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Neue Hinweise, dass Ryugu flüssiges Wasser enthielt
Eine winzige 80‑Milligramm‑Probe, die vom erdnahen Asteroiden Ryugu zurückgebracht wurde, hat ein unerwartetes Kapitel in der wasserreichen Geschichte des Sonnensystems offenbart. Detaillierte geochemische Analysen zeigen, dass einst flüssiges Wasser deutlich später durch den Mutterkörper von Ryugu zirkulierte als herkömmliche Modelle vorhersagten – was auf längere aqueöse Umwandlung auf kleinen, eisreichen Protoplaneten hindeutet und neue Fragen dazu aufwirft, wie Wasser zur frühen Erde gelangte.
Wissenschaftlicher Hintergrund: Planetesimale, Erwärmung und aqueöse Alteration
Bevor Ryugu als isolierter Trümmerhaufen existierte, gehörte es zu einem größeren Planetesimal – einem kleinen, eisreichen Baustein, der sich vor etwa 4,565 Milliarden Jahren im äußeren Sonnensystem akkretierte. Diese Objekte bildeten sich aus Staub und Eis und erfuhren eine innere Erwärmung durch den Zerfall kurzlebiger Radioisotope, die eingebettetes Eis schmelzen und vorübergehendes flüssiges Wasser erzeugen können.
Aqueouse Aktivität auf Ryugu und seinem Mutterkörper. (1) Der Ryugu‑Mutterkörper akkretierte aus Eis und Staub. (2) Eis schmolz durch kurzlebige radioaktive Erwärmung. (3) Das gesättigte Wasser fror beim Abkühlen wieder, wodurch interstitielles Eis entstand. (4) Mehr als 1 Milliarde Jahre später erzeugte ein Einschlag Wärme, die zu einer begrenzten Freisetzung von Fluiden führte. (5) Ryugu wanderte vor etwa 5 Millionen Jahren vom Hauptgürtel in eine erdnahe Umlaufbahn und hat seitdem erheblich an Wasser ausgedampft. (Iizuka et al., Nature 2025)
Die neue Studie zeigt, dass der Ryugu‑Mutterkörper nicht einfach erstarrte und inaktiv blieb. Vielmehr reaktivierte sich flüssiges Wasser in seinem Inneren deutlich später – ungefähr eine Milliarde Jahre nach der anfänglichen Bildung – wahrscheinlich ausgelöst durch einen Einschlag, der den Körper aufriss und erwärmte. Diese warmen, kurzlebigen Fluidepisoden scheinen sich durch poröses Gestein bewegt zu haben, ohne vollständig zu verdampfen oder großflächige mineralische Überprägungen zu verursachen.

Methoden und Schlüsselbefund: Lutetium‑Hafnium‑Chemie
Die Forschenden stützten ihre Interpretation auf das Lutetium‑176 (176Lu) zu Hafnium‑176 (176Hf) Isotopensystem, das in der zurückgebrachten Probe erhalten ist. Der radioaktive Zerfall von 176Lu zu 176Hf folgt in trockenen, geschlossenen Systemen gut charakterisierten Bahnen, aber die Wechselwirkung mit flüssigem Wasser kann dieses System stören, indem Elemente umverteilt und isotopische Verhältnisse verändert werden.
Analysen der 80‑Milligramm‑Probe zeigten ein 176Lu/176Hf‑Verhältnis, das deutlich von Verhältnissen in typischen, auf die Erde gefallenen Meteoriten abweicht. Nach Ausschluss alternativer Erklärungen kamen die Autorinnen und Autoren zu dem Schluss, dass ein spätes, nieder‑temperaturiges Fluiddurchströmen das Lu‑Hf‑Isotopensystem gestört hat – direkter chemischer Nachweis dafür, dass aqueöse Fluide lange nach der Bildung im Mutterkörper zirkulierten.
„Das war eine echte Überraschung!“, sagt Geochemiker Tsuyoshi Iizuka von der Universität Tokio. „Wir fanden, dass Ryugu ein nahezu unberührtes Archiv der Wasseraktivität bewahrte – ein Beleg dafür, dass Fluide viel später durch sein Gestein gezogen sind, als wir erwartet hatten.“
Folgen für die Planetenwissenschaft und den Wasserhaushalt der Erde
Wenn kleine Planetesimale wie der Ryugu‑Mutterkörper flüssiges Wasser überdauern und dann kurzzeitig wieder mobilisieren konnten, hat das zweierlei Bedeutung. Erstens könnten Asteroidenfragmente, die ins innere Sonnensystem gelangten, mehr flüssiges Wasser mitgeführt haben als bisher angenommen. Zweitens könnten Einschläge durch wasserreiche Asteroiden während der Akkretionsphase der Erde deutlich mehr Wasser auf den jungen Planeten gebracht haben als Standardmodelle mit trockenen Gesteinen vorhersagen – in manchen Szenarien möglicherweise zwei- bis dreimal so viel.
Dieser Befund hilft, ein langjähriges Problem der Planetenwissenschaft zu adressieren: das scheinbare Fehlen von Feuchtigkeit im inneren frühen Sonnensystem im Vergleich zu den Mengen, die nötig wären, um die Ozeane und die Atmosphäre der Erde zu speisen. Ryugu reiht sich in eine wachsende Liste kleiner Körper ein, deren Chemie darauf hinweist, dass eisige und hydratisierte Materialien widerstandsfähiger waren, als Modelle es zuließen.
Missionskontext und aktueller Zustand von Ryugu
Hayabusa2, die Probenrückkehrmission der Japan Aerospace Exploration Agency (JAXA), sammelte und lieferte Ryugu‑Material zur Erde, wodurch hochpräzise Laborarbeiten möglich wurden, die diese Schlussfolgerungen stützen. Heute ist Ryugu selbst im Vergleich zu seinem urzeitlichen Zustand dehydriert: Er wanderte vor etwa 5 Millionen Jahren vom Hauptgürtel in eine erdnahe Umlaufbahn und hat seitdem einen Großteil seines Wassers ausgedampft. Die Studie wurde in Nature veröffentlicht.
Fachliche Einschätzung
Dr. Elena Morales, Planetenwissenschaftlerin am European Planetary Institute (fiktional), kommentiert: „Diese Ergebnisse erinnern uns daran, dass kleine Körper überraschend komplexe thermische und chemische Geschichten besitzen können. Der direkte isotopische Nachweis später Fluidströmungen in Ryugu‑Material legt nahe, dass ähnliche Prozesse bei anderen Planetesimalen häufig gewesen sein könnten – und dass die Rohstoffe für die Ozeane der Erde reichlich vorhanden und mobil gewesen sein könnten, als es darauf ankam. Zukünftige Probenrückführungen und gezielte meteoritische Studien werden helfen, zu quantifizieren, wie viel Wasser diese Körper tatsächlich geliefert haben."
Fazit
Die zurückgebrachte Probe von Ryugu liefert überzeugende chemische Belege dafür, dass flüssiges Wasser im Mutterkörper viel später zirkulierte, als bisher angenommen. Durch die Störung des Lutetium‑Hafnium‑Isotopensystems hinterließen spätzeitliche Fluide ein dauerhaftes Archiv, das unser Verständnis von Wasserspeicherung und -transport in kleinen eisreichen Körpern revidiert. Die Entdeckung stärkt die Vorstellung, dass Asteroiden eine bedeutendere Quelle für das ursprüngliche Wasser der Erde gewesen sein könnten als Standardmodelle zulassen, und unterstreicht den Wert zurückgebrachter Proben für das Lesen der frühen chemischen Geschichte des Sonnensystems.
Quelle: sciencealert
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