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Cyborg-Insekten revolutionieren Rettungseinsätze bei Katastrophen
Bei Naturkatastrophen wie Erdbeben, Grubenunglücken oder dem Einsturz von Gebäuden zählt das Auffinden von Verschütteten zu den größten Herausforderungen für Rettungskräfte. Fortschrittliche Forschung rückt nun einen überraschenden Helden in den Fokus: Cyborg-Käfer, ausgestattet mit moderner Fernsteuerungstechnologie, versprechen eine echte Innovation für Such- und Rettungseinsätze.
Ein internationales Forschungsprojekt, an dem die University of Queensland und die University of New South Wales in Australien sowie die Nanyang Technological University in Singapur beteiligt sind, hat sogenannte „ZoBorgs“ entwickelt. Diese Cyborg-Käfer überwinden anspruchsvolles Gelände, das selbst für hochentwickelte Rettungsroboter unzugänglich bleibt.
Wissenschaftliche Grundlagen und technologische Durchbrüche
Zentrales Element der Forschung sind Schwarzkäfer der Art Zophobas morio, besser bekannt als „Superwürmer“ in ihrem Larvenstadium. Diese Insekten, etwas über 3 Zentimeter lang, verfügen über herausragende natürliche Fähigkeiten wie flexible, haftende Fußpolster und kräftige Greifklauen, wodurch sie enge und unübersichtliche Räume passieren können, die für herkömmliche Roboter unzugänglich sind. Mit Mikrochips ausgestattete „Rucksäcke“ erlauben es Forschern, gezielte elektrische Impulse an Antennen und Flügeldecken (Elytren) der Käfer zu senden.
Dieses System ermöglicht eine präzise Fernsteuerung der Cyborg-Insekten. Wissenschaftler können über elektrische Stimulation der Antennen Richtungswechsel, Stopps oder sogar Rückwärtsbewegungen auslösen. Die gezielte Aktivierung beider Elytren führt zur Beschleunigung nach vorn, während die Ansteuerung nur einer Flügeldecke seitliche Bewegungen ermöglicht. Die Steuerung erfolgt über Videospiel-Controller und sorgt so für eine intuitive Navigation auch in schwer zugänglichen Katastrophengebieten.

Leistung und Vorteile gegenüber konventionellen Robotern
Die in Advanced Science veröffentlichte Studie beschreibt beeindruckende Ergebnisse: Die ZoBorgs überwanden Hindernisse in Körpergröße mit einer Erfolgsquote von 92 % – ein bedeutender Vorteil bei Trümmerlandschaften. Der Übergang von horizontalen zu vertikalen Oberflächen gelang in 71,2 % der Fälle und übertraf damit bestehende Mini-Roboter und frühere Cyborg-Insektenmodelle deutlich.
Ingenieur Lachlan Fitzgerald von der University of Queensland erklärt: „Kleine Roboter stoßen beim Wechsel von ebenem Boden auf Wände oft an ihre Grenzen. ZoBorgs meistern diese Übergänge mühelos – dank jahrelanger evolutionärer Entwicklung.“ Dadurch eignen sich Cyborg-Käfer besonders für Einsätze, bei denen Feingefühl und Vielseitigkeit gefragt sind, um verschüttete Personen zu erreichen.
Biologische Eigenschaften und Potenzial über die Rettung hinaus
Schwarzkäfer sind nicht nur technisch bemerkenswert, sondern auch biologisch vielseitig: In manchen Kulturen gelten sie als proteinreiches Lebensmittel. Die Larven – die Superwürmer – können sogar Polystyrol verdauen, ein weitverbreiteter Kunststoff. Obwohl eine solche Nahrung auf Dauer ungesund für die Käfer ist, eröffnet die Erforschung ihrer Verdauung einzigartige Chancen zur Entwicklung neuer Ansätze im Kampf gegen Plastikmüll.
Darüber hinaus ersetzt der Einsatz lebender Roboter viele komplizierte mechanische Komponenten. Statt komplexer Sensorik und Aktorik nutzen Cyborg-Käfer ihre natürlichen Sinnesfähigkeiten – darunter mechanische Rezeptoren im Exoskelett und empfindliche Sensoren an den Beinen, die Vibrationen und Berührungen erkennen. Diese Eigenschaften machen sie zu idealen Akteuren für unübersichtliche und unsichere Umgebungen nach Naturkatastrophen.

Perspektiven: Autonomie und erweiterte Sensorik
Für die Zukunft der Cyborg-Insektentechnologie streben die Forscher eine noch höhere Autonomie an. Durch die Integration von Trägheitssensoren (IMU) möchten sie Echtzeit-Feedback zu Beschleunigung und Orientierung erhalten – insbesondere dort, wo visuelle Daten fehlen. Miniaturkameras könnten zudem die Erkennung von Überlebenden ermöglichen und Rettungsteams wertvolle Lagebilder liefern.
Diese Entwicklungen inspirieren auch die Robotik: Erkenntnisse aus Anatomie und Verhalten der Käfer könnten zur Entwicklung autonomer Systeme führen, die mit tastempfindlichen Fühlern und flexiblen Gliedmaßen für gefährliches Terrain ausgestattet sind.
Ethische Verantwortung in der Cyborg-Forschung
Während der Experimente wurde großer Wert auf Tierschutz und ethische Forschung gelegt. Die Käfer lebten unter optimalen Laborbedingungen auf Weizenkleie und mit frischem Obst. Nach Abschluss der Studien erhielten sie während ihrer restlichen, rund dreimonatigen Lebensdauer eine sorgfältige Versorgung, wodurch höchste ethische Standards eingehalten wurden.
Fazit
Die Entwicklung von Cyborg-Käfern markiert einen vielversprechenden Fortschritt an der Schnittstelle von Biotechnologie, Robotik und Katastrophenhilfe. Durch die Verbindung biologischer Beweglichkeit mit programmierbarer Steuerung können diese biohybriden Retter die Überlebenschancen in Notsituationen signifikant verbessern – vor allem in schwierigem, unzugänglichem Gelände. Während mächtige Roboter häufig das Bild der Rettungstechnologie prägen, deuten die aktuellen Forschungsergebnisse darauf hin, dass die Zukunft der Katastrophenrettung vielleicht eher von kleinen, aber äußerst effektiven Insekten geprägt wird.
Quelle: advanced.onlinelibrary.wiley
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