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Claudia Cardinale, die strahlende Schauspielerin, die das italienische und europäische Kino der 1960er Jahre und darüber hinaus maßgeblich prägte, ist im Alter von 87 Jahren gestorben. Die Schauspielerin — berühmt für ihre markante Schönheit, ihre rauchige Stimme und die Fähigkeit, mühelos zwischen Arthouse-Meisterwerken und populären Genreproduktionen zu wechseln — verstarb in Nemours bei Paris, teilte ihr Agent AFP mit. „Sie hinterlässt das Erbe einer freien und inspirierten Frau, sowohl als Persönlichkeit als auch als Künstlerin“, sagte Laurent Savry.
Von Tunis ins Zentrum des europäischen Films
Als Claude Joséphine Rose Cardinale in Tunis geboren, wuchs sie als Tochter sizilianischer Eltern in einem mehrsprachigen Umfeld auf — Französisch, tunesisches Arabisch und Sizilianisch prägten ihre frühe Sozialisation. Diese sprachliche und kulturelle Vielschichtigkeit formte eine kosmopolitische Leinwandpräsenz, die ihr später den Zugang zu verschiedenen nationalen Filmproduktionen ermöglichte. Auffällig ist, dass sie Italienisch erst erlernte, als sie bereits in italienischen Produktionen arbeitete — eine ungewöhnliche Wendung für eine Frau, die später so eng mit dem italienischen Kino assoziiert wurde.
Ihr Weg zum internationalen Film begann, nachdem sie bei einem Schönheitswettbewerb in Tunis entdeckt worden war, eine Entdeckung, die sie zum Filmfestival von Venedig führte. Dort öffneten sich ihr Türen, und sie bekam schnell Rollen in Jacques Baratier's Goha (1958) und Mario Monicellis großer Ensemblekomödie Diebe am Himmel (italienisch: I soliti ignoti / Big Deal on Madonna Street, 1958). Letzterer Film trug maßgeblich dazu bei, Cardinale als festen Bestandteil der Nachkriegsrenaissance des italienischen Films zu etablieren — einer Bewegung, die sich durch soziale Verantwortung, realistische Erzähllinien und starke Ensembleleistungen auszeichnete.
Diese frühe Phase zeigte bereits zwei ihrer Stärken: zum einen eine natürliche Bühnenpräsenz, die keiner übertriebenen Theatralik bedurfte; zum anderen die Fähigkeit, sich in sehr unterschiedliche filmische Umfelder einzufügen — vom neorealistischen Ton bis zur komischen Leichtigkeit populärer Besetzungen. Diese Kombination sollte ihr später ermöglichen, sowohl in auteurspezifischen Werken als auch in internationalen Hits erfolgreich zu sein.
Prägende Rollen und unvergessliche Kollaborationen
Cardinales Karriere zeichnet sich durch Breite und durch die außergewöhnliche Qualität ihrer Kollaborationen aus. Sie spielte in Luchino Viscontis Rocco und seine Brüder sowie in Der Leoparden (Il Gattopardo), wo ihre sinnliche Ausstrahlung und Lebendigkeit neben den eindrucksvollen Darbietungen von Burt Lancaster und Alain Delon nicht verblassten. In Viscontis Werk verbindet sich bei ihr ein physisches Präsenzpotenzial mit einer inneren Komplexität, die Charaktere mehrdimensional macht.
Federico Fellini besetzte sie als Claudia in 8½, in der sie als ätherische Muse auftritt, die über Marcello Mastroiannis traumhaften Zusammenbruch schwebt. Diese Rolle verhalf ihr zu dauerhafter Anerkennung im Kunstkino und verfestigte das Bild der Cardinale als Leinwandfigur, die zwischen Realität und Mythos vermittelt. Fellinis Filmsprache, die Traum, Erinnerung und Überhöhung verbindet, profitierte von Cardinales Fähigkeit, eine mysteriöse, fast archaische Präsenz zu schaffen, ohne dabei unnahbar zu werden.
Gleichzeitig glänzte sie in Genreproduktionen: als Prinzessin Dala in Blake Edwards’ Der rosarote Panther (1963) brachte sie Charme und Komik, während sie in Sergio Leones Spiel mir das Lied vom Tod (Once Upon a Time in the West) mit einer einzigen, eindringlichen Szene das emotionale Zentrum eines Opern-Westerns definierte. Leones Umgang mit Musik, Bildkomposition und geduldigen Einstellungen ermöglichte es Cardinale, mit minimalem Dialog maximale Wirkung zu erzielen — eine seltene Kunstfertigkeit, die ihre Fähigkeit unterstreicht, nonverbale Nuancen zu tragen.
Auch in amerikanischen und deutschsprachigen Produktionen hinterließ sie Eindruck: In Richard Brooks’ The Professionals (1966) und Werner Herzogs Fitzcarraldo (1982) zeigte sie, wie sie auch mit begrenzter Screen-Time emotionale Wahrhaftigkeit vermitteln konnte. Diese Vielseitigkeit — das nahtlose Wechseln zwischen Arthouse, Mainstream, europäischen und internationalen Produktionen — machte sie zu einer der wenigen Schauspielerinnen ihrer Generation, die sowohl künstlerische Glaubwürdigkeit als auch kommerziellen Wiedererkennungswert besaßen.

