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Ein globales Blutgruppen-Rätsel: Jenseits von AB0 und Rhesus

Ein globales Blutgruppen-Rätsel: Jenseits von AB0 und Rhesus

2025-07-10
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Das verborgene Spektrum der Blutgruppen: Mehr als AB0 und Rh

Obwohl die meisten Menschen mit den gängigen Blutgruppen—A, B, AB und 0 sowie dem Rhesusfaktor (positiv oder negativ)—vertraut sind, reicht die Vielfalt menschlicher Blutgruppen weit darüber hinaus. Die bekannten Kategorien decken lediglich zwei von mittlerweile über 40 Blutgruppensystemen ab, die durch feine, aber entscheidende molekulare Unterschiede auf der Oberfläche der roten Blutkörperchen gekennzeichnet sind.

Die Bedeutung der Blutgruppenkompatibilität geht weit über sichere Bluttransfusionen hinaus. Ein aktueller Fall in Guadeloupe brachte die Wissenschaft an ihre Grenzen und führte zur Entdeckung der wahrscheinlich seltensten Blutgruppe der Welt—ein Befund, der das Verständnis der Genetik und Transfusionsmedizin grundlegend erweitert.

Auflösung eines medizinischen Rätsels: Fortschrittliche Genetik und Kompatibilitätssuche

Der medizinische Fall begann mit einer Patientin aus Guadeloupe, deren Blut mit keinem bekannten Spender kompatibel war. Standardmethoden zur Blutgruppenbestimmung brachten kein Ergebnis, sodass Forscher modernste genetische Analysemethoden einsetzten. Mithilfe des sogenannten Whole-Exome-Sequencing, das über 20.000 menschliche Gene erfasst, identifizierte das Team eine einzigartige Mutation im Gen PIGZ.

Die Bedeutung des PIGZ-Gens

PIGZ kodiert ein Enzym, das entscheidend an den letzten Schritten der Synthese von Glycosylphosphatidylinositol (GPI) beteiligt ist. Dieses komplexe Molekül verankert wichtige Proteine und Zucker an Zellmembranen. Aufgrund des fehlenden Zuckermoleküls kam es zu einer bislang unbekannten Molekülstruktur auf den roten Blutkörperchen, was zur Entdeckung eines neuen Antigens zur Definition einer neuen Blutgruppe führte.

Dieses Antigen wurde als „Gwada-positiv“ (vorhanden) oder „Gwada-negativ“ (fehlend) eingestuft. Durch gentechnische Zellmodifikation konnten Forscher den PIGZ-Defekt im Labor nachweisen: Alle getesteten Spender waren Gwada-positiv, während die Patientin aus Guadeloupe weltweit als einzige Gwada-negative Person gilt.

Gesundheitliche Auswirkungen: Genetik, Bluttransfusionen und mehr

Die Entdeckung der Gwada-Blutgruppe wirkt sich nicht nur auf Transfusionsmedizin aus. Neben den Kompatibilitätsproblemen leidet die Patientin an einer leichten geistigen Beeinträchtigung und dem Verlust zweier Neugeborener—ein Schicksal, das möglicherweise mit der seltenen genetischen Mutation zusammenhängt.

Zusammenhang zu GPI-Mangel-Erkrankungen

Fachliteratur belegt, dass Defekte in Enzymen, die an der GPI-Biosynthese beteiligt sind, häufig neurologische Störungen wie Entwicklungsverzögerungen und Krampfanfälle verursachen. Frauen mit Störungen im GPI-Stoffwechsel weisen zudem ein erhöhtes Risiko für Totgeburten auf—ein Muster, das sich auch im Fall aus Guadeloupe widerspiegelt und die enge Verbindung zwischen Genetik und klinischen Symptomen verdeutlicht.

Das genetische Spektrum der Blutgruppen: Vielfalt und medizinische Herausforderungen

Blutgruppen sind evolutionär entstanden und stellen einen Schutzmechanismus gegen Infektionskrankheiten dar—viele Krankheitserreger nutzen diese Molekülstrukturen, um Zellen anzugreifen. Deshalb beeinflussen Blutgruppen nicht nur die Verträglichkeit bei Blutübertragungen, sondern auch die Anfälligkeit für bestimmte Infektionen.

Bei extrem seltenen Blutgruppen wie Gwada-negativ gestalten sich Diagnostik und Behandlung als besonders schwierig. Französische Forschende geben an, nicht vorhersagen zu können, wie das Immunsystem der Patientin auf Gwada-inkompatibles Blut reagieren würde, und konnten bislang auch weltweit keine weiteren Gwada-negativen Spender ausfindig machen.

Zukunftstechnologien: Blut aus dem Labor und personalisierte Medizin

Die Seltenheit von Blutgruppen wie Gwada fordert innovative Ansätze heraus. Die Biotechnologie und regenerative Medizin ermöglichen es zunehmend, rote Blutkörperchen aus Stammzellen im Labor zu züchten und gezielt genetisch so zu verändern, dass gewünschte oder unerwünschte Blutgruppenmerkmale wie das PIGZ-Antigen ein- oder ausgeschaltet werden. Damit könnte es in Zukunft möglich sein, kompatibles Blut für seltenste Blutgruppen maßgeschneidert und sicher herzustellen.

Gwada in der Blutgruppen-Typisierung: Bedeutung und kultureller Kontext

Die Gwada-Blutgruppe wurde inzwischen offiziell als eine von 48 Blutgruppensystemen durch die Internationale Gesellschaft für Bluttransfusion anerkannt. Ihr Name leitet sich vom umgangssprachlichen „Gwada“ für Menschen aus Guadeloupe ab, steht aber zugleich für eine wissenschaftliche Sensation mit weltweiter Relevanz.

Mit fortschreitender genetischer Diagnostik erwarten Fachleute die Entdeckung weiterer seltener Blutgruppen. Diese Entwicklung verspricht ein größeres Verständnis der biologischen Vielfalt, stellt die Transfusionsmedizin aber auch vor neue Herausforderungen, insbesondere im Bereich der personalisierten Medizin.

Fazit

Die Entdeckung der Gwada-Blutgruppe gilt als Meilenstein in Hämatologie und Humangenetik. Sie verdeutlicht, wie sehr genetische Vielfalt die Medizin prägt und wie wichtig kontinuierliche Forschung, innovative Therapien wie die Gen-Editierung und die kulturelle Einbettung wissenschaftlicher Erkenntnisse sind. Mit jedem neuen Wissensgewinn kommen wir einer sichereren, wirksameren und integrativeren Gesundheitsversorgung näher.

Quelle: theconversation

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