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Kalorienreduzierte Mittelmeerdiät senkt Risiko für Typ‑2‑Diabetes
Eine große spanische klinische Studie zeigt, dass eine kalorienreduzierte mediterrane Ernährung in Kombination mit regelmäßiger, moderater Bewegung und professioneller Unterstützung beim Gewichtsmanagement die Inzidenz von Typ‑2‑Diabetes bei älteren Menschen mit hohem metabolischem Risiko um 31 % reduziert. Die PREDIMED‑Plus‑Studie, koordiniert von der Universidad de Navarra mit mehr als 200 Forschenden in ganz Spanien, begleitete 4.746 Teilnehmende über sechs Jahre und berichtete über deutliche Verbesserungen bei Gewicht, Taillenumfang und Diabetesprävention.
Studiendesign und Methodik
PREDIMED‑Plus (2013–2024) ist die bislang größte Ernährungsinterventionsstudie in Europa. Die multizentrische, randomisierte Studie rekrutierte Erwachsene im Alter von 55–75 Jahren, die übergewichtig oder adipös waren und die Kriterien eines metabolischen Syndroms erfüllten, jedoch keine manifeste kardiovaskuläre Erkrankung oder Diabetes in der Anamnese hatten. Die Teilnehmenden wurden zufällig einem von zwei Lebensstilprogrammen zugewiesen.
Das Studiendesign umfasste standardisierte Einschluss‑ und Ausschlusskriterien, strikte Randomisierung, regelmäßige klinische Untersuchungen inklusive Messung von Blutdruck, Lipidprofilen, Nüchternglukose und HbA1c sowie biochemische Überwachungen zur Beurteilung von Entzündungsmarkern und Leberparametern. Adhärenz wurde mit validierten Ernährungsfragebögen, physischer Aktivitätserfassung und periodischen Kontrollgesprächen bewertet. Primärer Endpunkt war die Neuerkrankung an Typ‑2‑Diabetes; sekundäre Endpunkte umfassten Änderungen von Körpergewicht, Taillenumfang, Fettverteilung, Insulinsensitivität und kardiometabolischen Risikofaktoren.
Interventionsgruppe
Die aktiv behandelte Gruppe übernahm ein mediterranes Ernährungsverhalten mit explizitem Kaloriendefizit (ca. 600 kcal/Tag weniger als der geschätzte Energiebedarf zu Studienbeginn). Die Kost basierte auf einem höheren Anteil an Gemüse, Hülsenfrüchten, Vollkornprodukten, Obst, Nüssen und nativer Olivenölkategorie („extra virgin“) sowie einer Reduktion von stark verarbeiteten Lebensmitteln und raffinierten Kohlenhydraten. Konkrete Empfehlungen umfassten Portionsvorgaben, Austausch‑Vorschläge (z. B. Vollkorn statt Weißmehl, Hülsenfrüchte statt raffinierter Snacks) und Beispiele für ausgewogene Mahlzeiten.
Zusätzlich enthielt das Programm strukturierte moderate körperliche Aktivität: zügiges Gehen, Kraft‑ und Balanceübungen mit einem schrittweisen Aufbau der Dauer und Intensität. Ein zentraler Baustein war die regelmäßige, professionelle Beratung durch geschulte Fachkräfte (Ernährungsberater, Gesundheitscoaches), die individuelle Zielvereinbarungen, Verhaltensstrategien zur Gewichtsreduktion und Techniken zur Aufrechterhaltung von Lebensstiländerungen vermittelten. Die Beratung fand initial häufig (z. B. wöchentlich oder zweiwöchentlich) und später in größeren Abständen zur Erhaltung statt.
Kontrollgruppe
Die Vergleichsgruppe erhielt Empfehlungen zur traditionellen mediterranen Ernährung, jedoch ohne explizite Kalorienziele und ohne strukturiertes Bewegungsprogramm oder intensives Gewichtsmanagement. Beide Gruppen unterlagen gleichen Prüfungen und biochemischen Kontrollen in regelmäßigen Abständen während einer medianen Nachbeobachtungszeit von etwa sechs Jahren. Diese Konstellation ermöglichte, den zusätzlichen Effekt von Kalorienrestriktion, Bewegung und gezielter Verhaltensberatung gegenüber der bereits kardioprotektiven mediterranen Kost zu beurteilen.
Wesentliche Ergebnisse und klinische Endpunkte
Über den Studienzeitraum verringerte die Kombination aus kalorienreduzierter Diät, Bewegung und professioneller Unterstützung das relative Risiko, an Typ‑2‑Diabetes zu erkranken, um 31 % im Vergleich zur Standard‑Mittelmeerdiät ohne diese Ergänzungen. In absoluten Zahlen verhinderte die Intervention etwa drei neue Diabetesfälle pro 100 Teilnehmende während der Nachbeobachtung, was einer absoluten Risikoreduktion von knapp 3 % und einer Number Needed to Treat (NNT) von rund 33 entspricht.
