The Conjuring: Last Rites – Analyse eines Franchises

Eine ausführliche deutsche Analyse von «The Conjuring: Last Rites»: Wie James Wans Erzähldesign das Franchise prägte, warum Michael Chaves hier technisch punktet, aber emotional schwächer wirkt, und welches Fazit sich daraus ergibt.

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The Conjuring: Last Rites – Analyse eines Franchises

7 Minuten

Eine Welt aus Drama und Menschlichkeit

Im Gegensatz zu den meisten kommerziellen Horrorfilmen, die sich fast ausschließlich auf Jump-Scares verlassen, stellte das The Conjuring-Franchise von Anfang an das menschliche Drama in den Mittelpunkt. James Wan erkannte sehr früh, dass Angst nur dann ihre volle Wirkung entfaltet, wenn das Publikum eine emotionale Bindung zu den Figuren aufbaut und sich für ihr Schicksal interessiert. Dieser Grundsatz unterscheidet gute Geistergeschichten von bloßen Schreckensshows.

Wans Erzählweise verband klassische Horror‑Elemente mit einer spürbaren emotionalen Tiefe. Das Ergebnis war ein Universum, das lebendig wirkte – getragen von der sehr persönlichen Beziehung zwischen den paranormalen Ermittlern Ed und Lorraine Warren. Ihre Liebesgeschichte gab The Conjuring eine Seele; jenseits von Geistern und Dämonen war die Saga stets auch eine Erzählung über Glauben, Hingabe und die Kraft der Liebe gegen das Dunkel.

Wans Ansatz war einfach, aber wirkungsvoll: Zuerst die emotionalen Knochen aufbauen, dann die Schreckmomente darauf setzen. Genau deshalb funktionierten die ursprünglichen Filme so gut – wir sahen nicht nur Spukereignisse, sondern Menschen, die füreinander kämpften, wenn das Böse an die Tür klopfte. Diese Mischung aus Charakterarbeit, Familiendynamik und religiöser Symbolik ist ein wiederkehrendes Motiv im Franchise und ein wichtiger Faktor für seine kulturelle Resonanz.

Furcht durch Erzählung, nicht durch Krach

Im The Conjuring-Kosmos entsteht Furcht durch die Kraft der erzählten Geschichte, nicht ausschließlich durch billige Schockeffekte. Unheimliches Sounddesign und gelegentliche Jump-Scares sind vorhanden, doch sie dienen der Handlung und ersetzen nicht das narrative Fundament. Gute Spannung entsteht aus den Entscheidungen der Figuren, ihren Verlustängsten und der Frage nach moralischer Verantwortung.

Der Schrecken wächst organisch aus den emotionalen Entwicklungen der Charaktere. Das Subgenre des „haunted house“ fühlte sich unter Wans Regie wieder frisch an, weil er eine archaische, universelle Angst anzapfte – die Furcht, die eigene Familie, die eigene Identität oder den Glauben zu verlieren. Solche Themen bieten reichlich Stoff für nachhaltige atmosphärische Beklemmung.

Diese Philosophie scheint in Last Rites jedoch an Kraft verloren zu haben. Das Ergebnis wirkt an mehreren Stellen, als stünde die Mechanik des Schreckenmachens vor der eigentlichen erzählerischen Arbeit.

Michael Chaves’ Kampf mit der Formel

James Wan agiert dieses Mal lediglich als Produzent und übergab die Regie an Michael Chaves, der bereits für The Curse of La Llorona und The Conjuring: The Devil Made Me Do It bekannt ist. Chaves liefert erneut einen technisch routinierten Film ab, dem es jedoch an emotionaler Substanz mangelt. Technische Kompetenz – Kameraführung, Lichtgestaltung, Schnitt – reicht allein nicht aus, um die psychologische Wucht eines echten Horrorerlebnisses zu erzeugen.

Last Rites vermisst die langsame, aufbauende Spannung, die den ersten Conjuring so unvergesslich machte. Kurz gesagt: der Film ist nicht wirklich gruselig. Wo Wan Atmosphäre und Figurenzeichnung nutzte, verlässt sich Chaves häufig auf vorhersehbare Setups und visuelle Recycling-Muster. Die Spannung verpufft oft noch vor dem eigentlichen Höhepunkt, was die emotionale Investition der Zuschauer unterminiert.

