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Eine große australische Studie räumt mit einem weit verbreiteten Mythos auf: Sport verbraucht nicht etwa eine begrenzte Zahl an Herzschlägen – er kann sie sogar sparen. Forschende zeigen, dass körperlich fitte Menschen über 24 Stunden weniger Herzschläge akkumulieren als inaktive Personen, weil ihr Herz in Ruhe deutlich effizienter arbeitet. Klingt fast zu gut, um wahr zu sein? Ein Blick in die Daten erklärt, warum das so ist und was es für unsere Gesundheit bedeutet.
Wie die Studie aufgebaut war und welche Zahlen überraschen
Die Untersuchung, veröffentlicht in JACC: Advances, verglich 24‑stündige Herzfrequenzprofile von aktiven und weniger aktiven Erwachsenen. Durchschnittswerte machten den Effekt sofort sichtbar: Trainierte Personen erreichten eine mittlere Herzfrequenz von rund 68 Schlägen pro Minute, weniger fitte Teilnehmer lagen im Mittel bei etwa 76 bpm. Auf einen Tag hochgerechnet bedeutet das etwa 97.920 Herzschläge versus rund 109.440 Schläge – also knapp 10 Prozent weniger, oder etwa 11.500 Herzschläge täglich für die trainierteren Personen.
Die Forschenden berichteten von Ruheherzraten bei den fittesten Probanden von bis zu 40 bpm, während die allgemeine Bevölkerung typischerweise Werte zwischen 70 und 80 bpm zeigt. Ja: Beim Training geht das Herz vorübergehend schneller, aber die vielen Stunden mit abgesenkter Frequenz zwischen den Einheiten führen zu einem geringeren Gesamtkontingent an Schlägen.

Professor Andre La Gerche im HEART Lab
Physiologie erklärt: Warum weniger Herzschläge Sinn machen
Der zentrale Mechanismus ist eine gesteigerte kardiale Effizienz infolge regelmäßigen Trainings. Zwei physiologische Konzepte sind hier entscheidend:
- Schlagvolumen: Durch Ausdauertraining erhöht sich das Volumen, das das Herz pro Kontraktion auswerfen kann. Ein größeres Schlagvolumen ermöglicht eine geringere Herzfrequenz bei gleicher Hämoperfusion.
- Autonome Balance: Trainierte Menschen haben häufig eine stärkere vagale Tonusdomäne in Ruhe, also ausgeprägtere parasympathische Aktivität. Das führt zu niedrigeren Ruhewerten und besserer Fähigkeit, sich nach Belastung zu erholen.
In Kurzform: Wenn jeder Herzschlag mehr Blut transportiert, muss das Herz seltener schlagen, um den gleichen Bedarf zu decken. Das reduziert die kumulative mechanische und metabolische Belastung des Herzmuskels über den Tag.
Technisch betrachtet bleibt der Herzzeitvolumenbedarf des Körpers (Herzzeitvolumen = Schlagvolumen × Herzfrequenz) in Ruhe relativ konstant. Verbesserte Leistungsfähigkeit erhöht das Schlagvolumen, weshalb die Herzfrequenz zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts abnehmen kann. Dieser Trainingsadaptionsmechanismus ist gut dokumentiert in der Sportkardiologie und erklärt auch, weshalb ausdauertrainierte Athletinnen und Athleten häufig niedrige Ruheherzraten zeigen.
Was das für Herzgesundheit und Risiko bedeutet
Eine niedrige Ruheherzfrequenz gilt in epidemiologischen Studien als Marker für bessere kardiovaskuläre Fitness und ist mit einem geringeren Risiko für Herzkrankheiten und Gesamtmortalität assoziiert. Wichtig ist hier der Unterschied zwischen Assoziation und Kausalität: Eine niedrigere Herzfrequenz spiegelt meist ein angepasstes, leistungsfähigeres Herz wider, das besser mit Stressoren umgehen kann. Die vorgestellte Studie legt nahe, dass regelmäßige körperliche Aktivität nicht nur einzelne positive Messparameter schafft, sondern die tägliche Belastungsbilanz des Herzens insgesamt verbessert.
Gleichzeitig betonen die Autorinnen und Autoren, dass extreme Ausdauerevents – etwa Ultramarathons oder sehr lange Radrennen – vorübergehend die tägliche Herzschlagzahl erhöhen und akute Belastungen erzeugen können. Für die Mehrheit der Menschen jedoch überwiegen die langfristigen Vorteile moderater, regelmäßiger Bewegung die episodischen Spitzenbelastungen.
Was das für Alltag, Prävention und Langlebigkeit heißt
Die Ergebnisse widerlegen die Vorstellung, Sport »verbrauche« Herzschläge und verkürze dadurch das Leben. Im Gegenteil: Mehr Bewegung kann die kumulative Herzarbeit senken und so möglicherweise Jahre an gesunder Lebenszeit beitragen. Aber wie groß ist der Effekt wirklich?
Betrachtet man die circa 11.500 eingesparten Schläge pro Tag bei trainierten Personen, summiert sich das auf über vier Millionen Herzschläge pro Jahr. Auf lange Sicht ist das eine erhebliche Reduktion mechanischer Beanspruchung. Natürlich ist Leben nicht nur eine Rechnung aus Schlägen: Genetik, Blutdruck, Cholesterin, Diabetes, Rauchen und viele weitere Faktoren spielen eine Rolle. Dennoch ist körperliche Aktivität eine der effektivsten, modifizierbaren Maßnahmen zur Verbesserung der kardiovaskulären Prognose.
