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Ein überraschendes Spiegelbild: Zwei Sci-Fi-Serien aus 2016 und ihr unterschiedliches Schicksal
Das Science-Fiction-Angebot von Netflix im Jahr 2016 schickte die Zuschauer auf zwei sehr verschiedene Reisen. Die eine Serie, eine nostalgische, publikumsnahe Geschichte über Kleinstadtkinder und übernatürliche Bedrohungen, entwickelte sich zum Fünf-Staffel-Franchise und veränderte maßgeblich die Streaming-Popkultur. Die andere war ein kühnes, emotionales Labyrinth aus Ideen und Genre-Grenzen, das nach nur zwei Staffeln abgesetzt wurde – was bei Fans wie Kritikern Spekulationen über das verpasste Potenzial auslöste.
Im Folgenden wird betrachtet, warum der Erfolg von Stranger Things einen langen Schatten auf The OA wirft und weshalb das frühe Ende von The OA bis heute als einer der spektakulärsten Fehlschläge im Streaming-Bereich diskutiert wird.
Stranger Things: Langlebigkeit, Franchise-Ausbau und großes Publikum
Stranger Things nutzte zugängliche Nostalgie, charismatische Jungdarsteller, Blockbuster-würdige Produktion und einen sich stetig ausdehnenden Mythos, um zu einem der Vorzeigeprojekte von Netflix zu werden. Die auf fünf Staffeln angelegte Geschichte – das große Finale erscheint in drei Teilen – ermöglichte es den Macher:innen, Enthüllungen mit Bedacht zu timen, Figuren zu vertiefen und Produkte wie kulturelle Dynamik aufzubauen. Das führte zu weltweiter Bekanntheit, wiederkehrenden Zuschauern und einem anhaltenden Erfolg, der die Serie zum globalen Phänomen machte.

The OA: Wagemutig, persönlich und früh beendet
Im Gegensatz dazu präsentierte The OA – konzipiert und angeführt von Brit Marling und Zal Batmanglij – eine völlig andere Art von Science-Fiction: voller philosophischer Tiefe, formalem Wagemut und ungefilterter Emotionalität. Kritisch wurde die Serie sehr positiv aufgenommen. Zusammengefasste Bewertungen zeigten The OA als eines der spannendsten Netflix-Experimente; Staffel zwei erhielt von vielen Kritikern besonderes Lob. Zahlen zu späteren Betrachtungen belegen, dass selbst Jahre nach Veröffentlichung der ersten Staffel noch viele Zuschauer angelockt wurden.
Doch trotz einer treuen Fangemeinde wurde The OA nach der zweiten Staffel eingestellt. Die Schöpfer hatten ursprünglich eine Geschichte für fünf Staffeln entworfen, in der große Stilwandel und erzählerische Steigerungen vorgesehen waren, die mit der Zeit hätten wachsen müssen. Das abrupte Aus stoppte ein clever konstruiertes Mysterium, bevor es seine geplante Auflösung finden konnte.
Was The OA wirklich anders machte
Die herausragenden Qualitäten von The OA lagen in der Bereitschaft, Ungeklärtes zu riskieren, gefühlsbetonte Konflikte über eindeutige Antworten zu stellen und metaphysische Denkanstöße mit persönlichen Dramen zu verbinden. Die Erzählweise zwang das Publikum zu aktiver Mitdeutung statt passiver Unterhaltung – ein kreativer Ansatz, der sich im Streaming-Umfeld, das auf messbares Wachstum und kurze Konsumspitzen setzt, schwieriger vermarkten lässt.
Branchentrends: Weshalb Netflix vielversprechende Sci-Fi-Serien absetzt
The OAs Schicksal steht exemplarisch für Entwicklungen innerhalb der Branche. Streaming-Anbieter favorisieren meist sofort messbare Erfolge – entweder um neue Abonnenten zu gewinnen oder durch hohe Wiedersehraten. Formate, deren Erfolg Zeit benötigt, die auf Mysterien setzen oder Zuschauer:innen Geduld abverlangen, haben es schwer, unternehmerische Kennzahlen zu erfüllen. Zwar gab Netflix Serien wie Sense8 nach Fanaktionen ein Abschluss-Special, doch viele andere laufende Geschichten bleiben ohne wirklichen Schlussakt vergessen.
