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Wenn Frankenstein auf Punk trifft: Die Sicht einer Komponistin
Oscar-prämierte Komponistin Hildur Gudnadottir spricht bereits mit spürbarer Begeisterung über Maggie Gyllenhaals mit Spannung erwarteten Monsterfilm The Bride!, und diese Begeisterung wirkt ansteckend. Ein breiteres Publikum kennt sie vor allem durch die eindringlichen, tiefen Cello-Texturen, die den Ton von Joker mitprägten. Gudnadottir beschreibt Gyllenhaals Neuinterpretation des Frankenstein-Mythos als „sehr punkig und sehr romantisch“ — ein überraschendes, aber treffendes Kurzzeichen für einen Film, der groteske Erfindung, intime Emotion und eruptive Gewaltszenen zusammenführt.
The Bride!, mit Jessie Buckley und Christian Bale in den Hauptrollen, verlegt klassische Gothic-Motive in das Chicago der 1930er Jahre. Im Film reist eine ruhelose Kreatur in die Stadt, um Dr. Euphronius zu suchen, einen Wissenschaftler, der möglicherweise einen Gefährten erschaffen kann. Das Experiment nimmt eine unerwartete Wendung, als eine ermordete junge Frau wieder zum Leben erweckt wird — eine Wendung, die Fragen zu Schöpfung, Autonomie und der Natur des Monströsen neu verhandelt.
Der erste Trailer, der im September erschien, deutete bereits eine geschichtliche Vielschichtigkeit an. Gudnadottir ergänzt dieses Bild: „Es gibt eine Liebesgeschichte, einen Thriller und die monströse Geburt einer Frau. Es gibt viel Aufregung und Gewalt“, sagt sie und bezeichnet den Film als intensiv und emotional abenteuerlich. Für eine Komponistin, die zwischen dokumentarischem Realismus und opernhafter Horrorästhetik oszilliert, ist dieser hybride Tonraum besonders ergiebig.
Gudnadottirs bisheriger Werdegang — von minimaler, frequenzgetriebener Spannung in Joker bis zu der subtilen, thematischen Arbeit in Tár und der emotionalen Schichtung in Chernobyl — zeigt eine Bereitschaft, Musik nicht nur als Begleitung, sondern als erzählerischen Partner zu denken. In The Bride! könnte diese Haltung dazu führen, dass der Score eigene narrative Linien zieht: Leitmotive, kontrastierende Klangräume und texturale Dialoge zwischen Orchester und modernen Instrumenten, die Figuren psychologisch nuancieren.

Ein punk-romantischer Score: Gitarre trifft Orchester
Einer der klarsten Hinweise, die Gudnadottir nennt, betrifft die Textur des Scores. Sie sagt, die Musik setze „schreiende E-Gitarre UND ein Orchester“ nebeneinander. Diese Kollision — rohe, aggressive Rock-Klangfarben neben weit ausschwingenden Streichern und feingliedrigen Cellolinien — spiegelt den tonalen Balanceakt des Films wider. Anders gesagt: Die Musik soll nicht nur Furcht untermalen, sondern auch Sehnsucht und Verletzlichkeit verstärken.
Der Einsatz einer verzerrten E-Gitarre zusammen mit orchestralem Reichtum bietet viele expressive Möglichkeiten: Fuzz und Feedback als dramatischer Akzent, lange Sustain-Flächen als Verbindung zu Streicherdrones, sowie punktypische rhythmische Impulse, die im Orchester als Puls oder motorische Figur wiederkehren können. Solche kombinierten Klangfarben ermöglichen zudem, Ambivalenz zu musizieren — die Gitarre als Ausdruck von Wut oder Verweigerung, das Orchester als Container für Trauer und Größe.
Dieser Ansatz reiht sich in eine jüngere Tradition von Genreproduktionen ein, die durch unkonventionelle Instrumentationen vertraute Mythen neu interpretieren. Denken Sie an Guillermo del Toros Pans Labyrinth, in dem üppige Themen kindliche Verwunderung gegen autoritäre Härte setzen, oder an Jóhann Jóhannssons minimalistische Spannungsfelder in Sicario. Gudnadottirs Verbindung von Punkenergie und romantischer Lyrik verspricht, The Bride! in einen akustisch widersprüchlichen Raum zu führen, der zugleich unmittelbar und elegisch wirken kann.
Technisch betrachtet könnte die Aufnahme des Scores verschiedene Strategien nutzen: Close-miking für verzerrte E-Gitarren, Raumaufnahmen für große Streicherensembles, und gezielter Einsatz von Overdrive-Effekten, Reamping oder analogen Bandmaschinen, um der modernen Gitarre eine organische Patina zu geben. Ergänzend sind erweiterte Spieltechniken denkbar — beispielsweise sul ponticello gestrichene Geigen, kol legno-Effekte für prägnante Schlagklänge oder ungestimmte Drones, die mit tiefen Cello-Frequenzen interagieren, um ein körperlich spürbares Fundament zu schaffen.
