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Künstler fordern, dass Venedig Stellung bezieht
Hunderte von Filmemachern, Schauspielern und Kulturpersönlichkeiten aus Italien und der ganzen Welt haben einen offenen Brief unterzeichnet, in dem sie das Filmfestival von Venedig auffordern, sich der humanitären Katastrophe in Gaza zu stellen. Die außergewöhnliche Liste umfasst Veteranen und Festivalstammgäste wie Ken Loach, Toni Servillo (der Star von Paolo Sorrentinos Eröffnungsfilm 2025 La Grazia), die Schwestern Alba und Alice Rohrwacher, Jasmine Trinca, Céline Sciamma, Audrey Diwan, Charles Dance sowie das palästinensische Regie-Duo Arab Nasser und Tarzan Nasser, frisch von ihrem Un Certain Regard-Preis in Cannes für Once Upon a Time in Gaza.
„Ohne Menschlichkeit gibt es kein Kino“
Der Brief argumentiert, dass künstlerische Institutionen angesichts massiven Leids nicht neutral bleiben können und verweist auf den Tod von fast 250 palästinensischen Medienmitarbeitern seit Beginn des Konflikts. Er wehrt sich gegen das alte Showbiz‑Mantra „Die Show muss weitergehen" und fordert stattdessen, das Festival solle den „Fluss der Gleichgültigkeit" unterbrechen und Raum für palästinensische Stimmen sowie anhaltende Gespräche über Vorwürfe von ethnischer Säuberung, Apartheid und Besatzung schaffen.
Wer unterschrieben hat und warum das wichtig ist
Die Unterzeichnenden decken ein breites künstlerisches Spektrum ab: politisch orientierte Autorenfilmer wie Ken Loach, dessen sozialrealistische Filme seit langem Politik und Kino vermischen; Toni Servillo aus Paolo Sorrentinos Umfeld; die poetischen, aber politisch aufmerksamen Rohrwachers; und Arab und Tarzan Nasser, deren jüngster in Gaza spielender Film dringende regionale Zeugnisse auf europäische Leinwände bringt. Diese Mischung aus Festivalstars und Aktivistinnen unterstreicht eine weit verbreitete Überzeugung: Filmfestivals sind nicht nur Märkte und Premieren, sondern auch öffentliche Foren, die kulturelles Gedächtnis und gesellschaftliche Debatten prägen.
Vergleiche und Kontext
Once Upon a Time in Gaza lässt sich neben anderer aktueller Konfliktfilmkunst lesen — Filme wie Kaouther Ben Hanias The Man Who Sold His Skin oder das letztjährige Of Dogs and Men von Dani Rosenberg — Werke, die versuchen, zeitgenössisches Trauma in filmische Formen zu übersetzen. Paolo Sorrentinos La Grazia, als Eröffnungsfilm von Venedig, steht für das Festivalinteresse an Autoren‑Spektakeln; die Verfasser des Briefes argumentieren, dass ein solches Programm durch beständige Plattformen für Geschichten aus Gaza ausgeglichen werden sollte.

Antwort der Biennale und Programmgestaltung des Festivals
Die Biennale gab eine abgewogene Antwort und verwies auf Venedigs Geschichte als Ort offener Diskussionen sowie auf die diesjährige Auswahl als Beleg. Die Erklärung hob Kaouther Ben Hanias The Voice of Hind Rajab hervor — eine Dramatisierung, die sich mit der Tötung eines fünfjährigen palästinensischen Mädchens befasst — als Wettbewerbstitel. Die Biennale stellte außerdem fest, dass die Programmierung des vergangenen Jahres Arbeiten einschloss, die nach dem 7. Oktober entstanden sind, und deutete damit an, dass Venedig sich als aufmerksam und dialogbereit versteht.
Filmfestivals als politische Bühnen
Filmfestivals sind seit langem Schmelztiegel, in denen Kunst und Aktivismus aufeinandertreffen. Von Cannes‑Premieren, die Proteste auslösen, bis zu Berlinale‑Retrospektiven, die historische Debatten wieder aufleben lassen — Festivals lenken internationale Aufmerksamkeit. Entscheidungen über das Programm — was gezeigt wird, welche Podien stattfinden, wer auf dem roten Teppich sichtbar unterstützt wird — senden Signale an Brancheninsider und ein weltweites Publikum. Die Veranstalter stehen unter Druck, sowohl Kuratoren als auch Gewissenshüter zu sein.
Perspektive von Expertinnen
„Festivals haben sich zu zivilen Räumen entwickelt, in denen Narrativ und Politik zusammentreffen“, sagt Filmkritikerin Anna Kovacs. „Venedig hat die Sichtbarkeit, marginalisierte Stimmen zu verstärken; wie es reagiert, wird in Festivals weltweit nachhallen.“
Proteste, Podien und öffentliche Reaktionen
Eine separate Gruppe italienischer Künstler, das Netzwerk Artisti #NoBavaglio, hat zu einem öffentlichen ‚Stoppt den Genozid‘‑Protest am 30. August während des Eröffnungswochenendes des Festivals aufgerufen. Ob das Festival spezielle Podien, Sondervorführungen oder kontinuierliche Foren hinzufügt, bleibt die zentrale Forderung der Petition: kein einzelner Gestus, sagen sie, sondern ein anhaltender ‚Hintergrund aus Gesprächen und Initiativen‘ für palästinensische Erzählungen.
Was das für Publikum und Branche bedeutet
Für Cinephile und Branchenprofis wirft die Debatte praktische Fragen zur Programmethik, zur Berichterstattung und zur Rolle der Filmkultur in Zeiten von Konflikten auf. Das Publikum erwartet mittlerweile, dass Festivals Glamour mit Verantwortung ausbalancieren — sowohl in dem, was sie zeigen, als auch darin, wie sie schwierige Gespräche ermöglichen.
Fazit: Kino, Gewissen und die Debatte von Cannes bis Venedig
Venedigs Reaktion wird die Rolle des Festivals als internationale Kulturbühne auf die Probe stellen. Ob die Veranstalter die palästinensische Repräsentation erweitern und einen kontinuierlichen Dialog ermöglichen oder sich allein auf das aktuelle Programm stützen — die Debatte um Gaza hat die Erwartungen an ein globales Filmfestival bereits verändert: halb Kino‑Schauplatz, halb öffentlicher Platz. Für eine Gemeinschaft, die das Erzählen schätzt, bleibt die Frage: Können Festivals Premieren und Rechenschaftspflicht in denselben Rahmen stellen?
Quelle: hollywoodreporter
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