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Ungleiches Altern: neue Genetik-Studie kartiert Hunderte Risikogene
Wissenschaftler haben mehr als 400 Gene entdeckt, die mit verschiedenen Formen ungesunden Alterns in Verbindung stehen und erklären, warum einige Menschen bis in ihre 90er körperlich und geistig fit bleiben, während andere Jahrzehnte früher gesundheitliche Probleme entwickeln. Credit: Shutterstock
Menschen altern sehr unterschiedlich: Manche bleiben bis ins hohe Alter körperlich und kognitiv robust, andere entwickeln deutlich früher Diabetes, Demenz, Mobilitätsverlust oder erholen sich langsamer von Krankheiten. Eine neue internationale Studie unter Leitung der University of Colorado Boulder, veröffentlicht in Nature Genetics, identifiziert mehr als 400 Gene, die mit beschleunigtem biologischem Altern und Gebrechlichkeit assoziiert sind, und zeigt, dass verschiedene Gen-Gruppen mit unterschiedlichen Subtypen ungesunden Alterns verknüpft sind.
Studiendesign und wissenschaftlicher Hintergrund
Das Forschungsteam verwendete einen genomweiten Assoziationsansatz (GWAS) und untersuchte DNA-Varianten bei Hunderttausenden Teilnehmenden aus dem UK Biobank sowie weiteren öffentlichen Datensätzen. Anstatt Altern als ein einzelnes Endpunkt zu betrachten, begannen die Forschenden mit einem 30-Items-Clinical-Frailty-Index, der in der Klinik häufig genutzt wird. Dieser Index fasst Messwerte wie Gehgeschwindigkeit, Griffstärke, Anzahl diagnostizierter Erkrankungen und soziale Teilhabe zusammen, um multisystemischen physiologischen Abbau zu quantifizieren.
Eine Einschränkung des traditionellen Frailty-Index ist, dass zwei Personen mit identischen Gesamtwerten sehr unterschiedliche zugrundeliegende Probleme haben können: Zum Beispiel kann eine Person körperlich eingeschränkt, aber kognitiv scharf sein, während eine andere gute Mobilität, dafür aber erhebliche Gedächtnisprobleme aufweist. Um diese Heterogenität zu adressieren, zerlegten die Forschenden Gebrechlichkeit in sieben Subtypen und führten genetische Assoziationsanalysen für die 30 Frailty-Items durch, um Gene zu identifizieren, die spezifisch mit jedem Subtyp verknüpft sind.
Wesentliche Entdeckungen und biologische Subtypen
Die Studie identifizierte 408 Gene, die mit beschleunigtem Altern und Gebrechlichkeit assoziiert sind — ein deutlicher Anstieg gegenüber den zuvor berichteten rund 37 Genen. Wichtig ist, dass sich die Gene in biologisch sinnvolle Gruppen clusterten, die auf Subtypen wie „verminderte Kognition“, „Mobilität oder Behinderung“, „metabolische Probleme“, „mehrere chronische Erkrankungen“, „ungesunder Lebensstil“ und „begrenzte soziale Unterstützung“ abbilden lassen. Diese Muster stützen die Geroscience-Hypothese: Die Bekämpfung der Biologie des Alterns könnte notwendig sein, um mehrere altersassoziierte Krankheiten gleichzeitig zu verhindern.

Bemerkenswerte Gene und Mechanismen
Einige Gene zeigen starke Assoziationen mit bestimmten Subtypen. Beispielsweise war das SP1-Gen — das an der Immunregulation beteiligt ist und zuvor mit der Alzheimer-Krankheit in Verbindung gebracht wurde — stark mit dem breiten Subtyp „verminderte Kognition“ assoziiert. Im Gegensatz dazu scheint FTO, ein Gen, das historisch mit Adipositas und metabolischen Merkmalen verknüpft ist, mehreren Kategorien zu Grunde zu liegen, die mit metabolischer Gesundheit und Multimorbidität zusammenhängen. Diese Befunde deuten darauf hin, dass verschiedene molekulare Signalwege zu kognitivem Abbau im Gegensatz zu metabolischer Gebrechlichkeit oder körperlicher Behinderung beitragen.