Warum die Filmmusik wichtig ist
In Monsterfilmen übernimmt Musik häufig die Aufgabe, das Unmenschliche zu vermenschlichen oder das Menschliche zu entmenschlichen — je nachdem, welche Perspektive der Film einnimmt. Gudnadottir hat dafür eine nachweisliche Begabung: Ihre preisgekrönte Arbeit an Chernobyl, ihre Scores für Tár und Joker sowie der sensible Beitrag zu Women Talking zeigen, dass sie Geschichten bevorzugt, die Dunkelheit und die menschlichen Konsequenzen von Katastrophen thematisieren. Ihre Musik schafft dabei häufig eine psychologische Empathie, die Figuren komplexer erscheinen lässt als reine visuelle Darstellung.
Ein prägnantes Beispiel ist Women Talking, wo Gudnadottir auf Wunsch der Regisseurin Sarah Polley vom instinktiven Dunkelton abrückte und stattdessen einen hoffnungsvolleren Gegenpol schuf. Das zeigt, wie Filmmusik nicht nur Emotionen verstärkt, sondern aktiv die moralische und emotionale Lesart eines Werkes formen kann. Komponistinnen nehmen damit eine kuratorische Rolle ein: Sie definieren, was das Publikum fühlen darf oder soll.
Für The Bride! bedeutet das eine besondere Verantwortung: Der Film verbindet spektakuläre, manchmal grausame Bilder mit intimen, verletzlichen Momenten. Die Herausforderung besteht darin, die Gewalt nicht zu glorifizieren, sondern Kontext und Empathie zu stiften — durch musikalische Entscheidungen wie sparsame, punktuelle Betonung, die Wahl zwischen diegetischen und nondiegetischen Elementen oder die Verwendung von musikalischem Kontrapunkt, der die Bildsprache kritisch reflektiert statt sie zu bestätigen.
Darüber hinaus beeinflusst die Filmmusik zunehmend, wie Filme publizistisch und kommerziell wahrgenommen werden. Ein markanter Score kann Trailer-Energie verstärken, eigenständige Soundtrack-Veröffentlichungen befördern und Live-Performances oder Awards-Läufe auslösen. Gudnadottirs Arbeit könnte deshalb nicht nur die narrative Tiefe von The Bride! prägen, sondern auch dessen Rezeption in Kritiken, Festivals und Online-Diskursen nachhaltig beeinflussen.
Kontext: Warum Frankenstein jetzt neu aufgearbeitet wird?
Frankenstein ist ein besonders formbares Erbe — von Mary Shelleys Roman über James Whales klassische Kinoadaption Bride of Frankenstein bis hin zu zahlreichen zeitgenössischen Neuinterpretationen. In verschiedenen Epochen diente die Figur als Projektionsfläche für unterschiedliche Ängste: von technologischer Hybris über soziale Ausgrenzung bis hin zu Fragen der Identität. Aktuell ziehen Filmemacherinnen und Filmemacher klassische Mythen heran, um Themen wie Geschlecht, Einwilligung, Machtverhältnisse und das Recht auf Selbstbestimmung zu hinterfragen.
Maggie Gyllenhaal, die nach dem psychologisch-intimen The Lost Daughter nun diesen eher theatralischen Stoff angeht, bringt eine weibliche, charakterzentrierte Perspektive ein. Das passt zu einem größeren Trend, in dem Regisseurinnen wie Leigh oder DaCosta kanonische Narrative zurückholen, um weibliche Innenwelten in ihrer Vielschichtigkeit zu zeigen. Solche Neuinterpretationen hinterfragen, wer erschafft, wer gesprochen wird und wer das Recht hat, zu entscheiden — zentrale Fragen in einem Frankenstein-Kontext.
Die Entscheidung, The Bride! in das Chicago der 1930er Jahre zu verlegen, wirkt ebenfalls bedeutsam. Dieses Setting bringt historische Schichten mit: Prohibition, ein dynamisches Musikleben (Jazz, Blues), wirtschaftliche Spannungen und eine ästhetische Sprache, die sich visuell und sonisch anpassen lässt. Musikalisch bietet das die Möglichkeit, historische Referenzen—etwa Jazzharmoniken oder Blues-gestimmte Melodik—mit modernen, postpunkigen Klangfarben zu verschränken. Diese Mischung kann historische Authentizität und zeitgenössische Relevanz zugleich herstellen.
Hinter den Kulissen und Trivia
- Gudnadottir erhält auf dem Zurich Film Festival einen Career Achievement Award und spricht dort über den Zustand der Filmmusik heute sowie über die Rolle von Komponistinnen in der Branche.
- Die Komponistin betont, dass die Filmwelt „vielschichtig“ sei und die Musik manchmal punkige Ästhetik neben klassischer Orchestrierung kanalisiere — ein bewusster Bruch, der Erzählungen neu akzentuiert.
- Ihr neues Soloalbum, Where to From, ist das erste seit einem Jahrzehnt und wird von einer kurzen Tour begleitet; die Puppenspielerin Giséle Vienne steuerte das Coverartwork bei.
