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Die übersehene Verbindung zwischen Autoreifen und Mikroplastik
Jedes Jahr wechseln Millionen Autofahrer ihre abgenutzten Reifen, ohne sich der erheblichen Umweltfolgen bewusst zu sein. Denn bei der täglichen Nutzung und dem Abrieb auf der Fahrbahn setzen Autoreifen winzige Partikel frei, die überwiegend aus synthetischem Gummi bestehen. Diese sogenannten Reifenabriebpartikel repräsentieren heute schätzungsweise 45 % der Mikroplastik-Verschmutzung in terrestrischen und aquatischen Ökosystemen weltweit. Damit gehören Autoreifen zu den Hauptverursachern der globalen Mikroplastik-Problematik.
Wie Reifenabrieb-Mikroplastik in den Wasserkreislauf gelangt
Reifenabrieb ist ein kontinuierlicher Prozess, der durch die Reibung mit der Straßendecke verstärkt wird. Bei jeder Umdrehung werden Mikroplastikpartikel freigesetzt, die sich auf Straßen ansammeln, bis Regen sie ablöst und in die Umwelt spült. Über Niederschlagsabfluss gelangen diese Partikel von Straßen und Parkplätzen in Gräben, dann in Flüsse, Seen und letztlich in die Ozeane. Neue Studien zeigen, wie verbreitet das Problem ist: Umweltchemiker in Oxford, Mississippi, fanden über 30.000 Reifenabriebpartikel in nur 24 Litern Regenwasserabfluss – Tendenz steigend in städtischen Gebieten mit starkem Verkehr.

Umweltauswirkungen und biologische Folgen
Mikroplastik aus Reifen ist nicht nur ein physischer Schadstoff; es enthält auch zahlreiche chemische Zusatzstoffe aus der Reifenproduktion. Diese Chemikalien können aus dem Mikroplastik austreten und gelangen so in Gewässer und die Nahrungskette. Fische, Krabben und Austern nehmen Reifenabriebpartikel häufig auf und reichern schädliche Verbindungen an. Besorgniserregend ist, dass jüngste Forschungen spezifische Reifenchemikalien mit massenhaften Fischsterben in Verbindung bringen. So starben in Washington State über 50 % der rückkehrenden Coho-Lachse, weshalb insbesondere das toxische Abbauprodukt 6PPD-Q, das beim Kontakt des Reifenzusatzstoffs 6PPD mit der Umwelt entsteht, als Hauptursache gilt.
Reifenmikroplastik und Gesundheitsrisiken für den Menschen
Die Auswirkungen auf Tiere sind gravierend, doch auch Menschen sind betroffen. Reifen-Mikroplastik sowie deren chemische Bestandteile können besonders in verkehrsreichen Gebieten als Feinstaub in die Luft gelangen und eingeatmet werden. Eine chinesische Studie entdeckte 6PPD-Q sogar im Urin von Kindern und Erwachsenen. Auch wenn die Langzeitfolgen noch nicht abschließend erforscht sind, deuten erste Ergebnisse darauf hin, dass Reifenchemikalien wie 6PPD-Q potenziell schädliche Wirkungen auf wichtige Organe wie Leber, Nieren und Lunge haben können.
Lösungsansätze: Filter aus landwirtschaftlichen Reststoffen
Da laut Reifenherstellern bislang kein adäquater Ersatz für 6PPD existiert, suchen Wissenschaftler nach Wegen, Mikroplastikpartikel aus Reifenabrieb bereits vor dem Eintrag in Gewässer zu entfernen. Forschungsteams der University of Mississippi entwickeln kostengünstige Filter aus landwirtschaftlichen Abfallstoffen wie Holzschnitzel und Biokohle – ein poröses, kohlenstoffhaltiges Material, das durch Pyrolyse von Reishülsen bei Sauerstoffmangel entsteht.
Praktische Erfahrungen mit Biofiltration
Die Wissenschaftler installierten Filteranlagen, die eine Mischung aus Kiefernholz und Biokohle enthielten, an den Auslässen von Entwässerungssystemen. Während zweier Regenereignisse wurden die Konzentrationen von Reifen-Mikroplastik im Wasser vor und nach der Filterung gemessen. Die Resultate waren beeindruckend: Bis zu 90 % der Mikroplastikpartikel konnten entfernt werden. Die Wirksamkeit beruht auf den besonderen physikalischen und chemischen Eigenschaften von Biokohle, deren große Oberfläche und Porenstruktur Schadstoffe effektiv binden. Holzschnitzel tragen durch ihre organische Komplexität zusätzlich zur Adsorption und Bindung von Mikroplastik und Schadstoffen bei. Zum Vergleich: Sandfilter, wie sie in der Wasseraufbereitung üblich sind, waren deutlich weniger effektiv.

Herausforderungen, Perspektiven und Zukunftsausblick
Filter auf Biomasse-Basis bieten ökologische Vorteile: Sie sind kostengünstig, nachhaltig und durch die Nutzung landwirtschaftlicher Abfälle regional und breit einsetzbar. Diese Lösung lässt sich auf Gemeindeebene nutzen und ist insbesondere für ressourcenarme Regionen geeignet. Dennoch sind weitere Studien nötig, um die Langzeitstabilität der Filtermaterialien und mögliche Sekundärbelastungen, etwa durch unzureichend pyrolysierte Materialien, auszuschließen. Wie alle Filtersysteme müssen auch Biofilter regelmäßig gewartet und fachgerecht entsorgt werden, um Rücklösungen von Schadstoffen zu verhindern.
Fazit
Reifenabrieb stellt eine weitgehend unterschätzte, bedeutende Quelle von Mikroplastik dar, die Ökosysteme, Wildtiere und potenziell auch die menschliche Gesundheit bedroht. Während bessere Reifenzusatzstoffe noch auf sich warten lassen, eröffnen praxisnahe, skalierbare Ansätze wie Biofilter aus Biomasse echte Chancen zur Reduktion der Mikroplastikbelastung – und machen aus regionalen Pflanzenabfällen wirksame Mittel für den Gewässerschutz. Entscheidend sind ein konsequentes Monitoring, sektorübergreifende Kooperationen und breite Sensibilisierung, um das Problem der Reifenmikroplastik-Verschmutzung zu bewältigen und die Integrität von Umwelt und Gesundheit zu verbessern.
Quelle: theconversation
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