Teilnehmende in der intensiven Interventionsgruppe verloren im Mittel deutlich mehr Gewicht und reduzierten die zentrale Adipositas: Der mittlere Gewichtsverlust betrug 3,3 kg und der mittlere Rückgang des Taillenumfangs 3,6 cm, gegenüber 0,6 kg und 0,3 cm in der Kontrollgruppe. Solche moderaten, aber anhaltenden Verbesserungen der Körperzusammensetzung wirkten vermutlich als Hauptmediatoren des präventiven Effekts, da sie die Insulinsensitivität steigern und entzündliche Prozesse vermindern können.
Weitere gemessene Effekte zeigten tendenzielle Verbesserungen in kardiometabolischen Parametern: leichte Reduktionen des systolischen Blutdrucks, günstigere Lipidprofile (z. B. erhöhter HDL‑Cholesterinanteil, niedrigere Triglyzeride) und abgesenkte Entzündungsmarker wie C‑reaktives Protein (CRP). Diese Veränderungen unterstützen die biologische Plausibilität, dass eine Kombination aus Energiereduktion, Ernährungsqualität und Bewegung systemische Risikofaktoren moduliert.
„Diabetes ist das erste belastbare klinische Ergebnis, für das wir mit der besten verfügbaren Evidenz zeigen konnten, dass die mediterrane Ernährung kombiniert mit Kalorienreduktion, körperlicher Aktivität und Gewichtsabnahme ein sehr wirksames Präventionsinstrument ist,“ sagte Professor Miguel Ángel Martínez‑González, einer der leitenden Studienleiter. Die Ergebnisse bauen auf früheren PREDIMED‑Analysen auf, die eine kardiovaskuläre Risikoreduktion durch mediterrane Muster mit nativen Olivenöl‑ oder Nussanreicherung nachgewiesen hatten.
Wissenschaftlicher Kontext und Wirkmechanismen
Der Typ‑2‑Diabetes entsteht durch ein Zusammenspiel von Insulinresistenz, Verlust der Betazellfunktion und chronisch niedriggradiger Entzündung — Prozesse, die durch überschüssige Fettmasse und eine ungesunde Ernährung beschleunigt werden. Die mediterrane Ernährung ist reich an einfach ungesättigten Fettsäuren (z. B. aus Olivenöl), Polyphenolen (antioxidative Pflanzenstoffe) und Ballaststoffen, welche die Lipidprofile verbessern, oxidativen Stress reduzieren und die Diversität des Darmmikrobioms fördern. Solche Komponenten können die metabolische Gesundheit über mehrere Mechanismen begünstigen.
Kalorienrestriktion und gesteigerte körperliche Aktivität senken v. a. das viszerale Fett, reduzieren Lipotoxizität und verbessern die Muskelglykoseaufnahme — zentrale Faktoren zur Wiederherstellung der Insulinsensitivität. Auf molekularer Ebene beeinflussen diese Maßnahmen Adipokine (z. B. Adiponectin), inflammatorische Zytokine (z. B. Interleukin‑6, TNF‑α) und Signalwege in Leber und Muskel, die den Glukosestoffwechsel steuern.
Durch die Kombination von Verbesserung der Ernährungsqualität, Energierestriktion und strukturiertem Training zielte PREDIMED‑Plus sowohl auf die metabolischen Treiber als auch auf die verhaltensbezogenen Determinanten des Diabetesrisikos. Ein weiterer Schlüsselfaktor war die koordinierte Beratung: Häufige, individuell zugeschnittene Unterstützung durch geschultes Personal half den Teilnehmenden, Ernährungsziele in nachhaltige Alltagsgewohnheiten zu überführen — ein entscheidender Punkt für eine langfristige Primärprävention.
Öffentliche Gesundheitsrelevanz und Skalierbarkeit
Weltweit leben mehr als 530 Millionen Menschen mit Diabetes, die Mehrheit mit Typ‑2‑Diabetes. Faktoren wie Urbanisierung, sitzende Lebensweisen und zunehmende Adipositasraten haben zu einem raschen Anstieg der Erkrankungen geführt. PREDIMED‑Plus demonstriert eine pragmatische, evidenzbasierte Präventionsstrategie, die in primärärztliche Leistungen und kommunale Gesundheitsprogramme integriert werden könnte, um neue Diagnosen in Risikogruppen zu verringern.
Eine Umsetzung in großem Maßstab erfordert jedoch politisches Engagement und strukturelle Veränderungen: besseren Zugang zu gesunden Lebensmitteln (z. B. Subventionen für Gemüse und Vollkornprodukte), städtische Planung, die körperliche Aktivität fördert (Fahrradwege, Parks), sowie die Ausbildung von Gesundheitsfachkräften in verhaltensorientierter Beratung. Begleitende Gesundheitsökonomie‑Analysen sind notwendig, um Kosten‑Nutzen‑Verhältnisse, Einsparpotenziale im Gesundheitswesen und langfristige Budgeteffekte abzuschätzen.
