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Langzeitstress im Haar weist auf psychische Risiken hin
Hohe Werte des Haarcortisolspiegels zeigen verborgene psychische Gesundheitsrisiken bei Kindern mit chronischen Krankheiten und bieten Ärztinnen und Ärzten ein nichtinvasives Instrument, um zukünftige emotionale Probleme vorherzusagen und zu verhindern. Credit: Shutterstock
Eine neue Längsschnittstudie der University of Waterloo zeigt, dass die Messung von Cortisol im Haar – ein Marker für kumulative Stressbelastung – dabei helfen kann, vorherzusagen, welche Kinder mit chronischen körperlichen Erkrankungen (CPI) am ehesten Angststörungen, Depressionen oder Verhaltensprobleme entwickeln. Die Studie verfolgte 244 kanadische Kinder über vier Jahre und stellte fest, dass anhaltend hohe Haarcortisolwerte mit zunehmenden psychischen Symptomen verbunden waren, während sinkende Cortisolwerte mit einer Verbesserung der emotionalen Befunde korrelierten.
Wissenschaftlicher Hintergrund und Methoden
Cortisol ist ein Steroidhormon, das von der hypothalamisch-hypophysär-adrenalen (HPA) Achse als Reaktion auf Stress produziert wird. Im Gegensatz zu Blut- oder Speichelmessungen, die kurzfristige Schwankungen abbilden, liefert Haarcortisol einen retrospektiven Index des zirkulierenden Cortisols über Wochen bis Monate, weil Haare langsam wachsen und Hormone einlagern. Daher ist die Haarprobenentnahme eine nichtinvasive Methode zur Überwachung chronischer Stressbelastung in pädiatrischen Populationen.
Die Forschenden sammelten Haarproben und standardisierte Verhaltensbewertungen von Kindern mit verschiedenen CPIs, darunter Asthma, Diabetes und Autoimmunerkrankungen, zu mehreren Zeitpunkten über vier Jahre hinweg. Durch Längsschnittanalysen identifizierten sie unterschiedliche Cortisolverlaufsformen: dauerhaft hohe, sinkende oder niedrig stabile Level. Mehr als zwei Drittel der Teilnehmenden zeigten während des Studienzeitraums dauerhaft erhöhte Haarcortisolwerte.
Zentrale Erkenntnisse und Bedeutung
Kinder, deren Haarcortisol dauerhaft hoch blieb, zeigten im Vergleich zu Gleichaltrigen, deren Cortisolwerte im Zeitverlauf sanken, häufiger Symptome von Angst, Depression sowie Verhaltens- oder Störungsverhalten. Bei sinkendem Cortisol neigten emotionale und Verhaltenssymptome ebenfalls zu rückläufigen Verläufen, was darauf hindeutet, dass Haarcortisoltrajektorien klinisch relevante Veränderungen widerspiegeln.
„Mit einer chronischen Krankheit zu leben bedeutet, alltägliche Herausforderungen wie Medikamenteneinnahme, verpassten Schulbesuch und Anpassung von Aktivitäten zu bewältigen – all das kann eine erhebliche emotionale Belastung darstellen“, sagte Emma Littler, Doktorandin an der University of Waterloo und Erstautorin. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass chronisch hoher Stress, gemessen über Haarproben, helfen könnte, Kinder mit CPI zu identifizieren, die das höchste Risiko für die Entwicklung psychischer Probleme haben. Das eröffnet Möglichkeiten für früheren und zielgerichteteren Unterstützungsbedarf.“
Dr. Mark Ferro, Koautor und Professor an der School of Public Health Sciences in Waterloo, ergänzte: ‚Haarcortisol ist ein nichtinvasiver, leicht zu gewinnender Biomarker, der eines Tages verwendet werden könnte, um Kinder zu screenen und zu verfolgen, ob Behandlungen oder Unterstützungsprogramme Stress reduzieren.‘ Die Studie wurde im peer‑reviewten Journal Stress and Health unter dem Titel „Association between hair cortisol and psychopathology in children with a chronic physical illness“ veröffentlicht.

