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Unerwartete Fortpflanzungsstrategie bei Messor ibericus entdeckt
Wissenschaftler haben entdeckt, dass die iberische Sammelameise (Messor ibericus) ein bislang unbekanntes Fortpflanzungssystem zeigt, das Individuen zweier unterschiedlicher Arten hervorbringt. Ein von dem Biologen Jonathan Romiguier (Universität Montpellier) geleitetes Team berichtete in Nature, dass einige M. ibericus‑Königinnen Männchen erzeugen, die die nuklearen Genome einer anderen Art, Messor structor, tragen, während sie die Mitochondrien von M. ibericus behalten. Die Autorinnen und Autoren bezeichnen dieses Phänomen als „xenoparische“ Fortpflanzung — eine natürliche Form des artsübergreifenden Klonens, bei der eine nur aus Männchen bestehende Linie durch die Eier (Ova) einer Art geklont wird, genetisch jedoch einer anderen Art entspricht.
Wissenschaftlicher Hintergrund: Haplodiploidie und Kastenbildung in Kolonien
Ameisen zeigen Haplodiploidie: Weibchen sind diploid (zwei Chromosomensätze), Männchen sind haploid (ein Chromosomensatz). Königinnen können die Struktur der Kolonie beeinflussen, indem sie Eier befruchten (es entstehen diploide Weibchen, die zu Arbeiterinnen oder neuen Königinnen werden) oder Eier unbefruchtet lassen, um haploide Männchen zu produzieren. Diese Kontrolle bestimmt Arbeitsteilung und Kastenbildung in der Kolonie. Hybridisierung zwischen Ameisenarten ist in manchen Gattungen bekannt, und soziale Insekten zeigen bereits komplexe Fortpflanzungssysteme einschließlich Klonen; jedoch wurde ein Klonen, das Individuen einer anderen Art hervorbringt, bislang nicht dokumentiert.
Studiendesign, genomische Befunde und vorgeschlagener Mechanismus
Romiguier und Mitarbeitende untersuchten 50 Nester im Süden Frankreichs und sammelten 132 Männchen aus 26 M. ibericus‑Kolonien. Etwa die Hälfte dieser Männchen ähnelte morphologisch M. structor. Genomische Analysen zeigten ein auffälliges Muster: Diese Männchen trugen nukleare DNA, die mit M. structor übereinstimmt, während die Mitochondrien von M. ibericus stammen. Da Mitochondrien maternal vererbt werden, deutet die kombinierte Signatur darauf hin, dass die Männchen innerhalb von M. ibericus‑Königinnen produziert wurden, aber ein deutlich anderes nukleares Genom besitzen.
Das Forschungsteam schlägt vor, dass M. ibericus‑Königinnen M. structor‑Männchen klonen, indem sie Spermien von M. structor‑Typ‑Männchen in die Eier eindringen lassen und anschließend das mütterliche nukleare Erbgut des Eies vor der vollständigen Befruchtung eliminieren. Das Ergebnis ist ein Ei, das sich zu einem haploiden Männchen entwickelt, genetisch mit M. structor übereinstimmt, aber die Mitochondrien von M. ibericus behält. Diese geklonten Männchen paaren sich dann innerhalb der Kolonie, um hybride diploide Arbeiterinnen (genetisch gemischte Nachkommen) zu erzeugen, die für die Koloniefunktion benötigt werden. Diese zweier Arten verbindende Fortpflanzungsschleife erzeugt eine männliche Linie, die artübergreifend geklont wird, und gleichzeitig hybride Arbeiterinnen.
Wesentliche Entdeckungen und evolutionäre Implikationen
Diese Entdeckung wirft mehrere wichtige biologische Fragen auf. Artsübergreifendes Klonen stellt die gängigen Vorstellungen von reproduktiver Isolation und Artbildung infrage: Hier werden Genome von Linien, die vor mehr als fünf Millionen Jahren auseinandergegangen sind, durch einen ungewöhnlichen Fortpflanzungszyklus erhalten und weitergegeben. Die Aufrechterhaltung eines Vorrats genetisch fremder Männchen als reproduktive Ressource könnte eine Strategie sein, um Sperma zu sichern und gleichzeitig hybride Arbeiterinnen zu produzieren, die für koloniale Aufgaben optimiert sind.
Der Mechanismus könnte Genfluss, Sozialstruktur und Anpassung beeinflussen. Er deutet auf neuartige Formen reproduktiven Betrugs und kooperativen Verhaltens in sozialen Insekten hin und erweitert die bekannten Mechanismen zur Erhaltung unterschiedlicher genetischer Linien in sympatrischen Populationen. Aus angewandter Sicht könnte das Verständnis dieses Systems Strategien zur Schädlingsbekämpfung informieren, indem reproduktive Verwundbarkeiten in Ameisenkolonien ausgenutzt werden.
Experteneinschätzung
Dr. Elena Márquez, Evolutionsgenetikerin (fiktiv), kommentiert: „Dieses System ist bemerkenswert, weil es die mitochondriale Linie von der nuklearen Identität über Artgrenzen hinweg trennt. Wenn sich das in größeren Populationen bestätigt, zwingt es uns dazu, zu überdenken, wie Fortpflanzungssysteme Artenbarrieren umgehen können, um soziale und ökologische Bedürfnisse zu erfüllen.“
Michael Goodisman, Evolutionsbiologe am Georgia Tech, der nicht an der Studie beteiligt war, sagte gegenüber Science, der Befund sei „praktisch unglaublich und erweitert unser Verständnis der Evolutionsbiologie. Gerade wenn man denkt, man habe alles gesehen, überraschen soziale Insekten erneut.“ Seine Reaktion unterstreicht, wie sehr die Biologie sozialer Insekten Forschende weiterhin überrascht und theoretische Modelle verändert.
Fazit
Der Bericht über xenoparische Fortpflanzung bei Messor ibericus offenbart eine eindrückliche, zuvor nicht dokumentierte Fortpflanzungsstrategie: Königinnen produzieren klonal Männchen, die genetisch einer anderen Art angehören, und nutzen diese Männchen, um hybride Arbeiterinnen zu erzeugen. Der Befund verbindet Genomik, Verhalten und evolutionäre Theorie und eröffnet neue Forschungsfelder zu Artbildung, sozialer Evolution und genetischen Kontrollmechanismen bei eusozialen Insekten. Zukünftige Studien müssen die genauen zellulären Mechanismen, die geographische Verbreitung und die evolutionären Ursprünge dieses außergewöhnlichen Systems klären.
Quelle: nature
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