Editorials zur Studie betonten, dass eine Übertragbarkeit des mediterranen Ansatzes in nicht‑mediterrane Kulturen Anpassungen an lokale Esskulturen, Verfügbarkeit von Zutaten und strukturelle Hürden erfordert — etwa Ernährungsunsicherheit, eingeschränkter Zugang zu Grünflächen und ungleiche Präventionsangebote. Kulturell sensible Programme, die lokale Lebensmittel integrieren und leistbare Empfehlungen geben, erhöhen die Annahme und Nachhaltigkeit.
Auch bei zunehmender Aufmerksamkeit für neue pharmakologische Optionen gegen Adipositas und Diabetes unterstreichen die PREDIMED‑Plus‑Daten den nach wie vor hohen Wert multimodaler Lebensstilinterventionen. Wenn diese Maßnahmen unterstützend und kultursensitiv umgesetzt werden, können bereits moderate, beständige Veränderungen in Ernährung und Aktivität messbare Reduktionen von Erkrankungsrisiken und Versorgungsaufwand bewirken.
Expertinnen‑ und Experteneinschätzung
„Die PREDIMED‑Plus‑Ergebnisse bestätigen einen zentralen Grundsatz: Die Qualität der Ernährung zählt, aber erst die Kombination mit Kalorienkontrolle und Bewegung macht eine Ernährungsweise in messbare Prävention gegen Typ‑2‑Diabetes umsetzbar,“ erklärte Dr. Elena Roberts, Public‑Health‑Ernährungswissenschaftlerin am Imperial College London. „Praktisch gelingt die Intervention, weil sie erreichbare Verhaltensänderungen betont — kurze tägliche Spaziergänge, den Austausch raffinierter Kohlenhydrate gegen Hülsenfrüchte und Vollkorn sowie regelmäßige Nachsorge durch einen geschulten Coach. Diese Elemente lassen sich auf viele Gesundheitssysteme übertragen, wenn in Zugang und Ausbildung investiert wird.“
Fachleute heben hervor, dass eine erfolgreiche Implementierung neben individueller Beratung auch systemische Maßnahmen benötigt: Rezeptprogramme für gesunde Lebensmittel, finanzielle Anreize für Präventionsmaßnahmen, interdisziplinäre Teams in der Primärversorgung und Monitoring‑Systeme zur Messung von Outcomes und Adhärenz.
Verwandte Technologien und künftige Forschungsrichtungen
Digitale Werkzeuge, Ferncoaching und mobile Gesundheitsplattformen können Reichweite erhöhen und Kosten für Interventionen nach dem PREDIMED‑Plus‑Modell senken. Apps zur Erfassung der Ernährungsqualität, personalisierte Ernährungspläne, Aktivitätsmonitoring und Telemedizin‑Sitzungen können die Beratungs‑ und Nachsorgekomponente unterstützen. Wearables, die Gehstrecken, Herzfrequenz und Aktivitätsniveaus tracken, sowie Plattformen zur automatisierten Rückmeldung über Fortschritte, können die Eigenverantwortung stärken.
Kombinierte Ansätze, die kommunale Ernährungsprogramme, städtische Infrastruktur für Bewegung und digitale Unterstützungsangebote integrieren, könnten die Implementierung in unterschiedlichen Kontexten beschleunigen. Ergänzende Studien könnten Kosten‑Wirksamkeits‑Analysen, Barriereanalysen und Implementierungsforschung in vulnerablen Populationen liefern.
Forschende planen, sekundäre Endpunkte und Subgruppenanalysen innerhalb von PREDIMED‑Plus zu untersuchen, um zu identifizieren, welche Teilnehmenden am stärksten profitieren und ob einzelne Komponenten — Ernährungszusammensetzung, Kaloriendefizit oder körperliche Aktivität — den größten Anteil am Effekt haben. Langfristige Nachbeobachtungen sollen klären, ob die Diabetesprävention zu abnehmenden kardiovaskulären Ereignissen, besserer renaler Gesundheit und niedrigerer Mortalität führt.
Fazit
PREDIMED‑Plus liefert hochwertige Evidenz, dass eine kalorienreduzierte mediterrane Ernährung, kombiniert mit moderater körperlicher Aktivität und professioneller Unterstützung zur Gewichtsreduktion, das Risiko für Typ‑2‑Diabetes bei älteren Erwachsenen mit metabolischem Risiko deutlich senken kann. Die Studie betont eine kosteneffiziente, kulturell akzeptable Präventionsstrategie, die in die Primärversorgung übernommen und an lokale Gegebenheiten angepasst werden kann. Zusammen mit politischen Maßnahmen zur Verbesserung von Ernährungsumgebungen und Bewegungsinfrastruktur könnten solche lebensstilbasierten Interventionen eine bedeutende Rolle dabei spielen, den globalen Trend von Diabetes und Adipositas zu stoppen und langfristig die Belastung des Gesundheitswesens zu verringern.
Quelle: sciencedaily
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