Lithium als Schlüsselfaktor bei der Entstehung von Alzheimer entdeckt

Lithium als Schlüsselfaktor bei der Entstehung von Alzheimer entdeckt

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Ein verborgenes Element im Zusammenhang mit Alzheimer

Alzheimer zählt zu den einschneidendsten neurodegenerativen Erkrankungen unserer Zeit und betrifft bereits Millionen von Menschen weltweit. Ihr fortschreitender Verlauf stellt die moderne Medizin weiterhin vor große Herausforderungen. Ein wegweisender Forschungsbericht, unter der Leitung von Wissenschaftlern der Harvard Medical School und publiziert in Nature, rückt nun einen bislang unterschätzten Faktor in den Mittelpunkt, der entscheidend zum Fortschreiten der Krankheit beitragen könnte: Lithium, ein natürlicherweise im menschlichen Gehirn vorkommendes Metall.

Wissenschaftlicher Hintergrund: Bedeutung von Metallen und Proteinen für die Gehirngesundheit

Neurowissenschaftler untersuchen schon seit geraumer Zeit das komplexe Zusammenspiel von Proteinen und Spurenelementen bei der Aufrechterhaltung der kognitiven Fähigkeiten. Typischerweise zeigt sich Alzheimer durch eine Ansammlung falsch gefalteter Amyloid-Beta- und Tau-Proteine, welche zwar im gesunden Gehirn essenzielle Aufgaben übernehmen, im veränderten Zustand jedoch schädlich wirken. Doch diese Proteinablagerungen spiegeln das vollständige Krankheitsgeschehen nicht wider. Aktuelle Untersuchungen widmen sich daher verstärkt der biochemischen und elementaren Umgebung dieser Erkrankungen, wobei in den letzten Jahren besonders Metalle wie Zink, Kupfer und Eisen ins Blickfeld rückten. Das Forscherteam aus Harvard weitete diese Untersuchungen nun auf Lithium aus und analysierte dessen Konzentration – zusammen mit rund 30 anderen Metallen – in postmortalen Gehirnproben unterschiedlich kognitiv beeinträchtigter Menschen.

Zentrale Ergebnisse: Zusammenhang von Lithium-Mangel und Alzheimer-Verlauf

Die Analyse brachte ans Licht, dass Menschen ohne kognitive Beeinträchtigungen ausnahmslos höhere Lithium-Level aufwiesen als Patienten mit Alzheimer-Diagnose. Auffällig war, dass bereits bei leichten Gedächtnisproblemen, noch vor dem Tod, ein Lithiummangel nachgewiesen werden konnte. Dies deutet darauf hin, dass niedrige Lithiumwerte möglicherweise die Entstehung von neurodegenerativen Veränderungen begünstigen und nicht bloße Konsequenz dieser sind.

Ergänzende Experimente an Labormäusen bestätigten diesen Befund. Mäuse, die genetisch so verändert wurden, dass sie alzheimerähnliche Symptome entwickelten, zeigten bei künstlich vermindertem Lithiumvorkommen eine schnellere Akkumulation von toxischen Amyloid-Beta- und Tau-Proteinen. Parallel traten merkliche Defizite bei Gedächtnis- und Lernaufgaben auf, was auf einen möglichen ursächlichen Zusammenhang zwischen Lithium-Mangel und den schädlichen Prozessen bei Alzheimer schließen lässt.

Eine weitere Beobachtung der Forscher: Die für Alzheimer typischen Amyloid-Plaques binden Lithium im Gehirn und entziehen es so den normalen zellulären Abläufen. Daraus resultierte ein gestörter Lithiumhaushalt, der nicht nur Nervenzellen, sondern alle wichtigen Zelltypen im Gehirn negativ beeinflusste – ein Hinweis auf eine tiefgreifende Störung des Gleichgewichts im Gehirn.