Vergleiche und historischer Kontext
Cardinales Berufslaufbahn lädt zu Vergleichen mit Zeitgenossinnen wie Sophia Loren, Gina Lollobrigida oder anderen Fellini-Ikonen ein, doch sie unterscheidet sich durch die Kombination aus roher Natürlichkeit und mythischem Glamour. In Leones Western etwa steht ihr Interpretationsansatz in einem spannungsreichen Gegensatz zur Mythologiebildung klassischer amerikanischer Western; hier überwiegt oft die Betonung von Innenleben, Tragik und moralischer Vielschichtigkeit gegenüber heroischen Einzelleistungen.
Wichtig ist auch, dass sie regelmäßig mit großen Regisseuren zusammenarbeitete — nicht nur mit Visconti und Fellini, sondern auch mit Marco Bellocchio und anderen bedeutenden italienischen Autorenfilmer*innen. Dies ermöglichte ihr, in filmischen Ökonomien zu arbeiten, die sowohl national als auch transnational agierten und so ihre Attraktivität über Frankreich, Italien, Spanien bis nach Hollywood ausdehnten.
Ihre Karriere spiegelt zugleich die Veränderungen des europäischen Kinos wider: von den nüchternen, sozialbewussten Tönen des Neorealismus über das psychologisch dichter instrumentierte Autorenkino der 1960er Jahre bis hin zur kommerziellen Hybridität der internationalen Koproduktionen. Cardinale wurde dadurch zu einem Knotenpunkt, über den sich unterschiedliche filmische Traditionen vernetzten.
Privates, Widerstandskraft und späte Arbeiten
Abseits der Kamera war Cardinales Leben oft komplex und mit Schmerz verbunden. In Interviews sprach sie offen über persönliche Traumata und die Kompromisse, die eine öffentliche Laufbahn mit sich bringt — etwa die Entscheidung, ihren Sohn Patrick als Bruder auszugeben, um gesellschaftlichen Skandalen entgegenzuwirken. Diese Episode reflektiert das Spannungsfeld zwischen Privatleben und öffentlicher Persona, das viele Stars jener Epoche prägte.
Sie war zeitweilig mit dem Produzenten Franco Cristaldi verheiratet, der anfangs ihre Karriere betreute und förderte. Trotz Rückschlägen und der weit verbreiteten Altersdiskriminierung im Film, gegen die sie sich immer wieder öffentlich äußerte, arbeitete Cardinale bis in ihre Siebziger und Achtziger aktiv weiter. Ihre Rückkehr nach Tunesien für The String (2010) war nicht nur eine berufliche Station, sondern zeigte auch eine persönliche Rückverankerung; in Fernando Truebas The Artist and the Model (2012) und Effie Gray (2014) bewies sie, dass sie auch in späten Phasen ihrer Karriere eine unverwechselbare Leinwandpräsenz bewahren konnte.
Filmhistorikerinnen und -historiker betonen ihre doppelte Qualität: einerseits die gelebte Authentizität, andererseits eine artifizielle Mythik, die ihre Charaktere zu archetypischen Gestalten werden ließ. „Cardinales Leinwandpräsenz war eine Brücke zwischen dem italienischen Neorealismus nach dem Krieg und dem Selbstbewusstsein des europäischen Genrekinos der 1960er Jahre“, erklärt Dr. Elena Varga, eine renommierte Filmwissenschaftlerin. „Ihre Rollen vereinen gelebte Wahrhaftigkeit mit einer mythologischen Dimension — eine seltene Kombination, die Regisseure schätzten.“
Als geehrte Künstlerin erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen: unter anderem den Ehren-Golden-Lion in Venedig (1993), einen Ehren-Golden-Bear in Berlin (2002) sowie mehrere David di Donatello-Preise über die Jahrzehnte hinweg für herausragende Leistungen, zum Beispiel für Auftritte in Filmen wie Das Mädchen mit dem Koffer (Girl with a Suitcase) und Ein Mädchen in Australien (A Girl in Australia). Diese Ehrungen würdigen sowohl die schauspielerische Bandbreite als auch den kulturellen Einfluss ihrer Arbeiten.
Cardinale hinterlässt zwei Kinder und ein umfangreiches Filmwerk, das nach wie vor als Grundstein für Liebhaberinnen und Liebhaber des europäischen Films gilt. Generationen von Zuschauerinnen und Zuschauern wie auch Filmschaffenden entdecken ihre Rollen immer wieder neu und schätzen die emotionale Ehrlichkeit und das filmische Magnetfeld, das ihre Auftritte nach wie vor ausstrahlen. Ihre Arbeit bietet einen wertvollen Zugang zu filmhistorischen Übergangsphasen und zu Fragen der weiblichen Darstellung auf der Leinwand.
Egal, ob man sie als Fellinis rätselhafte Muse oder als Leones zutiefst verletzte Frau betrachtet — Claudia Cardinales Präsenz auf der Leinwand war unverkennbar. Sie erinnerte daran, dass Kino die Macht besitzt, private Trauer in universelle Erfahrung zu verwandeln und so kollektive Resonanzräume zu schaffen. Ihr künstlerisches Erbe bleibt eine Einladung, die Schnittstellen zwischen Identität, Mythos und Erzählform weiter zu erforschen.
Quelle: variety
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