Diese Beobachtung wirft Fragen zur Zukunft von erzählerisch angelegten Serien in der Streaming-Welt auf: Wie kann man groß angelegte, über fünf Staffeln geplante Stoffe umsetzen, wenn die Fortsetzung ständig kurzfristigen Zahlen unterliegt? The OA war ein Versuch, anspruchsvolle Sci-Fi tief und fortlaufend zu erzählen – doch solche Projekte benötigen Zeit und Vertrauen, die im Streaming-Alltag selten gewährt werden.

Vergleiche, Parallelen und kreative Wege
Die direkte Gegenüberstellung von The OA und Stranger Things liefert zwar interessante Einsichten, ist jedoch nicht allumfassend. Stranger Things bedient sich der Tropen aus den 80ern und ermöglicht kollektives Fernseherlebnis; The OA hingegen schöpft aus modernen Arthouse- und spekulativen Erzähltraditionen. In ihrer künstlerischen Ausprägung steht The OA zudem in einer Reihe mit anderen früh beendeten Kult-Serien wie Hannibal oder Firefly, deren künstlerischer Ehrgeiz über den geschäftlichen Interessen der Plattform stand.
Marling und Batmanglij waren nach The OA weiterhin kreativ tätig. So arbeiteten sie zum Beispiel an der FX-Miniserie A Murder at the End of the World – ein Zeichen für die anhaltende Strahlkraft ihrer gemeinsamen Arbeit in TV und Film. Jason Isaacs, der The OA als charismatischen Gegenspieler bereicherte, äußerte öffentlich seine Hoffnung auf eine mögliche Rückkehr der Geschichte.
Blick hinter die Kulissen und Fankampagnen
Ein interessantes Detail: Netflix schlug angeblich vor, die Handlung von The OA mit einem einzelnen Abschlussfilm zu beenden, doch die Serienmacher lehnten ab, da dies ihrer breiteren Vision nicht gerecht geworden wäre. Seit dem Aus führen Fans Kampagnen und Petitionen durch, und die Schöpfer:innen lassen immer wieder durchblicken, dass eine Fortführung nicht ausgeschlossen wäre – ein bekanntes Muster in Fan-Gemeinden um Kultserien.
Expertenblick
Die Filmkritikerin Anna Kovacs, die das Genre lange verfolgt, merkt an: „The OA steht für eine risikofreudige Richtung im Fernsehen, die immer seltener wird. Die Absetzung spiegelt nicht nur wirtschaftliche Faktoren, sondern auch eine verpasste Chance wider, das Serienzuschauerlebnis visionär weiterzuentwickeln.“
Kritische Bilanz: Kunst trifft Algorithmus
Die Geschichte von The OA ist sowohl eine kreative Tragödie als auch eine Warnung. Sie deckt das Spannungsfeld zwischen langfristigem künstlerischem Erzählen und der kurzsichtigen Logik von Streaming-Algorithmen auf. Für Schöpfer:innen, die Fernsehen als serielles Kino verstehen, ist die Botschaft klar: Entweder findet man eine Plattform, die an den langen Atem glaubt oder man nimmt in Kauf, dass einige Geschichten unvollendet bleiben.
Fazit: Ein hoffnungsvoller „Was-wäre-wenn“-Moment und die Zukunft ehrgeiziger TV-Serien
Stranger Things zeigt, wie kontinuierliche Investition in Figuren und Weltbau große Erfolge erzielen kann. The OA mahnt daran, dass nicht jede visionäre Serie in das gleiche Geschäftsmodell passt – und dass Absetzungen den Zuschauern einzigartige Kulturerlebnisse nehmen können. Auch wenn eine vollständige Rückkehr von The OA nach mehreren Jahren unwahrscheinlich scheint, lassen die nach wie vor vorhandene Nachfrage, der anhaltende Einfluss der Kreativen und das Interesse an Wiederbelebungen einen Funken Hoffnung. Für Fans ehrgeiziger genreübergreifender Serien bleibt ein zweifaches Vermächtnis: ein herausragendes, wenn auch unvollständiges Werk zum Wiederentdecken – und die Erinnerung, dass die Zukunft von Risiko und Innovation im TV vom Weitblick der Plattformen abhängt.
Ob The OA jemals zurückkehrt oder nicht: Der kreative Geist der Serie prägt weiterhin die Diskussionen über Erzählweisen, Streamingstrategien und den kulturellen Wert von mutigen TV-Experimenten.
Quelle: screenrant
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