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Einleitung: Die Geheimnisse der Sauropoden-Ernährung entschlüsselt
Seit über einem Jahrhundert faszinieren Sauropoden – die berühmten langhalsigen Dinosaurier wie Brontosaurus und Brachiosaurus – sowohl Wissenschaftler als auch die breite Öffentlichkeit. Paläontologen gingen lange Zeit davon aus, dass diese urzeitlichen Giganten reine Pflanzenfresser waren, doch eindeutige Beweise für ihre Ernährung fehlten bisher. Das änderte sich mit einem sensationellen Fund im australischen Outback: Im Fossil einer Sauropodin namens "Judy" wurden ihre letzten Mahlzeiten im Bauchraum konserviert entdeckt. Diese Entdeckung ist nicht nur die erste ihrer Art in Australien, sondern liefert auch einzigartige Einblicke in das Fressverhalten und die Ernährungsanpassungen der größten Landtiere der Erdgeschichte.
Hintergrund: Entwicklung und Anatomie der Sauropoden
Während des Jura und der Kreidezeit dominierten Sauropoden als eindrucksvolle Pflanzenfresser die prähistorischen Ökosysteme und prägten über 130 Millionen Jahre hinweg die Landschaften der Urkontinente. Obwohl sie als riesige, vierbeinige Pflanzenfresser mit langen Hälsen und vergleichsweise einfachen Zähnen galten, unterschieden sie sich in wichtigen anatomischen Details. Unterschiede bei Körperbau, Halsflexibilität, Schnauzenform und Zahnstruktur bestimmten, auf welche Pflanzenarten sie zugreifen konnten und wie effizient sie diese fraßen. Einige Arten besaßen schmale, quadratische Schnauzen und schnell erneuerbare Zähne zum Abweiden weicher Pflanzen, während andere robuste Kiefer und stabilere Zähne, die weiter hinten im Maul saßen, hatten. Die Länge des Halses – bei manchen Arten bis zu 15 Meter – beeinflusste maßgeblich die Fresshöhe und damit die Ernährungsstrategie. Um ihre gewaltigen Körpermassen von bis zu 70 Tonnen zu erhalten, mussten Sauropoden täglich enorme Mengen an Pflanzenmaterial aufnehmen.

Die bahnbrechende Entdeckung von "Judy"
Bislang stützte sich das Bild vom Sauropoden als Pflanzenfresser vor allem auf indirekte Beweise: stumpfe Zähne, die für Beutefang nicht geeignet waren, ein im Vergleich zu Raubsauriern kleineres Gehirn und fossile Fußspuren, die auf eine eher langsame Fortbewegung hindeuteten. Erst die Ausgrabung von "Judy" im Jahr 2017 durch das Australian Age of Dinosaurs Museum im nordaustralischen Winton brachte direkte Hinweise ans Licht. Judy, ein 95 Millionen Jahre altes Sauropoden-Exemplar, ist das vollständigste bisher in Australien gefundene Fossil dieser Dinosauriergruppe – und das einzige, bei dem versteinerte Haut erhalten blieb.
Bei der Präparation von Judys Fossil entdeckten Wissenschaftler eine zwei Quadratmeter große, pflanzenreiche Gesteinsschicht im Bauchbereich, etwa zehn Zentimeter dick. Die Tatsache, dass dieser Fund innerhalb der fossilisierten Haut lag, bestätigte, dass es sich um Judys Mageninhalt handelte – ein extrem seltener Einblick in die letzte Mahlzeit eines Sauropoden.

