Leise Revolution: Audis Mild‑Hybrid, der wirklich fährt

Leise Revolution: Audis Mild‑Hybrid, der wirklich fährt

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Leise Revolution: Audis Mild‑Hybrid, der wirklich fährt

Audi hat still und leise etwas vorgestellt, das unsere Sicht auf Mild‑Hybride verändert. Der A5 TDI 2025 und die nur in Europa angebotenen S5/S5 Avant‑Modelle erhielten eine neue 48‑Volt‑Architektur, die Audi MHEV Plus nennt — und dabei handelt es sich nicht bloß um ein weiteres Drehmoment‑Hilfsgerät. Im Gegensatz zu konventionellen Mild‑Hybrid‑Systemen, die nur den Motor unterstützen, kann dieses System das Fahrzeug bei niedrigen Geschwindigkeiten tatsächlich antreiben und so ein kriechendes, beinahe lautloses Fahrverhalten im Stadtverkehr oder beim Einparken ermöglichen.

Mild‑Hybride galten lange als unspektakuläre Technik: etwas mehr Schub, ein sanfteres Start‑Stopp, marginale Kraftstoffersparnis. Deshalb haben Industrie und viele Käufer sie im Zeitalter der vollständigen Elektrifizierung oftmals übersehen. Mit MHEV Plus denkt Audi die Grundkonfiguration eines Mild‑Hybrids neu und holt aus einer 48‑Volt‑Lösung Fähigkeiten heraus, die viele so nicht erwartet hätten.

Worin liegt der Unterschied bei MHEV Plus?

Im Mittelpunkt von Audis Upgrade steht der PTG — der Powertrain‑Generator. Dieser kompakte E‑Motor sitzt auf der Getriebeabtriebswelle und kann bis zu 18 kW (24 PS) direkt an die Räder liefern. Der entscheidende mechanische Unterschied: Der PTG sitzt nach der Kupplung und dem Getriebe, also downstream, wodurch er mit dem Antriebsstrang verbunden bleibt, selbst wenn der Verbrennungsmotor getrennt oder abgeschaltet ist. Dieser Aufbau verändert das Spiel grundlegend.

Die meisten Mild‑Hybrid‑Systeme sitzen hingegen upstream, am Kurbelgehäuse oder über einen riemengetriebenen Starter‑Generator. Sobald die Kupplung geöffnet ist oder der Motor aus ist, sind diese Systeme mechanisch vom Antriebsstrang getrennt und können das Fahrzeug nicht allein antreiben. Praktisch bedeutet das: Andere 48‑Volt‑Systeme liefern zwar Drehmomentunterstützung und Rekuperation, können aber nicht ausschließlich mit elektrischer Energie das Fahrzeug bewegen.

Audis Ansatz geht einen anderen Weg: Der Elektromotor wird mechanisch direkt mit den Rädern verbunden statt mit der Kurbelwelle. Das Ergebnis ist ein seltenes und praktisch nützliches Verhalten für einen Mild‑Hybrid — die Fähigkeit zum „Kriechen“ und zu langsamen Manövern rein auf gespeicherter elektrischer Energie.

Praxisnutzen: Was man hinter dem Lenkrad spürt

Bei niedrigen Geschwindigkeiten, etwa im Stop‑and‑Go‑Stadtverkehr oder beim engen Rangieren, kann MHEV Plus die Kontrolle übernehmen. Das Fahrzeug kann vorwärtskriechen und abgebremst werden, während der Motor entkoppelt bleibt — das vermeidet Anlaufgeräusche, Vibrationen oder Kupplungsruck. Beim Verzögern holt die Rekuperation bis zu 24 kW zurück, wodurch die kleine Hybridbatterie geladen wird und der PTG für den nächsten Manöver bereitsteht.

Ich habe das im A5 Avant 2025 mit dem 2,0‑Liter‑TDI erlebt. In der Nähe des Stillstands schaltete sich der Motor ab — und beim langsamen Vorwärtskommen war eine eigenartige, EV‑ähnliche Stille bemerkbar. Nicht dieses ruppige Ein‑und‑Ausschalten typischer Start‑Stopp‑Systeme: eher eine sanfte, nahezu unhörbare Bewegung, die vom Powertrain‑Generator ausgeführt wurde. Diese Ruhe verändert das Fahrerlebnis deutlich mehr, als der Begriff ‹mild hybrid› vermuten lässt.

Wichtige Kennzahlen

  • Elektrischer Beitrag: bis zu 18 kW (24 PS)
  • Rekuperation (Bremsenergierückgewinnung): bis zu 24 kW beim Verzögern
  • Spannungsarchitektur: 48‑Volt MHEV Plus
  • Verfügbare Modelle (anfänglich): A5 TDI 2025, Euro‑Spezifikation S5 und S5 Avant, ausgewählte Q5‑Varianten

Diese Zahlen zeigen deutlich: Es handelt sich nicht um einen Ersatz für einen Plug‑in‑Hybrid oder ein Elektrofahrzeug. Der PTG ist für Sekunden elektrischen Fahrens bei niedriger Geschwindigkeit ausgelegt — genug, um im Verkehr zu kriechen oder geräuscharm zu manövrieren, aber nicht für längere rein elektrische Fahrstrecken.

