Herzgesundheit: Trainingsgewinne bei Frauen und Männern

Neue Studien zeigen geschlechtsspezifische Unterschiede bei den kardiovaskulären Effekten von Bewegung. Frauen erzielen oft höhere Herzgesundheitsgewinne pro Trainingsminute, Männer profitieren von mehr Gesamtzeit.

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Herzgesundheit: Trainingsgewinne bei Frauen und Männern

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Neue Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Männer und Frauen nicht unbedingt identische kardiovaskuläre Effekte aus denselben Trainingsgewohnheiten ziehen. Während das bekannte Ziel von 150 Minuten moderater körperlicher Aktivität pro Woche weiterhin als nützliche Orientierung gilt, beeinflussen geschlechtsspezifische biologische Unterschiede offenbar, wie viel Nutzen jede einzelne Minute Bewegung tatsächlich bringt. Diese Differenz betrifft nicht die grundlegende Empfehlung zur Bewegung, sondern vielmehr die Dosis-Wirkungs-Beziehung: wie Intensität, Dauer und Häufigkeit in messbare Verbesserungen der Herzgesundheit umgesetzt werden können. Zusätzlich zu physiologischen Faktoren spielen auch Lebensstil, Belastbarkeit, Vorerkrankungen und soziale Rahmenbedingungen eine Rolle, wenn es darum geht, wie Training in den Alltag integriert und welche gesundheitlichen Effekte daraus resultieren.

Was die Daten zeigen

Mehrere bevölkerungsbasierte Studien und Metaanalysen weisen darauf hin, dass Frauen, die die aktuellen Aktivitätsempfehlungen erreichen, pro Trainingsminute häufiger größere kardiovaskuläre Vorteile erzielen als Männer. Konkret zeigen Messungen zu kardiorespiratorischer Fitness (z. B. VO2max), Blutdrucksenkung, Verbesserung der Endothelfunktion und Reduktion metabolischer Risikofaktoren bei Frauen oft steilere initiale Verbesserungsraten. Das ist eine relevante Erkenntnis für Menschen mit knappem Zeitbudget: Kürzere, effiziente Einheiten – etwa hochwertiges Intervalltraining oder gezielte Kraftausdauer – können für Frauen relativ gesehen größere Herz-Schutzeffekte pro Zeiteinheit bringen.

Wichtig ist, dass diese Befunde aus unterschiedlichen Datentypen stammen: von beobachtenden Kohorten, in denen Aktivität häufig per Fragebogen oder accelerometerbasiert erfasst wurde, bis zu Interventionsstudien mit definierten Trainingsprotokollen. Unterschiede in der Messmethodik, Altersstruktur der Teilnehmenden, Vorerkrankungen und medikamentöser Behandlung wirken als mögliche Störfaktoren. Dennoch ergibt sich ein konsistentes Signal: Die Form der Dosis-Wirkungs-Kurve unterscheidet sich zwischen den Geschlechtern, wobei Frauen oft einen höheren Anfangsgewinn pro investierter Trainingsminute zeigen.

Warum das für Männer und Frauen unterschiedlich relevant ist

Für Männer zeigt sich häufig ein anderes Muster: Die kardio-protektiven Effekte steigen weiter mit zunehmender Gesamtzeit an wöchentlicher Aktivität, sodass die Akkumulation von Trainingsminuten über die Woche hinweg typischerweise bessere Ergebnisse bringt. Das bedeutet nicht, dass Frauen von längeren Einheiten nichts haben; vielmehr ist die Relation zwischen Zeiteinsatz und Nutzen unterschiedlich verteilt. Bei Männern scheint die Kurve oft linearer oder progressiver anzusteigen, während Frauen in vielen Analysen einen höheren Nutzen zu Beginn der Aktivitätszunahme erreichen.

Mehrere biologische Mechanismen können solche Unterschiede erklären. Hormonelle Einflüsse – insbesondere Östrogene und deren Wirkung auf Gefäßfunktion und Entzündungsprozesse – modulieren kardiovaskuläre Anpassungen an Bewegung. Unterschiede in Körperzusammensetzung (Muskelmasse, Fettverteilung), mitochondrialer Funktion, autonomen Reaktionen (Herzfrequenzvariabilität) und Gefäßreaktivität spielen ebenfalls eine Rolle. Darüber hinaus können soziale und verhaltensbezogene Faktoren, wie Trainingspräferenzen, Alltagsbelastungen und Erholungsmuster, die beobachteten Ergebnisse mitbestimmen.

Aus praktischer Sicht bedeutet das: Für Männer kann das regelmäßige Sammeln zusätzlicher Minuten – durch längere Cardio-Einheiten, zusätzliche Trainingstage oder eine erhöhte Alltagsbewegung – langfristig größere relative Verbesserungen bringen. Für Frauen kann die Optimierung von Intensität und Struktur (z. B. strukturierte Intervalle, Krafttraining zur Unterstützung metabolischer Gesundheit) besonders effizient sein, um maximale Herzgesundheit in begrenzter Zeit zu erzielen.

