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Das Rätsel der neuntägigen Erdpulsation: Die Entdeckung einer seltenen Seiche in Grönland

Das Rätsel der neuntägigen Erdpulsation: Die Entdeckung einer seltenen Seiche in Grönland

2025-06-10
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Das Rätsel der neuntägigen Pulsation der Erde

Ende 2023 sahen sich Wissenschaftler mit einem ungewöhnlichen, von der Erde erzeugten Signal konfrontiert: Alle 90 Sekunden registrierten seismische Sensoren in ganz Grönland für neun aufeinanderfolgende Tage ein wiederkehrendes Beben. Solch regelmäßige Erschütterungen erinnern oft an kosmische Phänomene – darunter Marsbeben oder magnetische Polarlichter des Jupiter. Doch dieser anhaltende, terrestrische Puls hatte seinen Ursprung in einem viel näher gelegenen, natürlichen Ereignis, das neue Erkenntnisse über die dynamischen Prozesse der Erde und die eingesetzten Messmethoden lieferte.

Ursprung: Erdrutsch, Megatsunami und die Entstehung einer Seiche

Die Ursache lag im Dicksonfjord auf Grönland, wo ein massiver Erdrutsch einen gewaltigen Megatsunami auslöste. Dieses Ereignis sorgte nicht nur für meterhohe Wellen im Fjord, sondern setzte auch eine seltene Schwingung in Gang, die als „Seiche“ bekannt ist. Eine Seiche ist eine stehende Welle, die in geschlossenen oder teilweise geschlossenen Gewässern wie Fjorden oder Seen auftreten kann. Sie wird durch starke seismische Aktivität, plötzliche atmosphärische Druckänderungen oder – wie in diesem Fall – durch einen katastrophalen Erdrutsch ausgelöst und kann stunden- oder tagelang anhalten. Im Dicksonfjord erreichten die Wellen dabei Höhen von bis zu zwei Metern.

Das Besondere an diesem Fall war, dass nach Erdrutsch und Tsunami die Bewegung der Seiche durch die Geometrie des Fjords und das verbliebene Meereis gefangen blieb. Diese eingeschlossene Energie führte zur Entstehung sogenannter Very Long Period (VLP)-Signale – subtile, rhythmische Pulsationen, die Geowissenschaftler vor ein Rätsel stellten und intensive Untersuchungen auslösten.

Herausforderungen bei der Detektion und der Durchbruch mit SWOT

Frühe Versuche, das Vorhandensein der Seiche zu bestätigen, stießen auf erhebliche Schwierigkeiten. Herkömmliche Satellitenaltimeter waren aufgrund begrenzter Beobachtungsintervalle und -abdeckungen nicht in der Lage, die stehende Welle ausreichend detailliert zu verfolgen. Oft fanden die wichtigsten Wellenbewegungen zwischen den Satellitenüberflügen statt oder außerhalb ihres direkten Messbereichs.

Den entscheidenden Durchbruch brachte der Start der NASA-Mission Surface Water and Ocean Topography (SWOT) – eine internationale Satellitenmission, die die Wasseroberflächen der Erde mit bisher unerreichter räumlicher und zeitlicher Auflösung kartiert. Das zentrale Messinstrument, das Ka-band Radar Interferometer (KaRIn), ermöglichte erstmals detaillierte Beobachtungen sogar in schwer zugänglichen Regionen wie dem Dicksonfjord.

Mit dem Eintritt in die wissenschaftliche Betriebsphase umkreiste SWOT die Erde alle 21 Tage in etwa 890 Kilometern Höhe und kartierte systematisch globale Wasserflächen – unabhängig vom Sonnenstand. Diese besondere Umlaufbahn minimierte Störungen und verbesserte die Messgenauigkeit für Wasseroberflächenschwingungen erheblich.

Die Beweisführung: Daten, Modelle und wissenschaftliche Analyse

Ein interdisziplinäres Team um Dr. Thomas Monahan von der Universität Oxford untersuchte im Herbst 2023 detailliert die SWOT-Daten für den Dicksonfjord. Sie kombinierten Satellitendaten mit seismischen Messungen und bodengestützten Beobachtungen, um die Entwicklung des Fjords nach dem Erdrutsch zu rekonstruieren. Die Analyse ergab Modelle, die zeigten, wie die Seiche zwischen den vereisten Fjordgrenzen oszillierte und nach und nach an Energie verlor.

Wichtig war zudem, dass andere mögliche Ursprünge der seismischen Signale – wie windgetriebene Wellen oder lokale atmosphärische Störungen – durch Wetterrekonstruktionen und Simulationsmodelle systematisch ausgeschlossen wurden. Wie Monahans Team in ihrem Beitrag in Nature Communications schilderte: „Anhand der seismischen Zuordnung und Ausschluss anderer dynamischer Phänomene kommen wir zu dem Schluss, dass die gemessenen Schwankungen in den SWOT-Daten mit einer langsam abklingenden Seiche übereinstimmen.“

Ihre Arbeit löste nicht nur ein lang bestehendes geophysikalisches Rätsel, sondern markiert zugleich einen wichtigen Schritt für den Einsatz moderner Satellitentechnologie in Hydrologie und Geowissenschaften.

Folgen für die Erdbeobachtung und zukünftige Forschung

Das Verständnis von Seichen und ähnlichen stehenden Wellen ist entscheidend für die Gefahrenabschätzung und das Umweltmonitoring. Fjorde stellen mit ihrer Enge und Eisdeckung sowie abgelegenen Lage besondere Herausforderungen für Satellitenerkundungen dar. Der Nachweis einer langsam abklingenden Seiche im Dicksonfjord zeigt, wie neue Satellitentechnik – insbesondere die SWOT-Mission – die Erforschung dynamischer Prozesse in schwer zugänglichen Regionen weltweit vorantreiben kann.

„Der SWOT-Satellit ist ein entscheidender Fortschritt für die Erforschung ozeanischer Prozesse in Fjordregionen, die bisherige Satelliten nur unzureichend erfassen konnten“, betonte Monahan in einer Pressemeldung und unterstrich damit die Bedeutung dieser Beobachtungen für die Weiterentwicklung der Forschung an Erdsystemen und Wasserdynamik.

Außerdem macht der Fall deutlich, wie stark katastrophale geologische Ereignisse wie Erdrutsche und Megatsunamis lokale und globale geophysikalische Prozesse beeinflussen. Die Verbindung satellitengestützter Daten mit Messungen vor Ort verschafft Forschern bessere Möglichkeiten, solche Phänomene frühzeitig zu erkennen, zu analysieren und deren Entwicklung vorherzusagen – ein wichtiger Beitrag zu Katastrophenvorsorge und unserem Verständnis der Dynamik des Erdsystems.

Fazit

Die Entdeckung und Bestätigung einer seltenen Seiche im Dicksonfjord – ausgelöst durch Erdrutsch und Megatsunami, sichtbar gemacht durch die hochmodernen Fähigkeiten des SWOT-Satelliten – stellen einen bedeutenden Fortschritt in der Erdbeobachtung und Geophysik dar. Moderne Satellitentechnologien ermöglichen es Wissenschaftlern heute, bisher ungelöste Rätsel zu entschlüsseln, komplexe Naturphänomene zu überwachen und unser Verständnis des stetig wandelnden Planeten zu vertiefen.

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