Warum Audi sich zurückhaltend äußert

In den Pressetexten erwähnt Audi den PTG und spricht sogar von ‹teilweise elektrischem Fahren›, doch die Tragweite ist leicht zu übersehen. Der Ton der Mitteilung wirkt fast zurückhaltend: Das Unternehmen ist sorgfältig darin, keine zu hohen Erwartungen zu wecken. Das ist kein Versehen, sondern strategisch.

Würde Audi das Mild‑Hybrid‑System lautstark als ‹elektrisches Fahr‑Feature› bewerben, wäre die nächste Frage zwangsläufig: Wie weit, wie schnell? Antworten wie ‹einige Sekunden› oder ‹nur wenige Meter› machen keine reißerischen Schlagzeilen. Indem Audi die Technologie eher als unterstützende Funktion denn als vollwertigen Elektromodus positioniert, werden Erwartungen gesteuert und Käufer dennoch mit einer echten, nützlichen Eigenschaft ausgestattet.

Es geht zudem um Produktlinien‑Klarheit. Audi verkauft bereits vollelektrische Modelle unter dem Namen e‑tron und Plug‑in‑Hybride als TFSI e oder e‑hybrid quattro. Eine zusätzliche Kategorie, die sich zwischen Mild‑Hybrid und PHEV einordnet, könnte Kunden verwirren — besonders wenn es um Emissionen, Reichweite und Förderberechtigungen geht.

Wie sich das im Vergleich zu Mercedes und BMW macht

Auch Wettbewerber nutzen 48‑Volt‑Technik: Mercedes nennt das beispielsweise EQ Boost, BMW hat in einigen 5er‑Motoren eine eigene 48‑V‑Architektur verbaut. Diese Systeme liefern Drehmoment‑Füllung, verbessern das Start‑Stopp‑Verhalten und steigern die Effizienz moderat. Entscheidend ist: Sie können das Fahrzeug nicht selbstständig bewegen, wenn der Verbrenner aus ist — denn ihre E‑Maschinen sitzen stromaufwärts der Kupplung.

Deshalb ist Audis MHEV Plus ein technisches Unterscheidungsmerkmal. Es übertrifft Plug‑in‑Hybride oder BEVs nicht in ihrer Reichweite oder Leistung, bietet aber eine spürbare Verbesserung von Laufkultur und Effizienz bei klassischen Verbrennern. Für Fahrer, die viel in der Stadt unterwegs sind, summieren sich kleine Kraftstoff‑ und Emissionsvorteile sowie das Fehlen von Leerlaufgeräuschen zu einem besseren Nutzungserlebnis.

Keine Gefahr für EVs, aber eine klügere ICE‑Option

MHEV Plus wird die Verbreitung von Elektroautos nicht bremsen und Plug‑in‑Hybride nicht ersetzen. Die elektrische Funktionsweise ist für sehr niedrige Geschwindigkeiten und für Zeiträume in Sekunden gedacht, nicht für Strecken in Kilometern. Dennoch, solange Förderprogramme, Ladeinfrastruktur und Gesamtkosten der Elektromobilität weltweit unterschiedlich ausfallen, ist es wirtschaftlich sinnvoll, die Attraktivität und Effizienz von Verbrennern zu erhöhen. Audi sichert sich damit einen Wettbewerbsvorteil, ohne Kosten und Komplexität eines vollwertigen PHEV‑Systems tragen zu müssen.

Das transatlantische Problem: Warum die USA womöglich leer ausgehen

Eine überraschende Wendung: Während die europäischen A5 TDI‑ und S5‑Modelle mit MHEV Plus ausgestattet werden, fehlt die Technik bei US‑S5‑Modellen. In den Vereinigten Staaten behält die S5‑Baureihe den V6‑TFSI ohne 48‑Volt‑Mild‑Hybridtechnik — nicht einmal die ältere Generation, die in einigen europäischen A5 TFSI‑Versionen zu finden ist.

Das bedeutet für US‑Käufer den Verzicht auf eine Effizienz‑ und Komfortfunktion, die in Audis aktuellem europäischem Portfolio verfügbar ist. Es ist ironisch, dass eine der interessantesten Mild‑Hybrid‑Innovationen von Audi in dessen zweitgrößtem Absatzmarkt fast unsichtbar bleibt. Die Gründe liegen wahrscheinlich in Packaging‑Anforderungen, Zertifizierungsprozessen oder unterschiedlichen Emissionsnormen — dennoch ist es eine verpasste Chance für Kunden, die leisere, sauberere Niedriggeschwindigkeits‑Manöver schätzen würden.