Biologie, Politik und Rehabilitation

Beide Geschlechter profitieren eindeutig von regelmäßiger körperlicher Aktivität: Reduzierte Sterblichkeit, niedrigere Inzidenz von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, verbesserte Blutfettwerte und bessere Stoffwechselkontrolle gehören zu den belegten Effekten. Was sich jedoch ändert, ist das Ausmaß und die Geschwindigkeit dieser Effekte in Abhängigkeit von individuellen Eigenschaften. Biologische Unterschiede – von Genetik über Hormone bis zur Muskelphysiologie – beeinflussen, wie Intensität, Dauer und Trainingsform in kardiale Verbesserungen umgesetzt werden.

Aktuelle kardiologische Rehabilitationsprogramme und Verordnungssysteme legen meist einheitliche Zielgrößen für Männer und Frauen fest, beispielsweise die Empfehlung zu mindestens 150 Minuten moderater Aktivität pro Woche sowie ergänzendem Krafttraining. Die hier diskutierten Erkenntnisse deuten darauf hin, dass eine stärker individualisierte Herangehensweise sinnvoll sein könnte: Ziele sollten nach Startniveau, physiologischer Reaktion, Gesundheitszustand und Lebensumständen angepasst werden. Personalisierte Reha-Programme könnten etwa differenzierte Vorgaben zur Intensität (moderate vs. hochintensive Intervalle), zum zeitlichen Aufbau (Progressionspläne) und zur Kombination von Ausdauer- und Krafttraining enthalten.

Auf politischer Ebene eröffnet dies Fragen zur Gestaltung von Leitlinien und Abrechnungsmodellen: Wären geschlechtsspezifische oder zumindest individualisierte Empfehlungen praktikabel und evidenzbasiert? Klinische Studien, die gezielt geschlechtsspezifische Ziele testen, könnten Richtlinien für die Herz-Rehabilitation und die Prävention deutlich beeinflussen. Auch die Ausbildung von Therapeutinnen und Therapeuten, digitale Gesundheitsangebote und standardisierte Assessments (z. B. Belastungstests, funktionelle Messgrößen) müssten entsprechend angepasst werden, um personalisierte Programme umzusetzen.

Praktische Schlussfolgerungen

  • Streben Sie nach den Basisempfehlungen von mindestens 150 Minuten moderater Aktivität pro Woche, ergänzt durch Krafttraining an zwei Tagen pro Woche, wenn gesundheitlich möglich. Diese Empfehlung bleibt ein wichtiger Ausgangspunkt für die allgemeine Herzvorsorge und die Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen.
  • Wenn die Zeit knapp ist, können Frauen von kürzeren, hochwirksamen Einheiten besonders profitieren. Hochintensive Intervalltrainings (HIIT), kombinierte Ausdauer- und Kraftprogramme oder strukturierte Kurzworkouts liefern oft hohe kardiovaskuläre Wirkungen pro Minute. Effizienz-orientierte Trainingspläne sind eine praktikable Option für Berufstätige, Eltern oder Menschen mit eingeschränkter Zeit.
  • Männer sollten darauf achten, die Gesamtdauer der wöchentlichen Aktivität beständig zu erhöhen und verschiedene Aktivitätstypen zu mischen – Ausdauertraining, Widerstandsübungen und bewegungsfreundliche Alltagsstrategien. Ein gradueller Aufbau, der Überlastungen vermeidet, führt langfristig zu robusteren Herz-Kreislauf-Effekten.
  • Unabhängig vom Geschlecht gilt: Sitzende Zeit reduzieren ist zentral. Häufige kurze Bewegungsunterbrechungen, Gehen in Pausen, Steharbeitsplätze und mehr Tagesaktivität unterstützen die Herzgesundheit zusätzlich zu strukturiertem Training.

Was Forschende noch herausfinden wollen

Offene Fragen sind vielfältig: Können spezifische Trainingsformen, wie unterschiedliche Kombinationen aus moderater Aktivität, HIIT und Krafttraining, die geschlechtsspezifischen Unterschiede verringern? Wie beeinflussen Alter, Menopausenstatus, Testosteronspiegel, genetische Marker und Komorbiditäten die Reaktion auf Bewegung? Und wie gut funktionieren personalisierte Rehabilitationsprogramme in realen klinischen Versorgungssettings im Vergleich zu standardisierten Programmen?

Methodische Aspekte sind ebenfalls zentral. Zukunftige Studien sollten möglichst randomisiert und kontrolliert sein, Geschlecht und Geschlechtssteroidstatus berücksichtigen, sowie objektive Aktivitätsmessungen (z. B. Beschleunigungssensoren) einsetzen. Langfristige Endpunkte wie kardiovaskuläre Ereignisse, Hospitalisierungen und Sterblichkeit sind nötig, um klinisch relevante Aussagen treffen zu können. Daneben ist die Adhärenz an Trainingsprogramme ein entscheidender Faktor: Digitale Unterstützung, Verhaltensinterventionen und soziale Begleitung können die Wirksamkeit in der Praxis erhöhen.

Sollten zukünftige randomisierte Studien geschlechtsspezifische Zielwerte unterstützen, könnten Leitlinien für Prävention und Rehabilitation angepasst werden: maßgeschneiderte Empfehlungen für Trainingsdauer, Intensität und Häufigkeit würden die Effizienz von Interventionen erhöhen und Ressourcen im Gesundheitswesen besser nutzen. Bis dahin bleibt die zentrale Botschaft: Bewegung ist einer der stärksten, evidenzbasierten Hebel zur Verbesserung der Herzgesundheit — und die optimale Umsetzung sollte individuell, sicher und nachhaltig erfolgen.

Quelle: sciencealert

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