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Die Wissenschaft hinter geschlechtsspezifischen Unterschieden beim Schlafbedarf

Die Wissenschaft hinter geschlechtsspezifischen Unterschieden beim Schlafbedarf

2025-07-21
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Die Wissenschaft hinter Geschlechterunterschieden im Schlafbedarf

In sozialen Medien und durch Wellness-Influencer kursiert seit Jahren die Aussage, Frauen benötigten deutlich mehr Schlaf als Männer – oftmals ist sogar von ein bis zwei zusätzlichen Stunden pro Nacht die Rede. Doch wie belastbar sind diese Behauptungen, wenn man sie anhand wissenschaftlicher Studien überprüft? Die Frage, wer mehr Schlaf benötigt und warum, ist komplex. Sie wird von biologischen Mechanismen, psychologischen Faktoren und gesellschaftlichen Erwartungen beeinflusst – und hängt nicht zuletzt davon ab, wie Schlaf überhaupt gemessen wird.

Schlafmessung: Subjektive Angaben und objektive Methoden

Wissenschaftler bewerten Schlaf im Wesentlichen auf zwei Arten: mittels Selbstauskunft oder durch objektive Messverfahren. Bei selbstberichteten Angaben schätzen Betroffene ihre eigene Schlafdauer, wobei Studien zeigen, dass Menschen diese meist überschätzen oder unterschätzen. Objektive Methoden greifen auf fortschrittliche Technik zurück, etwa auf wissenschaftliche Fitnesstracker (wie Aktigraphie-Geräte) oder Polysomnographie. Die Polysomnographie gilt als Goldstandard der Schlafforschung - hierbei werden Gehirnaktivität, Atmung und Bewegungen während des Schlafs im Schlaflabor gemessen.

Ergebnisse großer, hochwertiger Studien belegen, dass Frauen im Durchschnitt etwa 20 Minuten länger schlafen als Männer. Eine weltweite Studie mit fast 70.000 Personen und Wearable-Trackern zeigte diese, wenn auch moderate, Differenz: Bei den 40- bis 44-Jährigen lag der Unterschied im Durchschnitt zwischen 23 und 29 Minuten. Eine weitere Untersuchung auf Basis der Polysomnographie bestätigte: Frauen schliefen rund 19 Minuten länger als Männer. Auffällig ist zudem, dass Frauen mehr Zeit in der erholsamen Tiefschlafphase verbringen – etwa 23 Prozent ihrer gesamten Schlafzeit gegenüber 14 Prozent bei Männern. Zudem nimmt die Schlafqualität von Männern mit dem Alter deutlich ab, was sich bei Frauen weniger zeigt.

Individuelle Unterschiede und Grenzen der Schlafforschung

Obwohl diese Trends auf Bevölkerungsebene klar erkennbar sind, variiert der tatsächliche Schlafbedarf von Person zu Person stark. Zu behaupten, alle Frauen bräuchten pauschal mehr Schlaf, wäre so wenig zutreffend wie die Behauptung, alle Frauen seien kleiner als alle Männer. Persönliche Faktoren – von genetischer Veranlagung bis hin zum Lebensstil – bestimmen das individuelle Schlafoptimum maßgeblich.

Trotz längerer und tieferer Schlafphasen berichten Frauen subjektiv häufiger von schlechter Schlafqualität und erhalten etwa 40 % häufiger eine Insomniediagnose als Männer. Dieser Widerspruch zwischen objektiven Laborwerten und subjektiver Erfahrung ist ein bekanntes Phänomen. Ein Grund: Viele Studien berücksichtigen Faktoren wie psychische Gesundheit, Medikamenteneinnahme, Alkoholkonsum und hormonelle Schwankungen zu wenig – all dies prägt im Alltag den Schlaf zusätzlich. Die Schlafforschung beleuchtet somit nur einen Teil des komplexen Gesamtbildes.

Biologische Faktoren, die den Schlaf von Frauen beeinflussen

Die Rolle von Hormonen im Lebensverlauf

Biologische Unterschiede beeinflussen die Schlafarchitektur bereits ab der Pubertät und treten weiterhin während der Schwangerschaft, nach der Geburt und insbesondere in den Wechseljahren (Perimenopause) hervor. Hormonelle Veränderungen – vor allem Schwankungen von Östrogen und Progesteron – spielen hierbei eine besondere Rolle. Vor allem prämenstruelle Phasen mit abfallenden Hormonspiegeln gehen häufig mit schlechterem Schlaf und häufigeren nächtlichen Aufwachphasen einher.