Es wird deutlich, dass Chaves versucht, Wans markante Stilmittel zu imitieren – lange Einstellungen, eine schleichende Kameraführung, religiöse Ikonographie – doch es fehlt an der nötigen Präzision und dem emotionalen Gewicht, das diese Techniken wirklich legitimiert. Das Resultat wirkt wie ein Echo früherer Brillanz, das die Quelle nicht ganz erreicht.

Handlung: Die Rückkehr des Warren‑Erbes

Im Zentrum der Handlung steht Judy Warren, die Tochter von Ed und Lorraine. Der Film beginnt mit einem Rückblick Jahrzehnte zuvor, in dem eine dämonische Erscheinung versucht, Judy Lorraine bereits bei der Geburt zu entreißen. Von dort springt die Erzählung in die 1980er Jahre, in denen Judy erwachsen ist und ihre Eltern kurz vor dem Ruhestand stehen. Diese Zeitsprünge sollen die familiäre Tragweite und die historische Tiefe des Falls betonen.

Parallel dazu entfaltet sich die Geschichte einer Familie, die von einem verfluchten Spiegel heimgesucht wird – demselben Artefakt, das einst Judys Leben bedrohte. Als ein enger Freund und Priester unter mysteriösen Umständen stirbt, werden die Warrens für eine letzte Untersuchung zurückgezogen. Das Motiv des verfluchten Objekts verbindet klassische Horror-Icons mit persönlicher Dramatik, doch in Last Rites bleibt die Bedrohung teilweise blass.

Alles wirkt vertraut: Besessenheitsszenen, Exorzismus‑Rituale, die emotionalen Höhepunkte. Doch diesmal fehlt das wirkliche Gefühl von Gefahr. Der Dämon besitzt nicht die gleiche Präsenz wie in früheren Filmen, Wendungen sind vorhersehbar und die emotionale Intensität ist abgeschwächt. Für Zuschauer, die Tiefe in Mythologie und Figurenentwicklung erwarten, fallen diese Schwächen besonders ins Gewicht.

Ein Franchise, das von Erinnerung lebt

Falls Last Rites die Aufmerksamkeit des Publikums hält, dann größtenteils wegen der emotionalen Basis, die James Wan Jahre zuvor geschaffen hat. Die Chemie zwischen Patrick Wilson und Vera Farmiga ist weiterhin spürbar, und die familiäre Dynamik vermittelt noch Wärme und Vertrautheit. Solche Leistungen halten einen Film auch dann über Wasser, wenn die Inszenierung schwächelt.

Abgesehen von nostalgischen Momenten bietet der Film jedoch wenig wirklich Neues. Er erweitert die Conjuring-Mythologie nicht substanziell, führt keine bleibenden Antagonisten ein und verweigert sich kühneren erzählerischen Entscheidungen. Positiv bleibt, dass er die Essenz der Reihe nicht beschädigt; er trägt die Marke eher weiter, statt sie zu transformieren.

Am Ende ist The Conjuring: Last Rites weder ein Desaster noch ein Meisterwerk – vielmehr eine schwächere Reverenz an eine einst revolutionäre Horrorserie. Sollte dies tatsächlich der letzte Akt sein, schließt das Kapitel leise und ohne großen Nachhall, anstatt mit einem eindrucksvollen Finale aufzuwarten. Für Fans der Serie bleibt es ein Ergänzungsstück, kein würdiger Schlusspunkt.

Fazit

Wertung: 6/10
Pro: Solide Darstellungen, vertrauter emotionaler Kern, stimmungsvolle Kinematographie und respektvolle Anleihen an religiöse Symbolik
Contra: fehlende Spannung, recycelte Schreckeffekte, schwache Regiearbeit und vorhersehbare Storybeats

James Wans Vermächtnis bleibt unbestritten, doch Last Rites zeigt deutlich, dass die Seele von The Conjuring maßgeblich mit seinem Stil verknüpft ist – und ohne seine führende Hand verblasst ein Großteil der unmittelbaren Bedrohung. Technisch sauber, darstellerisch robust, aber dramaturgisch verhalten bleibt der Film in der oberen Mittelklasse des modernen Horrors.

Quelle: smarti

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