Verwandte Biomarker-Forschung
Das Waterloo‑Team arbeitete mit Forschenden der McMaster University zusammen und berichtete ergänzende Ergebnisse aus blutbasierten Biomarkerstudien. Diese separate Untersuchung identifizierte entzündliche Marker in Routinelabortests, die mit späteren Verläufen der psychischen Gesundheit korrelierten: Einige Zytokinmuster sagten eine Verschlechterung der Psychopathologie vorher, andere waren mit Erholung verbunden. Zusammen deuten Haarcortisol und Blutbiomarker auf einen Weg zu integrierten biologischen Screenings plus psychischer Gesundheitsbeurteilung für Kinder mit CPIs hin.
Diese Erkenntnisse stützen ein Modell, in dem routinemäßige, minimalinvasive Tests (Haar- und Blutproben) in die pädiatrische Versorgung von Kindern mit chronischen Erkrankungen integriert werden könnten, um jene zu identifizieren, die von frühzeitigen psychologischen oder sozialen Interventionen profitieren würden. Früherkennung könnte langfristige Krankheitslast verringern, Schulunterbrechungen begrenzen und den nachgelagerten Gesundheitsversorgungsaufwand senken.
Experteneinschätzung
Dr. Ana Morales, eine fiktive, aber plausible Spezialistin für pädiatrische Verhaltensmedizin, kommentiert: ‚Biomarker wie Haarcortisol liefern Klinikerinnen und Klinikern ein objektives Signal, das Eltern‑ und Fachberichten ergänzt. Für Kinder mit chronischen Krankheiten könnte dies die Praxis von reaktiv zu proaktiv verändern – Stressbedingte Risiken zu erkennen, bevor sich eine voll ausgeprägte psychiatrische Störung entwickelt, und Ressourcen wie kognitive Verhaltenstherapie oder familiäre Unterstützung gezielt dort einzusetzen, wo sie am dringendsten gebraucht werden.‘
Praktische Erwägungen und Ausblick
Bevor Haarcortisol zu einem routinemäßigen Screening‑Instrument wird, müssen mehrere Fragen standardisiert werden: Laborassay‑Methoden, Haarsegment‑Entnahmeprotokolle und normative Referenzbereiche über Altersgruppen und Haartypen hinweg. Forschende müssen die Befunde zudem in diversen Populationen und klinischen Umgebungen bestätigen und testen, ob interventionen, die auf Biomarker‑Screenings basieren, tatsächlich psychiatrische Folgekrankheiten reduzieren.
Wenn validiert, könnte die kombinierte Nutzung von Haarcortisol und gezielten Blutbiomarkern die pädiatrische Versorgung von Kindern mit chronischen körperlichen Erkrankungen grundlegend verändern, indem sie eine präzisionsorientierte Prävention ermöglicht – psychosoziale Ressourcen passend zum biologischen Risikoprofil zuzuordnen und die Behandlungserfolge objektiv nachzuverfolgen.
Fazit
Die Studie der University of Waterloo liefert starke Hinweise darauf, dass Haarcortisoltrajektorien mit psychischen Gesundheitsergebnissen bei Kindern mit chronischen körperlichen Krankheiten verknüpft sind. Anhaltend hohe Cortisolwerte identifizierten eine Gruppe mit erhöhtem Risiko für Angststörungen, Depressionen und Verhaltensauffälligkeiten, während sinkende Cortisolwerte mit weniger emotionalen Problemen einhergingen. In Kombination mit Blut‑Biomarkerforschung weisen diese Ergebnisse auf praktikable, nichtinvasive Screeningstrategien hin, die frühere und gezieltere Interventionen zum Schutz der psychischen Gesundheit von Kindern mit chronischer Krankheit ermöglichen könnten.
Quelle: sciencedaily
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