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Das Konzept des Herzalters: Frischer Blick auf das Herz-Kreislauf-Risiko
Neueste Studien zeichnen ein beunruhigendes Bild: Bei vielen Erwachsenen weist das biologische Alter des Herzens eine deutliche Diskrepanz zum tatsächlichen Lebensalter auf. Entgegen der gängigen Annahme altert das Herz oftmals schneller als der übrige Körper – eine Entwicklung, die das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall und Herzinsuffizienz erheblich erhöhen kann.
Wissenschaftliche Grundlagen des Herzalters
Der Begriff Herzalter beschreibt das geschätzte biologische Alter von Herz und Gefäßen. Diese Einschätzung basiert auf individuellen Gesundheitsparametern wie Blutdruck, Cholesterinwerten, Stressniveau, Bewegungsverhalten sowie Lebensgewohnheiten wie Rauchen und weiteren Erkrankungen, beispielsweise Diabetes oder Übergewicht. Während das chronologische Alter lediglich die verlebten Jahre zählt, gibt das Herzalter Auskunft darüber, wie stark Herz und Gefäße bereits beansprucht wurden und wie diese Faktoren das Herzkrankheitsrisiko beeinflussen.
Viele Erwachsene in den USA – und auch in anderen Ländern – erleben eine Überraschung, wenn sie entdecken, dass ihr Herz im Durchschnitt bis zu zehn Jahre älter ist als sie selbst. Diese Erkenntnis ist von großer Bedeutung, da ein vorzeitig gealtertes Herz auch eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit für kardiovaskuläre Komplikationen birgt, die weltweit zu den häufigsten Todesursachen zählen.
Innovative Methoden: Der PREVENT-Rechner und Risikoermittlung
Dr. Sadiya Khan, Kardiologin an der Northwestern University, zählt mit ihrem Forschungsteam zu den Vorreitern in der Ermittlung des Herzalters. Gemeinsam entwickelten sie einen neuen, webbasierten Herzalter-Rechner, der auf den PREVENT-Risikogleichungen der American Heart Association basiert. Diese Formeln kalkulieren das kardiovaskuläre Risiko anhand mehrerer Variablen, darunter Cholesterin, systolischer Blutdruck, Lebensstil (wie sportliche Aktivität und Rauchen) sowie relevante medizinische Vorgeschichte. Mit Hilfe dieses fortschrittlichen Rechners erhalten Anwender nicht nur eine prozentuale Schätzung ihres Herzereignis-Risikos, sondern können auch nachvollziehen, wie sehr ihr Herz durch beeinflussbare und nicht beeinflussbare Faktoren gealtert ist.
Die kürzlich in JAMA Cardiology veröffentlichte Studie betont: „Risikoalter bezeichnet das Alter einer hypothetischen Person mit identischer absoluter Risikowahrscheinlichkeit, jedoch optimalen Risikofaktorwerten.“ Dieser Ansatz erleichtert Patienten das Verständnis ihres Herz-Kreislauf-Risikoprofils und unterstützt konstruktivere Gespräche mit Ärztinnen und Ärzten über Präventionsmaßnahmen.
Zentrale Ergebnisse und demografische Unterschiede
Die Forschungen von Dr. Khan basieren auf Daten von über 14.000 Erwachsenen zwischen 30 und 79 Jahren aus der National Health and Nutrition Examination Survey (NHANES) der Jahre 2011 bis 2020. Alle analysierten Personen wiesen keine Vorgeschichte kardiovaskulärer Erkrankungen auf. Die Resultate sind aufschlussreich:
- Männer hatten im Mittel ein Herzalter von 56,7 Jahren – deutlich über dem Durchschnittsalter von 49,7 Jahren.
- Auch bei Frauen ergab sich eine deutliche Differenz: Das durchschnittliche Herzalter lag bei 55,4 Jahren gegenüber einem tatsächlichen Alter von 51,3 Jahren.