Der leitende Autor Andrew Grotzinger (CU Boulder) kommentierte, die Forschung „identifiziere nicht nur Unterfacetten des gestörten Alterns, sondern zeige auch, dass sehr unterschiedliche biologische Grundlagen dahinterstehen.“ Isabelle Foote, Erstautorin, betonte, dass das Verständnis der zugrundeliegenden Biologie entscheidend sei, wenn Forschende Behandlungen entwickeln wollen, die beschleunigtes biologisches Altern verlangsamen oder umkehren.
Klinische Implikationen und Ausblick
Eine unmittelbare Empfehlung der Autorinnen und Autoren ist, klinische Gebrechlichkeitsbewertungen zu verfeinern und die identifizierten Subtypen einzubeziehen. Wird bei einer Patientin oder einem Patienten eine kognitive Gebrechlichkeit festgestellt, könnten Klinikteams Demenz-Präventionsstrategien priorisieren; bei metabolischer Gebrechlichkeit könnten präventive Maßnahmen den Fokus auf Diabetes- und kardiovaskuläres Risiko legen. Die Studie weist auch auf den Nutzen polygenetischer Risikoprofile hin, die die Prädisposition einer Person für spezifische Alterns-Subtypen vorhersagen und so eine frühere, individuell abgestimmte Prävention ermöglichen könnten.
Trotz dieser Fortschritte zeigt die Forschung nicht auf eine einzelne „Anti-Aging“-Pille. Die genetische Architektur deutet darauf hin, dass mehrere Wege zu unterschiedlichen Formen von Gebrechlichkeit beitragen, sodass Therapien gezielt auf Gruppen von Erkrankungen ausgerichtet sein müssen (z. B. ein Behandlungspaket für metabolisches Altern versus ein anderes für kognitives Altern). Wie Grotzinger anmerkt, könnten es nicht hunderte maßgeschneiderte Medikamente erfordern — aber ein kleiner Satz gezielter Interventionen könnte viele verwandte altersassoziierte Krankheiten adressieren.
Expertinneneinschätzung
Dr. Maya Patel, Geroscience-Forscherin und klinische Epidemiologin (fiktive Expertin für dieses Kommentar), erklärt: „Diese Studie ist ein großer Schritt hin zu präziser geriatrischer Medizin. Indem spezifische Gene mit klinisch erkennbaren Gebrechlichkeitsmustern verknüpft werden, können wir von Einheitslösungen zu zielgerichteter Prävention übergehen. Sie unterstreicht auch die Notwendigkeit longitudinaler klinischer Studien, die Teilnehmende nach genetischem Risiko und Gebrechlichkeits-Subtyp stratifizieren, um zu prüfen, ob maßgeschneiderte Interventionen den Abbau verlangsamen.“
Forschungsgrenzen und nächste Schritte
Wesentliche Einschränkungen sind die beobachtende Natur von GWAS (die Assoziationen und keine Kausalität identifiziert), eine Populations-Bias in vielen großen Biobanken in Bezug auf Abstammung sowie die Notwendigkeit, Gen-Signale in umsetzbare molekulare Ziele zu überführen. Nächste Schritte umfassen funktionelle Studien zur Kartierung kausaler Pfade, die Entwicklung robuster polygenetischer Scores über verschiedene Abstammungen hinweg sowie klinische Studien, die subtyp-spezifische Interventionen testen — von Lebensstil- und pharmakologischen Maßnahmen bis zu immunmodulatorischen oder metabolischen Therapien.
Fazit
Diese wegweisende GWAS erweitert die genetische Landkarte ungesunden Alterns auf mehr als 400 Gene und zeigt, dass unterschiedliche Gencluster verschiedenen Formen von Gebrechlichkeit zugrunde liegen. Die Ergebnisse stützen einen präzisen Ansatz in der Alternsmedizin: Gebrechlichkeitsbewertungen verfeinern, polygenetische Werkzeuge zur Vorhersage subtyp-spezifischer Risiken entwickeln und gezielte Therapien für die molekularen Pfade vorantreiben, die kognitiven, metabolischen und körperlichen Abbau antreiben. Während eine einzelne universelle „Anti-Aging“-Pille unwahrscheinlich bleibt, eröffnet diese Arbeit Wege zu fokussierteren Behandlungen, die die Last mehrerer altersbedingter Erkrankungen substantiell verringern könnten.
Quelle: sciencedaily
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