Fortschrittliche wissenschaftliche Analysen
Für die Untersuchung dieses außergewöhnlichen Fossils wurden modernste Röntgen- und Neutronentechnologien an führenden australischen Forschungseinrichtungen eingesetzt, etwa im Synchrotron Melbourne, bei der CSIRO in Perth und bei ANSTO in Sydney. Mit diesen zerstörungsfreien Bildgebungsverfahren konnten die Forscher die Strukturen und Formen der Pflanzenreste sichtbar machen, ohne das Fossil zu beschädigen. Darüber hinaus ermöglichten gezielte Probenahmen eine chemische und mineralogische Analyse. Die Resultate zeigten, dass mikrobielle Aktivität in einer sauren Umgebung – vermutlich verursacht durch Verdauungssäfte – die Pflanzenteile nach Judys Tod fossilisiert hatte. Die Mineralien, die das weiche Gewebe ersetzten, stammten teilweise aus dem zersetzten Körper des Dinosauriers selbst.
Zentrale Erkenntnisse: Judys Nahrung und die Ernährungsweise der Sauropoden
Die Analyse von Judys Mageninhalt bestätigte mehrere bisherige Annahmen und lieferte zugleich neue Erkenntnisse zur Ökologie der Sauropoden. Wissenschaftler identifizierten eine ausgesprochen vielfältige pflanzliche Nahrung: Brakteen von urzeitlichen Nadelbäumen (verwandt mit heutigen Araukarien und Mammutbäumen), Samenhülsen ausgestorbener Samenfarne sowie Blätter von frühen Angiospermen (Blütenpflanzen), die damals am Anfang ihrer Evolution standen. Diese Vielfalt zeigt, dass Sauropoden sowohl in verschiedene Höhen als auch in unterschiedliche Bereiche auf Nahrungssuche gingen.
Das Vorhandensein von Nadelbaum-Brakteen, die in großer Höhe wuchsen, bestätigt frühere Theorien, dass Diamantinasaurus (Judys Art) dank ihres langen Halses Blätter aus oberen Baumregionen abweidete. Blütenpflanzen hingegen, die zu dieser Zeit meist als niedrige Sträucher oder Bodendecker wuchsen, deuten darauf hin, dass Judy auch nah am Boden nach Nahrung suchte. Besonders bemerkenswert: Judy war beim Tod noch nicht ausgewachsen. Dies lässt vermuten, dass sich das Fressverhalten und die bevorzugte Nahrung in verschiedenen Lebensphasen verändern konnten und junge Sauropoden häufiger niedrig wachsende Pflanzen fraßen. Insgesamt bestätigen diese Funde aber, dass Sauropoden ihr ganzes Leben lang Vegetarier waren und große Mengen pflanzlicher Kost benötigten.
Interessanterweise zeigen die Fossilfunde, dass Sauropoden ihre Nahrung kaum kauten. Stattdessen setzten sie – ähnlich wie heutige Wiederkäuer – auf mikrobielle Zersetzung und Gärung im umfangreichen Verdauungstrakt, um faserreiche Pflanzen effizient aufzuschließen.

Bedeutung und Ausblick
Die konservierten Weichteile und der direkte Nachweis von Mageninhalt bei Judy eröffnen neue Möglichkeiten für die Erforschung der Dinosaurier-Ernährung und Ökologie. Solche Funde sind zwar äußerst selten, ermöglichen jedoch äußerst präzise Rückschlüsse auf das Nahrungsnetz der Urzeit und die Lebensweise der Dinosaurier. Die hier eingesetzten Methoden – von digitaler Bildgebung über chemische Analysen bis hin zum anatomischen Vergleich – setzen einen neuen Standard für die Paläontologie weltweit.
Abgesehen vom besseren Verständnis der Sauropoden-Biologie liefern diese Studien wichtige Informationen für die Debatte über Stoffwechsel, Wachstum, Wanderungsverhalten und die Wechselbeziehungen zwischen Dinosauriern und damals neu entstehenden Pflanzengruppen während des Erdmittelalters. Mit neuen Entdeckungen an Fundorten wie dem Australian Age of Dinosaurs Museum wächst unser Wissen darüber, wie die größten Pflanzenfresser der Weltgeschichte so viele Millionen Jahre erfolgreich überleben konnten.
Heute sind Judys vollständig erhaltene Knochen, Haut und Mageninhalt im Australian Age of Dinosaurs Museum in Winton öffentlich ausgestellt. Dieses außergewöhnliche Exponat bietet nicht nur einen faszinierenden Einblick in eine längst vergangene Welt, sondern steht auch symbolisch für den unermüdlichen Forschergeist, die verborgenen Geschichten der Naturgeschichte zu entdecken.

Fazit
Der Fund von Judys fossilierter letzter Mahlzeit ist bislang der direkteste Beleg für die Ernährungsweise und Anpassungsfähigkeit der Sauropoden. Mithilfe modernster Technologien und klassischer Feldarbeit konnten Wissenschaftler zeigen, dass diese urzeitlichen Giganten eine äußerst vielseitige Ernährungsstrategie verfolgten: Sie fraßen unterschiedliche Pflanzenarten in verschiedenen Höhenlagen und setzten für die Verdauung auf Mikroorganismen. Solche Studien bereichern unser Wissen über Dinosaurier und liefern wertvolle Daten zur Rekonstruktion der prähistorischen Ökosysteme. Mit künftigen Entdeckungen wird unser Bild von den größten Pflanzenfressern der Erdgeschichte weiter wachsen – und dabei Wissenschaft wie Öffentlichkeit gleichermaßen begeistern.
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