Auffällig zeigten sich auch ethnische Unterschiede bei der Herzalterung. Schwarze Männer wiesen mit 8,5 Jahren Mehralter die größte Diskrepanz auf, gefolgt von hispanischen (7,9 Jahre), asiatischen (6,7 Jahre) und weißen (6,4 Jahre) Männern. Bei den Frauen führten ebenfalls schwarze Frauen mit 6,2 Jahren Differenz, gefolgt von hispanischen (4,8 Jahre), weißen (3,7 Jahre) und asiatischen (2,8 Jahre) Frauen. Bemerkenswert ist zudem, dass rund ein Drittel der Männer mit maximal mittlerem Schulabschluss ein Herzalter aufwiesen, das das tatsächliche Alter um mehr als zehn Jahre überschritt – ein Indikator für den Einfluss von Bildung und Gesundheitskompetenz auf die Herzgesundheit.
Soziale Determinanten und gesundheitliche Ungleichheiten
Eine Analyse der American Heart Association aus 2022 hebt hervor, dass sozioökonomische Benachteiligung eng mit schlechten kardiovaskulären Ergebnissen verknüpft ist. Strukturelle Ungleichheiten – wie eingeschränkter Zugang zu medizinischer Versorgung, gesunder Ernährung und sicheren Lebensverhältnissen – setzen insbesondere schwarze Bevölkerungsgruppen höheren Risiken aus. Tatsächlich ist die Sterblichkeit durch Herzleiden bei schwarzen Erwachsenen in den USA nahezu doppelt so hoch wie bei weißen Erwachsenen.
Insgesamt fordert Herz-Kreislauf-Erkrankung rund 650.000 Todesopfer jährlich in den USA, was Prävention und Risikobewertung zu wichtigen Elementen der öffentlichen Gesundheitsstrategie macht.
Bedeutung für Prävention und medizinische Praxis
Der große Vorteil des Herzalter-Rechners besteht darin, sowohl für Betroffene als auch für Ärzte kardiovaskuläre Risiken greifbarer zu machen. Häufig wissen Menschen mit Bedarf an blutdruck- oder cholesterinsenkenden Medikamenten oder einer Verbesserung des Lebensstils nicht um ihr erhöhtes Risiko – oftmals bis es zu spät ist.
„Viele Menschen, die von Medikamenten zur Vorbeugung von Herzinfarkt, Schlaganfall oder Herzschwäche profitieren könnten, erhalten diese nicht“, erläutert Dr. Khan in einer aktuellen Erklärung. „Wir hoffen, dass unser neuer Herzalter-Rechner die Präventionsberatung unterstützen und die Gesundheit aller verbessern kann.“
Das Tool ist kostenlos im Internet verfügbar und ermöglicht es den Nutzern, eigene Gesundheitswerte einzugeben und unmittelbar zu sehen, wie stark ihr Herzalter vom Geburtsalter abweicht. Damit wird ein wichtiger Impuls für Gespräche mit Ärzten und maßgeschneiderte Präventionspläne sowie ein höheres Bewusstsein für die eigene Herzgesundheit gegeben.
Fazit
Die Tatsache, dass Millionen Menschen ein Herz besitzen, das deutlich älter ist als ihr Lebenserwartung es vorgibt, zeigt die Dringlichkeit neuer Maßnahmen im Bereich der Herzgesundheit. Fortschritte wie der PREVENT-Herzalter-Rechner rücken individuelle Risiken ins Licht und bieten Ärzten wie Patienten wertvolle Mittel, um aktiv gegen Herzerkrankungen vorzugehen. Angesichts stetig wachsender Erkenntnisse könnte die Integration der Herzalter-Messung in Routinediagnosen dabei helfen, Herzleiden zu verhindern, gesundheitliche Ungleichheiten abzubauen und letztlich weltweit Leben zu retten.
Quelle: popularmechanics
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