Expertenmeinungen und wissenschaftliche Einordnung

Dr. Timothy Chang, Neurologe und Leiter des California Alzheimer’s Disease Center an der UCLA (ohne direkte Beteiligung an der Studie), lobte die sorgfältige und multidimensionale Herangehensweise der Forscher: „Das Team hat auf diagnostischer, proteinbiochemischer, zellulärer und genetischer Ebene präzise untersucht, wie der Lithiumstatus mit der Alzheimer-Pathologie in Verbindung steht.“

Der Senior-Autor der Studie, Prof. Dr. Bruce Yankner, Professor für Genetik und Neurologie an der Harvard University, betonte die Bedeutung der Ergebnisse: „Unsere Studie ist die erste, die belegt, dass Lithium nicht bloß ein Arzneimittel in hohen Dosen ist, sondern als natürlich vorkommendes Element im Gehirn eine biologische Rolle spielt. Zum ersten Mal untersuchen wir, welche Effekte ein Lithiummangel in Nervengewebe auslösen kann.“

Neue Therapieansätze und Früherkennungsmöglichkeiten

Ein vielversprechendes Ergebnis dieser Forschung ist die Entwicklung einer lithiumbasierten Verbindung, die sich der Bindung an Amyloid-Plaques entzieht. Wird diese Verbindung sowohl älteren, gesunden Mäusen als auch Mäusen mit Alzheimer-Modell verabreicht, so schützt dies vor der üblichen Proteinansammlung und dem damit einhergehenden kognitiven Abbau – und das ganz ohne toxische Nebenwirkungen, selbst bei deutlich niedrigeren Dosierungen als sie für psychiatrische Behandlungen üblich sind.

Bisher wird Lithium in der Klinik fast ausschließlich zur Therapie bestimmter psychiatrischer Erkrankungen wie bipolarer Störung und Depression eingesetzt, wobei hohe Dosen und starke Nebenwirkungen die Einsatzmöglichkeiten begrenzen. Die von der Harvard-Gruppe entwickelte neue Lithium-Verbindung könnte als sehr viel verträglichere Alternative dienen, da sie auch in geringen Dosen wirksam ist.

Obwohl die Resultate als erste Hinweise zu werten sind und umfassende weitere Untersuchungen sowie klinische Studien ausstehen, sind die Potenziale beträchtlich. Die Erkenntnisse eröffnen neben neuartigen Behandlungsansätzen auch Perspektiven für Screening- und Präventionsstrategien: So könnten Routinemessungen der Lithiumwerte im Gehirn oder Blut helfen, das Alzheimer-Risiko besser einzuschätzen und eine Früherkennung noch vor schwerwiegendem Krankheitsverlauf zu ermöglichen.

Offene Fragen und zukünftige Forschung

Das Forschungsteam bereitet nun weiterführende Studien vor, um Sicherheit und Wirksamkeit der neu entwickelten Verbindung beim Menschen zu überprüfen. Dr. Chang unterstreicht: „Weitergehende klinische Tests sind unumgänglich, um zu klären, welches Lithium-Präparat in welcher Dosierung tatsächlich geeignet ist, Alzheimer aufzuhalten oder zu verlangsamen.“

Doch auch grundlegendere Aspekte dürften die Wissenschaft lange beschäftigen, wie Prof. Yankner betont: „Wir stehen erst am Anfang zu begreifen, wie grundlegend Lithium die Biologie des Gehirns beeinflusst. Vermutlich haben wir nur einen Bruchteil der Bedeutung dieses Elements für die neuronale Gesundheit aufgedeckt.“

Fazit

Diese bahnbrechende Studie erweitert das Verständnis über die chemischen Grundlagen von Alzheimer erheblich und unterstreicht die mögliche Schutzfunktion von Lithium als natürlichem Bestandteil des Gehirns. Die überzeugenden Hinweise auf einen engen Zusammenhang zwischen Lithium-Mangel und den krankhaften Veränderungen eröffnet nicht nur innovative Therapieoptionen, sondern regt auch dazu an, die Früherkennung und Prävention neu zu denken. Zukünftig könnte die gezielte Bestimmung und Steuerung des Lithiumhaushalts zu einem entscheidenden Element in der Alzheimer-Bekämpfung werden.

Quelle: nature

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