Eigentum und Marktpositionierung

Aus Käuferperspektive verändert MHEV Plus die Entscheidungsrechnung in kleinen, aber relevanten Punkten:

  • Geringerer Kraftstoffverbrauch im Stop‑and‑Go‑Verkehr und bei Parkmanövern
  • Sanfteres Start‑Stopp ohne spürbaren Motor‑Kick beim Rollenanfahren
  • Leicht verbesserte lokale Emissionswerte im Stadtbetrieb
  • Keine Notwendigkeit, in die Komplexität eines PHEV zu investieren, wenn die elektrischen Fahrbedürfnisse überwiegend aus kurzen Manövern bestehen

Für Fuhrparks oder Pendler, die viel Zeit im urbanen Stau verbringen, führen diese Vorteile zu niedrigeren Betriebskosten und einem angenehmeren Fahrerlebnis. Audi positioniert MHEV Plus nicht als EV‑Ersatz, sondern als Feinschliff und Effizienzmaßnahme für Verbrenner — eine ehrliche und pragmatische Herangehensweise.

Wie sich das Fahren anfühlt

Wer bereits einen konventionellen Mild‑Hybrid gefahren ist, wird einen Unterschied bemerken. Mit MHEV Plus erleben Sie Momente, in denen sich das Auto wie ein sehr kleines Elektrofahrzeug verhält: sanftes Vorwärtskriechen ohne Motorvibration, Rollen ohne Motor‑Mitnahme und leise, schnelle Anfahrten, wenn mehr Beschleunigung gefordert ist.

Auf Landstraßen oder bei geringer Last kann das Getriebe entkoppelt und der ICE vollständig abgeschaltet werden, während der PTG die Bewegungsenergie erhält. Solches Verhalten reduziert den Verbrauch und trägt zu einer kultivierteren Fahrweise im Alltag bei.

Eine Anmerkung eines Journalisten

Als ich erstmals den A5 Avant TDI mit MHEV Plus probierte, hatten Audis Presseunterlagen mich nicht umfassend auf diese Erfahrung vorbereitet. Ich erinnere mich, wie irritierend die Stille beim Wegkriechen aus einer Kreuzung war. Der Motor sprang zwar wieder an, aber nicht mit dem sofortigen Ruck, den man von anderen Autos kennt — stattdessen gab es einen kurzen Moment der fast unmerklichen Bewegung. Solche feinen Momente summieren sich und prägen das Gesamterlebnis.

Begrenzungen und die praktische Realität

Realistisch betrachtet bleibt MHEV Plus kein PHEV oder BEV: Es bietet keine anhaltende elektrische Reichweite, keine hochgeschwindigkeits‑elektrische Beschleunigung und keine Möglichkeit, an der Steckdose zu laden. Die elektrischen Fahrfunktionen sind für kurze, langsame Szenarien konzipiert. Die Formulierung von Audi — ‹teilweise elektrisches Fahren› — trifft den Kern, auch wenn sie zurückhaltend wirkt.

Dennoch führt die Fähigkeit, das Fahrzeug zu bewegen und im Alltag Energie zurückzugewinnen, zu spürbaren Verbrauchs‑ und Emissionsvorteilen, ohne das Gewicht, die Batteriemasse oder den Preisaufwand eines Plug‑in‑Systems. In Märkten, in denen PHEVs höher besteuert werden oder die Infrastruktur hinterherhinkt, kann diese Balance wichtiger sein als die reine elektrische Reichweite.

Fazit: Kleine Änderung, große Wirkung

Audis MHEV Plus ist eine elegante Neugestaltung der Mild‑Hybrid‑Architektur. Durch die Verlagerung des Elektromotors auf die Getriebeabtriebswelle und die mechanische Verbindung mit den Rädern hat Audi ein praktisches Verhalten freigeschaltet — das Kriechen und leise Fahren bei niedriger Geschwindigkeit —, das die meisten Mild‑Hybride nicht erreichen.

Dies ist kein spektakulärer EV‑Durchbruch und ersetzt keine Plug‑in‑Elektrifizierung. Es ist jedoch eine kluge Optimierung für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor: bessere Laufkultur, leicht geringerer Verbrauch und eine überzeugendere Annäherung an elektrifiziertes Fahren dort, wo es im Alltag am wichtigsten ist — im Stadtverkehr und beim Einparken.

Für Käufer und Enthusiasten, die Wert auf reale Nutzbarkeit und Effizienz legen, ist MHEV Plus eine Innovation, die man beachten sollte. Und in Märkten, in denen Audi darauf verzichtet, wird das Fehlen dieser Funktion vermutlich von Fahrern bemerkt werden, die einfach nur ein ruhigeres, saubereres Fahrerlebnis möchten, ohne auf PHEV oder BEV aufzurüsten.

"Es ist ein stiller Triumph", schrieb ich nach meiner ersten Fahrt — und diese Beschreibung trifft weiterhin zu. Audi hat diese Funktion nicht groß herausposaunt, aber die Veränderung ist spürbar: ein Mild‑Hybrid, der sich bei Bedarf tatsächlich ein wenig wie ein Elektroauto verhält.

Quelle: autoevolution

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