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Mikrobielle Ursachen von frühem Darmkrebs: Die Rolle von Colibactin

Mikrobielle Ursachen von frühem Darmkrebs: Die Rolle von Colibactin

2025-06-01
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Mikrobielle Ursprünge von frühem kolorektalem Krebs aufgedeckt

Weltweit steigen die Raten von Darmkrebs bei jungen Erwachsenen rasant an und geben der Wissenschaft Rätsel auf. In einer bedeutenden, internationalen Studie unter Leitung der University of California, San Diego – mit Beteiligung von Forschenden aus elf Ländern – wurde das bakterielle Toxin Colibactin als ein zentraler Auslöser von DNA-Mutationen identifiziert, die Jahrzehnte vor dem klassischen Risikolebensalter zur Entstehung von Darmkrebs führen können. Die Ergebnisse, veröffentlicht im Fachjournal Nature, könnten unser Verständnis zur Entstehung bestimmter Krebserkrankungen grundlegend verändern und rücken die komplexen Wechselwirkungen zwischen Darmbakterien und menschlicher Gesundheit in den Fokus.

Colibactin und das Krebsrisiko – Wissenschaftliche Hintergründe

Colibactin ist ein Genotoxin, das von bestimmten Stämmen des Bakteriums Escherichia coli (E. coli) produziert wird, die natürlicherweise im menschlichen Darm vorkommen. Mithilfe fortschrittlicher Genomanalyse untersuchte das Forscherteam Tumorproben von 981 Darmkrebspatienten aus verschiedenen Regionen der Welt. Ziel war es, Muster von DNA-Mutationen zu erkennen und Umwelt- oder mikrobielle Ursachen für den alarmierenden Anstieg von Darmkrebs bei unter 50-Jährigen zu identifizieren.

Auffällig war, dass Krebsarten, die durch instabile, fragile DNA gekennzeichnet sind, weltweit konsistente Merkmale aufwiesen. Im Gegensatz dazu zeigten Tumoren mit stabilen genomischen Eigenschaften – sogenannte mikrosatellitenstabile Krebsarten – deutliche regionale Unterschiede hinsichtlich Mutationsart und -anzahl. Besonders erwähnenswert: Charakteristische DNA-Signaturen, die auf eine Colibactin-Exposition zurückzuführen sind, traten gehäuft in Regionen wie Argentinien, Brasilien, Kolumbien, Russland und Thailand auf – Länder, in denen auch die Häufigkeit von Darmkrebs bei jüngeren Menschen überdurchschnittlich gestiegen ist.

Studienleiter Dr. Ludmil Alexandrov beschreibt das Krebsgenom als einen „historischen Speicher“, in dem die Spuren von Umwelt- und Mikrobenbelastungen festgehalten sind. Die für Colibactin typischen Mutationsmuster – insbesondere SBS88 und ID18 – traten bei Patienten, die vor dem 40. Lebensjahr diagnostiziert wurden, 3,3-mal häufiger auf als bei Personen über 70. Diese molekularen Belege untermauern die Annahme, dass bakterielle Toxine im Darm schon früh im Leben genetische „Zeitbomben“ setzen können.

Die Rolle des APC-Gens und frühe genetische Veränderungen

Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Studie ist der Zusammenhang zwischen colibactin-induzierten Mutationen und dem APC-Gen (Adenomatöse Polyposis Coli), einem wichtigen Tumorsuppressor. Das APC-Gen reguliert das Zellwachstum und verhindert unkontrollierte Zellteilung. Die Forscher entdeckten, dass rund ein Viertel der krebstreibenden APC-Mutationen in Fällen mit nachgewiesener Colibactin-Exposition direkt durch das bakterielle Toxin verursacht wurden. Die Schädigung dieses Gens könnte somit ein früher, entscheidender Schritt bei der Krebsentstehung sein.

Wie früh setzen die genetischen Schäden ein?