In der Perimenopause und Menopause sinkt der Östrogenspiegel stark ab, was oft mit vermehrten Schlafstörungen – etwa nächtlichem Erwachen und Problemen beim Wiedereinschlafen – verbunden ist. Krankheiten wie Schilddrüsenstörungen und Eisenmangel sind bei Frauen häufiger als bei Männern und führen ebenfalls häufig zu Müdigkeit und unterbrochenem Schlaf.

Psychische und gesellschaftliche Einflüsse auf den Schlaf

Psychische Gesundheit und Denkmuster

Frauen sind statistisch anfälliger für Depressionen, Angststörungen und traumasowie Erkrankungen, die direkt mit schlechtem Schlaf und anhaltender Erschöpfung korrelieren. Grübel-Tendenzen und Sorgen, die bei Frauen ausgeprägter sind, verstärken Schlafprobleme zusätzlich. Auch nehmen Frauen häufiger als Männer Antidepressiva ein – viele dieser Medikamente wirken sich direkt auf Schlafzyklen und Schlafqualität aus.

Soziale Erwartungen und die „mentale Last“

Gesellschaftliche Rahmenbedingungen sind entscheidend: Weltweit leisten Frauen einen größeren Teil der Pflege-, Haus- und Gefühlsarbeit. Aktuelle Erhebungen, etwa aus Australien, belegen, dass Frauen durchschnittlich neun Stunden pro Woche mehr unbezahlte Arbeit leisten als Männer. Zwar bekommen manche Frauen ausreichend Nachtschlaf, doch fehlen ihnen tagsüber oft Erholungsphasen – dadurch steigt der Bedarf an nächtlicher Regeneration.

Die sogenannte „mentale Last“ – also die meist unsichtbare Planung von Familienaufgaben, Haushalt und emotionaler Unterstützung – verstärkt die Belastung. Besonders Frauen in den reproduktiven Jahren müssen Kinderbetreuung, Beruf und soziale Verpflichtungen unter einen Hut bringen. In Kombination mit höheren Raten körperlicher Erschöpfung, beispielsweise durch Eisenmangel, resultiert daraus eine reale Müdigkeit – selbst wenn die Schlafdauer objektiv im Normbereich liegt.

Lücken der Schlafforschung und Ausblick

Viele Studien zum Thema Schlaf konzentrieren sich bislang auf binäre Geschlechter und schließen geschlechtsdiverse Personen aus. Dadurch bleibt das Wissen über den Einfluss von Biologie und Identität auf den Schlaf begrenzt. Zukünftige Schlafstudien sollten Themen wie Geschlechtervielfalt, kulturellen Kontext und intersektionale Aspekte stärker berücksichtigen. Fortschritte bei tragbarer Schlaftechnologie und personalisierter Medizin können helfen, individuelle Unterschiede weiter zu erforschen und gezieltere Empfehlungen zu geben.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Der aktuelle Stand der Schlafforschung belegt, dass Frauen im Durchschnitt rund 20 Minuten pro Nacht länger schlafen und im Labor mehr Tiefschlaf verbringen als Männer. Doch diese Unterschiede ergeben nur einen kleinen Teil des Gesamtbildes, denn der individuelle Schlafbedarf ist sehr unterschiedlich. Im Alltag führen hormonelle Veränderungen, psychische Belastungen und gesellschaftliche Anforderungen oft dazu, dass sich Frauen trotz ausreichendem Schlaf nicht vollkommen erholt fühlen. Es ist wichtiger, die ganzheitlichen Möglichkeiten zur Regeneration – tagsüber wie nachts – zu fördern, anstatt pauschal die Schlafdauer für Frauen zu erhöhen. Die Weiterentwicklung der Schlafforschung und die gezielte Berücksichtigung vielfältiger Einflussfaktoren sind entscheidend, um die Schlafgesundheit und das Wohlbefinden aller zu verbessern.

Quelle: theconversation

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