- In Aufnahmen und Produzentenrunden wird offen über den Einsatz von Found Sounds und experimentellen Aufnahmetechniken diskutiert: Reamping von Gitarren, die Integration analoger Bandmaschinen und das Einbinden von Geräuschen aus dem Produktions-Set, um Filmwelt und Score klanglich zu verschränken.
Eine kleine Produktionsnotiz für Fans: Der Trailer verrät kaum musikalische Details, was stark darauf hindeutet, dass die Filmemacher klangliche Überraschungen für das Kinoerlebnis bewahren wollen. Das erzeugt Vorfreude darauf, wie der Score narrative Wendungen begleiten oder kontrapunktisch kommentieren wird.
Kritische Perspektive: Das Gleichgewicht zwischen Horror und Empathie
Gudnadottir gesteht, dass sie häufig „mehr zur Dunkelheit tendiert“, bleibt dabei jedoch sensibel für die ethischen Implikationen ihrer Arbeit. Bei Women Talking entschied sie sich bewusst dagegen, Gewalt musikalisch zu eskalieren, und entwarf stattdessen einen konzeptuellen Gegenpol, der Raum für Hoffnung lässt. Diese Haltung ist für The Bride! zentral, weil der Film Spektakel und intimes Trauma nebeneinanderstellt.
Das ästhetische Dilemma ist nicht neu, aber es ist anspruchsvoll: Musik kann Gewalt verharmlosen, wenn sie melodisch glorifiziert, oder sie kann distanzieren, wenn sie gezielt das Publikum aus empathischer Nähe herausführt. Gute Filmmusik findet einen Mittelweg, der einerseits emotionale Orientierung bietet, andererseits die Komplexität der Situation respektiert und Zuschauende zum Nachdenken anregen kann.
Filmhistoriker Marko Jensen bringt es auf den Punkt: „Gyllenhaals Entscheidung, Frankenstein in ein pulp-haftes Period-Setting zu überführen, verlangt einen Soundtrack, der subversiv und klassisch zugleich sein kann. Gudnadottirs bisherige Arbeit legt nahe, dass sie klangliche Kontraste einsetzt, um moralische Mehrdeutigkeiten zu betonen, statt sie aufzulösen.“
Und wie Filmkritikerin Anna Kovacs ergänzt: „Die stärksten Scores sind jene, die das Gesehene verkomplizieren. Gudnadottir hat die seltene Fähigkeit, Musik zu schreiben, die zugleich intim und monumental wirkt — ideal für eine Monstergeschichte, die durch eine menschliche Linse erzählt wird.“ Solche Einschätzungen deuten darauf hin, dass The Bride! musikalisch eher Fragen aufwerfen wird als Antworten zu liefern.
Was zu erwarten ist und warum es wichtig ist
Für Liebhaber von Genreneuerungen zeichnet sich The Bride! als ein bemerkenswertes Projekt ab: ein Period Piece mit zeitgenössischer thematischer Schärfe, vertont von einer Komponistin, die das narrative Gewicht von Klang versteht. Wer die atmosphärische Dichte von Joker, die zurückhaltende Intensität von Chernobyl oder den empathischen Kontrapunkt in Women Talking geschätzt hat, wird in Gudnadottirs Beitrag zu The Bride! vermutlich eines der auffälligsten Elemente des Films wiederfinden.
Über die filmische Welt hinaus reflektiert diese Zusammenarbeit einen breiteren Wandel in der Rolle von Filmmusik: Komponierende sind heute Co-Autoren von Stimmung und Sinn, nicht nur Untermaler der Aktion. Diese Entwicklung beeinflusst nicht nur die ästhetische Wahrnehmung, sondern auch die institutionelle Rezeption — Preisverleihungen, Festivalprogrammierung, kuratierte Musikveröffentlichungen und die Diskussionen in sozialen Medien.
Praktische Folgen dieser Entwicklung sind vielfältig: Score-Strategien beeinflussen Marketing-Kampagnen, die Chance auf Single-Veröffentlichungen, spezielle Vinyl-Pressungen, Live-to-Film-Aufführungen und die Einbettung von musikalischen Essays in Bonusmaterial. Ein eindrucksvoller Score kann außerdem Jury- und Kritikeraufmerksamkeit bündeln und so einem Film zusätzliche Sichtbarkeit verschaffen.
Ob The Bride! schließlich als Genrekino-Klassiker gilt oder als provozierender Kultfilm rezipiert wird, bleibt abzuwarten. Gudnadottirs Beschreibung — punkig und romantisch, chaotisch und zärtlich — bietet jedenfalls einen starken Grund, nicht nur genau hinzusehen, sondern genauso aufmerksam hinzuhören. Der Trailer hat das Gespräch begonnen; der Score könnte den emotionalen Nachklang maßgeblich steuern und die Wahrnehmung des Films noch lange nach dem Kinobesuch prägen.
Quelle: variety
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