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Seit Jahrzehnten versuchen Wissenschaftler, die ungewöhnlich stark magnetischen Regionen einiger Mondgesteine – insbesondere auf der erdabgewandten Seite nahe des Südpols – zu erklären. Im Gegensatz zur Erde, deren kräftiges, globales Magnetfeld durch den flüssigen äußeren Kern erzeugt wird, ist das Magnetfeld des Mondes nur schwach und ungleichmäßig; es konzentriert sich hauptsächlich in der Kruste. Wie ist es also möglich, dass einzelne Mondgesteine eine viel stärkere Magnetisierung aufweisen, als das Gesamtbild erwarten lässt?
Frühere Forschungen und überraschende Apollo-Befunde
Die erste eingehende Untersuchung des Mondmagnetismus begann 1959 mit dem sowjetischen Luna-1-Projekt, das das Fehlen eines bedeutenden globalen Magnetfeldes bestätigte. Spätere Satellitenmessungen und von den Apollo-Astronauten zurückgebrachte Mondproben zeigten zwar schwache, aber lokal begrenzte Magnetfelder in der Kruste, vermutlich beeinflusst durch Sonnenwind und kosmische Strahlung. Analysen ausgewählter Apollosteine wiesen jedoch darauf hin, dass diese ursprünglich in viel stärkeren Magnetfeldern entstanden sein müssen – ein Befund, der mit den derzeitigen Bedingungen auf dem Mond nicht übereinstimmt.
Diese Diskrepanz führte zu anhaltenden Debatten über die Ursache: Hatte der Mond früher ein starkes globales Magnetfeld (einen sogenannten Mond-Dynamo), oder waren gewaltige Einschläge wie Asteroideneinschläge verantwortlich für vorübergehende magnetische Verstärkungen?
Neue Erkenntnisse: Katastrophale Einschläge und Plasmaschwaden
Ein Forschungsteam unter Leitung von Planetarwissenschaftlern des Massachusetts Institute of Technology (MIT) hat nun eine neue Erklärung vorgestellt, die das Rätsel um den Magnetismus des Mondes lösen könnte. Aktuelle, peer-reviewte Studien zeigen, dass massive Einschläge – groß genug, um gewaltige Krater zu schaffen – das damalige, ohnehin schwache Magnetfeld des Mondes kurzfristig durch die Erzeugung riesiger Plasmaschwaden verstärken konnten.
Wie Dr. Isaac Narrett, Hauptautor und Planetarwissenschaftler am MIT, erklärt, zeigen Simulationen, dass bei einem ausreichend großen Asteroideneinschlag riesige Mengen Mondmaterial verdampfen. Daraus entsteht eine sich schnell ausbreitende Plasmacloud, die für etwa 40 Minuten mit dem schwachen, vorhandenen Magnetfeld des Mondes interagiert und dieses kurzzeitig so verstärkt, dass anliegende Gesteine magnetisiert werden.
"Viele Aspekte des Mondmagnetismus sind lange ungeklärt geblieben. Unsere Studie demonstriert, dass kurzzeitige Prozesse – besonders auf der erdabgewandten Seite – für die starken magnetischen Anomalien verantwortlich sein könnten, die von Mondsonden gemessen wurden", erläutert Narrett.
Das Imbrium-Einschlagsbecken neu betrachtet
Das riesige Mare-Imbrium-Becken gilt als Schlüsselfall. Denn die Region mit besonders stark magnetisierten Gesteinen am südlichen Mondpol liegt nahezu exakt am Antipodenpunkt des Mare Imbrium – also der gegenüberliegenden Seite der Mondoberfläche. Den MIT-Simulationen zufolge könnte die Schockwelle dieses gewaltigen Einschlags das Mondinnere durchquert und ausgerechnet im südlichen Polargebiet auf der Rückseite gebündelt haben. Dort hätte die Kombination aus Schockwelle und Plasmaschwade das lokale Magnetfeld zum Zeitpunkt des Erstarrens massiv verstärkt.
"Es ist vergleichbar damit, als würde man ein Kartenspiel mit winzigen Magneten durch ein kurzzeitig starkes Magnetfeld wirbeln", beschreibt MIT-Koautor Benjamin Weiss. "Wenn die Karten landen, richten sie sich nach dem verstärkten Feld aus – und dieser Magnetisierungszustand bleibt im Gestein erhalten."
Mondmagnetismus: Zusammenspiel von Dynamo und Einschlag
Die neuen MIT-Modelle setzen voraus, dass der Mond früh in seiner Geschichte einen Dynamo besaß – vermutlich durch einen teilweise flüssigen Kern bedingt –, der ein schwaches Magnetfeld generierte, etwa nur 2% so stark wie das der Erde heute. Die Forscher fanden heraus, dass große Meteoriteneinschläge in Kombination mit diesem existierenden (wenn auch schwachen) Feld die hohe Magnetisierung bestimmter Mondgebiete besser erklären als bisherige Modelle.
Damit wird der Gegensatz zweier Haupttheorien überbrückt: Der Mondmagnetismus entstand weder ausschließlich durch einen urzeitlichen Dynamo noch allein durch Einschläge, sondern wurde durch das Zusammenspiel beider Prozesse maßgeblich geprägt. Ein vorhandener Dynamo legte den Grundstein, seltene, hochenergetische Einschläge lieferten den auslösenden Impuls für die lokal starke Magnetisierung im Mondgestein.
Zukünftige Missionen und Überprüfung – das Artemis-Zeitalter
Mit Blick auf das Artemis-Programm der NASA, das Astronauten zum Mondsüdpol schicken wird, sind die Voraussetzungen zur Lösung des Magnetismus-Rätsels so gut wie nie. Wissenschaftler hoffen, durch neu gewonnene Mondproben aus magnetisch auffälligen Gebieten – insbesondere am südlichen Mondpol der Rückseite – endgültige Belege für das Modell der Plasmaverstärkung durch Einschlag zu erhalten. Solche Missionen werden nicht nur die neuesten Theorien prüfen, sondern auch unser Verständnis der Mondgeophysik vertiefen und womöglich neue Erkenntnisse zu magnetischen Erscheinungen auf anderen Gesteinsplaneten liefern.
Fazit
Das Rätsel um die stark magnetisierten Mondgesteine scheint gelöst: Ein kurzer, explosiver Vorgang in der Vergangenheit des Mondes – eine Katastrophe durch einen großen Einschlag gepaart mit einem schwachen urzeitlichen Dynamo – hinterließ im Mondgestein unerwartet starke Magnetspuren. Mit den kommenden Mondmissionen könnten sich diese Erkenntnisse bestätigen und zeigen erneut, dass die Planetologie einem Detektivspiel gleicht: Jede Probe bringt uns der Entschlüsselung der dramatischen Entwicklungsgeschichte des Mondes und der kosmischen Prozesse, die seine magnetisierte Oberfläche prägten, einen Schritt näher.
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