisauswahl optimieren: Nachhaltigkeit und Effizienz im Fokus
Eine zweite Studie untersuchte 74 Reissorten hinsichtlich ihrer Extraktausbeute – ein entscheidender Faktor für Kosteneffizienz und nachhaltigen Ressourceneinsatz beim Bierbrauen. Die Ergebnisse zeigen: Reissorten mit geringer Amylose brechen leichter auf und ermöglichen so eine optimale Zuckerfreisetzung beim Maischeprozess. Diese Sorten benötigen zudem niedrigere Gelatinisierungstemperaturen, was die Produktion vereinfacht und die Ausbeute steigert.
Diese Ergebnisse fördern die Zusammenarbeit zwischen Brauern und Reiszüchtern, um Zugang zu optimalen Sorten zu sichern und so die Zukunft innovativer, nachhaltiger und vielfältiger Biere zu gewährleisten.
Fazit
Wissenschaftliche Forschung schafft neue Möglichkeiten für den Einsatz von Reis im Brauprozess und bietet Lösungen für verbesserten Geschmack, erhöhte Effizienz und mehr Vielfalt bei alkoholfreien Biersorten. Mit zunehmender Lockerung gesetzlicher Vorschriften und sich wandelnden Verbraucherwünschen ist der Weg für Reis als Schlüsselzutat in der globalen Getränkeindustrie geebnet. Die Zusammenarbeit zwischen Lebensmittelchemikern, Brauern und Agrarwissenschaftlern wird entscheidend sein, um die besten Reissorten für die alkoholfeie Bierherstellung zu identifizieren und so Qualität, Nachhaltigkeit und Attraktivität weiter zu steigern.
Quelle: arstechnica
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