Bemerkenswert erscheint, dass eine Exposition gegenüber Colibactin-produzierenden Bakterien bereits im Kindesalter stattfinden kann. Schon wenige Mutationen können Jahrzehnte im Verborgenen bleiben, bevor sie sich als Erkrankung manifestieren. „Wenn ein Kind eine solche Mutation mit etwa zehn Jahren entwickelt, könnte sich Darmkrebs bereits in den Vierzigern ausbilden – deutlich früher als bisher angenommen“, erklärt Dr. Alexandrov.

Implikationen und aktuelle Forschungsansätze

Die Zahl junger Erwachsener mit Darmkrebs hat sich in vielen Ländern innerhalb von 20 Jahren verdoppelt. Klassische Risikofaktoren wie Übergewicht, Ernährung oder familiäre Vorbelastung fehlen bei diesen Patienten oft. Deshalb konzentriert sich die Forschung verstärkt auf bislang wenig erforschte Ursachen. Die Erforschung des Darmmikrobioms – an der Schnittstelle von Mikrobiologie, Onkologie und Genomik – gewinnt zunehmend an Bedeutung. Aktuelle Studien untersuchen:

  • Wie und wann Menschen mit Colibactin-produzierenden E. coli in Kontakt kommen
  • Welche Lebensstil-, Ernährungs- oder geografischen Faktoren diese Exposition beeinflussen
  • Ob gezielte Probiotika oder andere Interventionen zukünftig dazu beitragen können, schädliche Bakterien aus dem Darm zu entfernen und das Darmkrebsrisiko zu senken

Diese Fragestellungen sind Teil der internationalen Mutographs-Initiative – einem groß angelegten Forschungsprogramm innerhalb der Cancer Grand Challenges. Die Untersuchung umfasst auch andere Krebsarten, darunter Speiseröhren-, Nieren- sowie Kopf-Hals-Tumoren.

Zukünftige Herausforderungen und die Bedeutung kontinuierlicher Förderung

Trotz vielversprechender Fortschritte ist die Zukunft dieser Forschung ungewiss. Das internationale Netzwerk ist maßgeblich auf die finanzielle Unterstützung durch Institutionen wie die US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH) angewiesen. Doch mögliche Kürzungen könnten die Forschung verlangsamen und weltweite Fortschritte bei der Krebsprävention gefährden. Dr. Alexandrov betont: „Wenn Kürzungen bei den NIH diese wichtigen Studien einschränken, wird es deutlich schwerer, neue Erkenntnisse zur Krebsentstehung und -prävention weltweit zu gewinnen.“

Forschende hoffen, dass anhaltende Investitionen es ermöglichen, das Wissen über mikrobielle Karzinogene wie Colibactin in wirksame Strategien zur Früherkennung und Prävention umzusetzen. Die Daten deuten zudem darauf hin, dass viele Krebsarten viel früher entstehen, als bisher angenommen, was eine Neubewertung von Vorsorgeuntersuchungen und der Krankheitsentstehung insgesamt notwendig macht.

Fazit

Diese wegweisende Studie ist ein bedeutender Schritt zur Aufklärung der mikrobischen Einflüsse auf früh einsetzenden Darmkrebs. Die Verbindung von Colibactin-produzierenden Darmbakterien und spezifischen, krebsauslösenden DNA-Mutationen eröffnet neue Möglichkeiten für Früherkennung, Prävention und Intervention. Die Forschung verdeutlicht, wie entscheidend das menschliche Mikrobiom das Darmkrebsrisiko beeinflusst, und unterstreicht den dringenden Bedarf an internationaler Zusammenarbeit und nachhaltiger Finanzierung. Mit wachsendem Wissen darüber, wie mikroskopisch kleine Organismen Jahrzehnte unbemerkt Krankheiten auslösen können, vervielfachen sich auch die Chancen, durch frühes Handeln Leben zu retten.

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