Interessant aus Public‑Health‑Sicht ist die Erkenntnis, dass die größten relativen Gesundheitsgewinne dort erzielt werden, wo Menschen von sehr wenig Bewegung zu moderater Aktivität wechseln. Das bedeutet: Für viele lohnt es sich nicht, sofort wie ein Leistungssportler zu trainieren. Schon regelmäßiges, moderates Gehen, Radfahren oder Schwimmen reduziert die Ruherate und verbessert die Herzfunktion spürbar.
Wer profitiert am meisten?
- Menschen mit zuvor geringer körperlicher Aktivität: hohe relative Gewinne bei Umstieg auf moderate Bewegung.
- Ältere Erwachsene: Verbesserung der kardiovaskulären Reserve und oftmals bessere Erholung nach Belastung.
- Patientinnen und Patienten mit stabil kontrollierten Risikofaktoren: kombinierte Effekte mit Blutdruck- und Cholesterinsenkung.
Praktische Empfehlungen: So bringen Sie Ihr Herz auf Sparflamme
Was können Leserinnen und Leser konkret tun? Hier einige evidenzbasierte, praxisnahe Vorschläge, die sowohl Sicherheit als auch Wirksamkeit berücksichtigen:
- Setzen Sie auf Regelmäßigkeit: 150 Minuten moderates Ausdauertraining pro Woche sind ein realistisches Ziel nach WHO‑Empfehlungen. Das entspricht etwa 30 Minuten an fünf Tagen pro Woche.
- Integrieren Sie zwei mal pro Woche muskelkräftigende Übungen. Krafttraining erhöht die Metabolikeffizienz und unterstützt langfristig die körperliche Leistungsfähigkeit.
- Nutzen Sie Intervalltraining mit Vorsicht: Kurze, intensive Intervalle (z. B. 1–3 Minuten hart, 2–3 Minuten Erholung) verbessern besonders das Herz‑Schlagvolumen. Beginnen Sie langsam und steigern Sie Intensität und Dauer allmählich.
- Messen Sie Fortschritt: Zahlreiche Wearables und Brustgurte liefern 24‑Stunden‑Pulssignale. Achten Sie auf sinkende Ruhewerte und schnellere Erholungsraten nach Belastung als Indikatoren für verbesserte Fitness.
- Konsultieren Sie bei Vorerkrankungen oder bei hohen Risikofaktoren vor Trainingsbeginn Ihre Ärztin oder Ihren Arzt. Bei extrem niedrigen Ruhewerten oder Symptomen wie Schwindel oder Ohnmachtsgefühlen ist medizinische Abklärung sinnvoll.
Ein konkretes, leicht umsetzbares Beispiel: Wer bisher kaum aktiv war, kann mit drei 20‑minütigen flotten Spaziergängen pro Woche beginnen. Nach sechs bis zwölf Wochen sind erste Verbesserungen der Ruheherzfrequenz und der Erholungsfähigkeit häufig messbar.
Messmethoden und Forschungstechnologie – was wurde gemessen?
Die Studie nutzte kontinuierliche Herzfrequenzmessungen über 24 Stunden, wie sie inzwischen von medizinischen Monitoren und vielen Wearables zuverlässig bereitgestellt werden. Wichtige Messgrößen waren mittlere Herzfrequenz, minimale und maximale Werte sowie zeitliche Verläufe über Tag und Nacht. Kombinationen mit Aktivitätsdaten (Schritte, Trainingsblöcke) erlaubten die Zuordnung von erhöhten Herzfrequenzen zu konkreten Belastungsphasen.
Technisch relevant ist die Frage der Messgenauigkeit: Brustgurte liefern in der Regel exaktere Daten als optische Sensoren am Handgelenk, besonders bei intensiver Bewegung. Dennoch liefern moderne Armbänder ausreichende Werte für Trendbeobachtungen und öffentliche Gesundheitsforschung. Künftige Studien könnten zudem Echokardiographie oder kardiale MRT einbeziehen, um strukturelle Veränderungen wie ventrikuläre Volumenanpassungen genauer zu quantifizieren.
Offene Fragen und nächste Schritte in der Forschung
Trotz der klaren Befunde bleiben mehrere Fragen offen. Dazu zählen:
- Langzeitwirkung: Wie stark beeinflussen reduzierte tägliche Herzschlagzahlen die tatsächliche Lebenserwartung und Morbidität über Dekaden?
- Sportartenvergleich: Welche Trainingsformen (z. B. kontinuierliches Ausdauertraining vs. hochintensives Intervalltraining) reduzieren die kumulative Herzarbeit am effektivsten?
- Populationseffekte: Wie reagieren ältere Patientinnen und Patienten, Menschen mit Herzinsuffizienz oder Diabetes auf unterschiedliche Trainingsdosierungen?
Forschende planen längsschnittliche Studien, die nicht nur Herzfrequenz, sondern auch klinische Endpunkte wie Herzinfarkt, Herzinsuffizienz oder Sterblichkeit erfassen. Ebenso werden die Zusammenhänge zwischen Ruheherzfrequenz, Herzfrequenzvariabilität und autonomen Anpassungen weiter untersucht, um präzisere Empfehlungen zu ermöglichen.
Die aktuelle Arbeit stärkt jedoch schon heute die klinische Botschaft: Regelmäßige Bewegung ist sicher, effektiv und verbessert die tägliche Belastungsbilanz des Herzens. Für die Bevölkerung gilt weiterhin: Kleine, beständige Änderungen führen zu den größten gesundheitlichen Renditen.
Wenn Sie also bis jetzt gezögert haben, denken Sie an dieses Bild: Statt Herzschläge zu »verbrauchen«, trainieren Sie Ihr Herz darauf, sparsamer zu arbeiten – und geben ihm damit vielleicht Jahre an belastungsfreier Lebenszeit zurück.
Quelle: scitechdaily
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